„Es geht nicht mehr“, sagt Alexandra Kraus. „Wir leben hier in der Dauchinger Straße, Villinger Straße und Rottweiler Straße in Dreck und Gestank.“ Die 52-Jährige wohnt in Niedereschach. An einer der meist befahrenen Strecken des Ortes.
Die Filialleiterin im Einzelhandel beschreibt die Verkehrsbelastung für die Anwohner so: Morgens um 5 Uhr hupen vor den Schlafzimmer die Lastwagen, donnern mit durchdrehenden Reifen um die Kurve. Bei jedem Schichtwechsel im Gewerbegebiet fahren Autos mit laut aufgedrehter Musik und heulendem Motor die Straße rauf und runter.
Abends quietschen die Reifen der Poser, die viel zu schnell durch die Kurven driften. Und am Wochenende testen Motorradfahrer die Kurvenlage ihrer Maschinen aus, schildert Alexandra Kraus das tägliche Geschehen auf der Dauchinger Straße.
Eine typische Situation hat sie mit dem Handy gefilmt:
Für Kinder ist es lebensgefährlich
Abgesehen vom Lärm prangert die Anwohnerin auch die Gefahren der Verkehrssituation an. Ein Beispiel dafür ist Christine Weyler. Sie wohnt seit vier Jahren in der Straße, die auch als Zufahrt ins Gewerbegebiet dient, und hat Haarsträubendes erlebt. „Meine Kinder sind zwei Mal bereits fast überfahren worden“, sagt sie. „Meine Mittlere konnte mein Mann gerade noch am Arm zurückziehen.“

Ihre große Tochter kommt jetzt in die Schule. Kindergarten und Schule befinden sich in Niedereschach in der Friedhofstraße, einer Abzweigung der Dauchinger Straße und nur einen Katzensprung vom Wohnhaus entfernt. „Meine Tochter wird den Weg nicht allein gehen“, sagt Weyler. Der Mutter ist das Risiko zu hoch.
In den Kurven wird es eng
Der Grund ist, dass Lastwagen und Autos in den engen Kurven der schmalen Straße kaum aneinander vorbeikommen.
Immer wieder müssen Fahrzeuge in letzter Sekunde auf den Gehsteig ausweichen. Beim Ortstermin passiert das alle paar Minuten.

Michi Bernd wohnt im selben Haus wie Alexandra Kraus. Der 61-jährige Logistiker kennt sich aus mit Schwerlastverkehr. „Ich bin früher selber Lastwagen gefahren – in ganz Europa“, erzählt er.
In anderen Ländern gebe es in kleinen Ortschaften ein Nachtfahrverbot. „Hier fahren sogar am Sonntag die 40-Tonner“, sagt Bernd.

Anwohner fordern Umleitung
Er versteht nicht, dass die Fahrer überhaupt diese Route durch den Ort nehmen. Bei dem steilen Anstieg verbrauchten die Lastwagen viel Sprit. „Und wenn es schon alle vom Umweltschutz haben ...“ Für ihn ist klar, dass die Gemeinde eine Umleitung braucht.
Geplant ist die bereits. Und zwar seit mittlerweile drei Jahrzehnten, wie Bürgermeister Martin Ragg bestätigt.
Von der Villinger Straße aus Richtung Kappel soll die sogenannte Südumfahrung mit nur acht Prozent Steigung bis in Gewerbegebiet führen. Ein Anschluss an die dortige Straße Spitzacker sei bereits vorbereitet. Und warum gibt es diese Lösung bis heute noch nicht?

Ragg holt etwas aus. „Beim Bau des Gewerbegebiets damals hat das Land bereits gesagt, dass die Zufahrt nicht geeignet ist und eine neue gebaut werden muss“, erzählt er.
Allerdings habe Niedereschach Anfang der 90er-Jahre unter dem Niedergang der Uhrenindustrie gelitten. „Die Gemeinde konnte den Eigenanteil von 300.000 Euro nicht aufbringen.“
Verkehrsministerium will die Straße nicht
Jahre später habe es einen erneuten Versuch gegeben. Die Gemeinde habe Ausgleichsmaßnahmen geplant und Gutachten in Auftrag gegeben.
Dann kommt es 2011 in Stuttgart zum Regierungswechsel. „Seitdem ist Winfried Hermann Verkehrsminister und wir haben eine völlig andere Situation“, sagt Ragg.
Das Land habe sich aus dem Projekt zurückgezogen, kritisiert der Bürgermeister. „Dabei geht es nur um 900 Meter.“
Völlige Einigkeit zum Thema herrscht im Ministeriums nach Beobachtung Raggs allerdings nicht. „Die für die Verkehrssicherheit zuständige Abteilung hat sich die Situation angeschaut und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.“
Ein Unfall wäre eine Katastrophe
Aber selbst diese Einschätzung kann zum Problem für Niedereschach werden. Denn das Land will die Südumfahrung einfach nicht. Die Verkehrssicherheitsexperten machen gleichzeitig deutlich: „Sollte es zu einem Unfall kommen, könnte die Strecke für den Schwerlastverkehr gesperrt werden“, sagt Martin Ragg. „Ein Dilemma für die Gemeinde.“

Die Anwohner haben die Befürchtung, dass die Gemeinde ihre Interessen geringer bewertet als die der Betriebe im Gewerbegebiet. „Wenn eine Firma mit Wegzug droht, dann wird die gehört“, vermutet Alexandra Kraus.
Ganz aus der Luft gegriffen ist diese Sorge nicht. Tatsächlich hätten Unternehmen bereits angekündigt, ihren Sitz zu verlagern, sollte die Dauchinger Straße für den Schwerlastverkehr gesperrt werden, bestätigt Bürgermeister Ragg. „Das wäre für die Gemeinde eine Katastrophe.“
Interessen prallen aufeinander
„Wir haben tolle Betriebe, fleißige Belegschaften. Um die geht es“, sagt Ragg. Es gehe um die Arbeitsplätze. „Und die Gewerbesteuer, die dazu beiträgt, dass wir uns in der Gemeinde das eine oder andere leisten können.“
Solange sich der Wind im Verkehrsministerium nicht dreht, sieht der Bürgermeister nur eine Möglichkeit: mit kleineren baulichen Maßnahmen das Ganze für die Anwohner etwas erträglicher machen. Gemeint ist der Zukauf von Grundstücksteilen, um die Kurven zu begradigen.

Alexandra Kraus hält davon allerdings nichts. „Dann fahren die Lastwagen ja direkt an meinem Schlafzimmerfenster vorbei.“
Laut Michi Bernd ist die Bewohnerin des Hauses gegenüber sogar einen Schritt weiter gegangen: Die Frau habe gleich ihr ganzes Haus verkauft. „Sie hat es nicht mehr ausgehalten.“