Es geht nicht um Schuld. So viel vorweg. Vielleicht könnte man es eher als Schadensanalyse betrachten. Eine Delle dort, ein Kratzer hier und am Ende stand sie da, die Zahl: 42,3 Prozent Wahlbeteiligung. Nicht einmal jeder Zweite wollte am Sonntag also mitentscheiden, wer die Stadt für die kommenden acht Jahre regieren soll. In Schwenningen noch weniger als in Villingen.

In den Teilorten war die Wahlbeteiligung wie immer ein wenig höher. Herzogenweiler und Rietheim schafften es immerhin über 50 Prozent. Am niedrigsten war die Wahlbeteiligung im Wahlbezirk Schilterhäusle. Gerade einmal 13,7 Prozent gaben im David-Fuchs-Haus ihre Stimme ab.

Warum nehmen die Bürger ihr Wahlrecht kaum wahr?

Und so steht am Tag nach der Wahl die Frage im Raum: Warum? Warum reichen mehrere ernst zu nehmende Kandidaten nicht aus, um die Bürger zu motivieren, ihre Stimme abzugeben? Eine Antwort darauf zu finden ist nicht leicht. Und VS ist auch nicht die erste Gemeinde, die diese Frage nach einer Kommunalwahl stellen muss.

Allgemeines Desinteresse an der Politik, eine hohe Zufriedenheit der jetzigen Situation – Erklärungen von Experten zu diesem Thema gibt es viele. Eine endgültige freilich nicht. Wenn es auf das Warum so leicht keine Antwort gibt, muss man vielleicht fragen: Was hätte man anders machen können?

Klinken putzen allein reicht nicht aus

Beginnen wir beim Wahlkampf. Für den außenstehenden Beobachter war der Wahlkampf in den vergangenen Monaten oft mehr Tingel-Tour als Inhalts-Präsentation. Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt, Tag der offenen Tür bei den Maltesern, Ortsrundgang in Tannheim, Kürbisfest, Ortsrundgang in Rietheim, Eishockey-Spiel in der Helios-Arena, Ortsrundgang in Weilersbach, Besuch bei einem Unternehmen, Tag der offenen Tür bei der Feuerwehr, Besuch bei einem anderen Unternehmen, zwischendurch ein Besuch im Hebammenhaus und beim Seniorenrat.

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Überall wurde die Arbeit der Beteiligten gelobt, überall wurde für ein Foto in die Kamera gepost und überall wurde versprochen, alles umzusetzen, was jeweils gewünscht wird. Das alles generiert Aufmerksamkeit, das mag ein Stückweit auch seine Berechtigung haben. Ein Kandidat will und soll sich bekannt machen. Das alles generiert aber auch ein wenig Langeweile (noch ein Besuch und noch einer) und Unglaubwürdigkeit (alle Versprechungen können doch eh nie gehalten werden).

Will der Wähler überhaupt einen OB zum Anfassen?

In diesem Wahlkampf besonders proklamiert wurde ja die Nähe zum Bürger. Mit diesem Motto stellten sich die Kandidaten in die Fußgängerzonen, schüttelten lächelnd Hände und verteilten Flyer mit ihrem Wahlprogramm. Manchmal haben sich die Kandidaten zu diesem Zweck auch kurz hingesetzt: Dann hieß das ganze auf dem Sofa mit Jörg Röber bei einem Schälchen Himbeeren und einem Cappuccino oder auf ein Weißwurstfrühstück im Biergarten in der Eckkneipe mit Jürgen Roth. Ein OB-Kandidat und späterer OB zum Anfassen eben. Vielleicht liegt genau dort ein Teil des Problems und die Frage muss erlaubt sein: Will der Wähler das überhaupt?

Wer einen 40-Stunden-Job hat, wer vielleicht zwei Jobs hat, wer allein oder mit Partner, Kinder, ein Haus, eine Familie versorgen muss, wer morgens um sechs das Haus verlässt und spät abends wieder kommt, einkauft, kocht, den Kühlschrank repariert und die Wäsche bügelt, sich in einem Verein engagiert und Kuchen für den nächsten Flohmarkt in der Schule backen muss – der braucht keinen Bürgermeister zum Anfassen. Der braucht gute und schnelle Verkehrswege, bezahlbaren Wohnraum, Kindergartenplätze, Unterstützung für die Pflege der Eltern, gut ausgestattete Schulen und Freizeitangebote. Und vielleicht zweifelt er daran, dass er das alles von der Kommunalpolitik überhaupt bekommen kann.

Demokratie ist kein Selbstläufer und lebt von Beteiligung

Kommen wir zum Wähler selbst. Wahlkampf ist keine Einbahnstraße. Er ist immer auch mehr, als die Werbung für eine Person. Er ist ein Kampf für die Demokratie. Wer in einer Demokratie lebt und vor allem auch weiter darin leben will, der sollte sich um sie kümmern. So, wie man in seinem Haus den Garten pflegt oder die Fenster putzt. Nichts macht sich von alleine. Weder das Gemüsebeet, noch die Demokratie. Demokratie ist keine selbstlaufende Dauerwerbesendung politischer Akteure.

Und wenn sich bei einem so breiten Kandidaten-Angebot wie hier in VS nicht einmal die Hälfte der Wähler darum kümmert, ist das für die Kommunalpolitik ein wirkliches Problem. Wohlgemerkt für die Kommunalpolitik, nicht unbedingt spezifisch für VS. Seit Jahren steigt die Zahl der Nichtwähler bei Kommunalwahlen in ganz Deutschland. Dennoch ist die Wahlbeteiligung selbst im Vergleich mit anderen Städten in VS recht gering. Vor allem gemessen daran, dass in der Regel eine höhere Wahlbeteiligung erwartet wird, wenn der Amtsinhaber nicht mehr zu Wahl steht.

In Konstanz lag die Wahlbeteiligung 2012 bei 42 Prozent (trotz der stattlichen Zahl von 13 Kandidaten). In Friedrichshafen wurde 2017 der Amtsinhaber bei einer Beteiligung von 41 Prozent wieder gewählt. In St. Georgen wurde der Amtsinhaber ohne Gegenkandidat bei einer Beteiligung von 44 Prozent wieder gewählt. Kommunalwahlen stehen in der Rangliste der Wahlen bekannterweise weiter unten. Zum Vergleich: 2016 lag die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg bei 70 Prozent.

Alle Kandidaten haben angekündigt, sie werden in den kommenden zwei Wochen noch mehr für sich und ihre Politik werben. Mehr Inhalt, weniger Schau wäre ein Ansatz. Einmal den Wahlkampf durchpusten. Im zweiten Wahlgang, am 21. Oktober, haben aber nicht nur die Kandidaten eine zweite Chance. Auch die Wähler. Sich einmal in acht Jahren für einige Minuten um das Haus (die Demokratie) zu kümmern, in dem wir alle hier ganz gut leben, ist ja eigentlich nicht zu viel verlangt.