Wenn Karola Erchinger im Dezember Post vom Villinger Amtsgericht mit der Terminliste bekommt, weiß sie nicht, was sie erwartet. Raub? Betrug? Körperverletzung? Etwa eine Woche vor den Gerichtsterminen erfährt sie es, wenn die Ladung in ihrem Briefkasten in St. Georgen landet.
Nach vier Amtszeiten ist Schluss
Seit 20 Jahren – das entspricht vier Amtszeiten – ist die 63-Jährige als Schöffin bei Gericht tätig. 2024 soll Schluss sein, hat sie für sich entschieden.
Und ermuntert zugleich jeden und jede dazu, sich für dieses Ehrenamt zu bewerben. Alle fünf Jahre werden für die Gerichte in ganz Deutschland die Schöffen neu gewählt – so auch in diesem Jahr. Amtsantritt für die Neuen wird der 1. Januar 2024 sein.

Bis dahin hat Karola Erchinger noch rund ein Dutzend Gerichtstermine zu absolvieren. Die Rechte und Pflichten der Schöffen sind klar geregelt, wie das Bundesjustizministerium auf der eigens zur Wahl eingerichteten Webseite erläutert. Zu den Verhandlungsterminen müssen die Schöffen erscheinen, es sei denn, es liegen wichtige Gründe wie Besorgnis einer Befangenheit, Krankheit oder ein Unfall vor.
Schöffen können nicht belangt werden
Die Berufsrichter wiederum müssen die Schöffen ausführlich informieren. Und: Für ein Urteil, das in der Berufungs- oder Revisionsinstanz aufgehoben oder abgeändert wurde, kann ein Schöffe zivilrechtlich nicht belangt werden.
Für Karola Erchinger waren ihre bisher 19 Jahre als Laienrichterin eine wertvolle und lehrreiche Zeit. „Man lernt ganz viel für sich selbst“, sagt die Mutter zweier erwachsener Kinder.
Vom Gesamtelternbeirat in den Gerichtssaal
Sie selbst rutschte im Jahr 2004 mehr oder weniger zufällig auf die Bewerberliste, als sie auch erstmals für den St. Georgener Gemeinderat auf der Liste der Freien Wähler kandidierte. In beiden Fällen mit Erfolg. Die damalige Vorsitzende des Gesamtelternbeirats der Bergstadt gehört seitdem zu den festen Größen des Stadtparlaments und zu den erfahrenen Laienrichterinnen.
Von kleinlaut bis frech
Als solche hat sie schon vieles erlebt: Geläuterte Angeklagte, die aus der Untersuchungshaft vor Gericht geladen wurden und bei denen dieser Schuss vor den Bug offenkundig schon einiges bewirkt hatte. Selbstgefällige Wichtigtuer, die mit verschränkten Armen im Stuhl herumlümmeln und sich keinerlei Schuld bewusst sind: Sie alle gehören zum Alltag in deutschen Gerichten.
Schöffen repräsentieren die Gesellschaft
Damit die Schöffen einen Einblick in den Fall bekommen, finde vor der Verhandlung ein kurzes Treffen mit dem Richter statt, erklärt Karola Erchinger. Es gibt eine kurze Einführung in den Fall, bei der unter Umständen Fachausdrücke erläutert werden. „Wir sind ja schließlich keine Juristen.“ Das ist auch ausdrücklich so gewollt, sollen die Schöffen doch die Gesellschaft repräsentieren, neutral und unbefangen an Fälle und Aussagen herangehen.
Die Stimme hat das gleiche Gewicht
Während der Verhandlung dürfen die Schöffen Fragen an Angeklagte, Zeugen und Sachverständige stellen. Zur Urteilsfindung ziehen sich Richter und Schöffen zurück. Die Stimme der Schöffen hat bei der Schuld- und Strafzumessung das gleiche Gewicht wie die der Berufsrichter.
„Manchmal muss man auch lernen, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer dasselbe sind.“Schöffin Karola Erchinger
In der Beratung wird vieles betrachtet: Hat der oder die Angeklagte eine gute Sozialprognose? Gibt es eine Familie, die auffängt, einen Job? Wie gibt sich der Beschuldigte? Scheint ein Einsehen vorhanden zu sein?

„Man lernt ganz viel über Menschen“, sagt Karola Erchinger. Sie hat auch sonst viel mit Menschen zu tun: Als Koordinatorin der Nachbarschaftshilfe bei einem Pflegedienst in St. Georgen ist sie für 35 Nachbarschaftshelferinnen zuständig und betreut auch eigene Patienten.
„Manchmal muss man auch lernen, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer dasselbe sind“, sagt sie. Den menschlichen Impuls, bei manchen Straftaten für weitaus längere Gefängnisstrafen zu plädieren, kennt auch sie. „Doch wenn das Gesetz vorsieht, dass die maximale Freiheitsstrafe fünf Jahre beträgt, muss man das in einem Rechtsstaat akzeptieren.“
Die Gesellschaft abbilden
Zwei Amtsperioden lang war Karola Erchinger am Konstanzer Landgericht tätig, zwei am Villinger Amtsgericht. Die Schöffenriege sei bunt gemischt: Erzieherinnen und Geschäftsführer, Sozialarbeiterinnen und Kaufleute. „Man will ja möglichst die Gesellschaft abbilden.“
Und noch eines hat Karola Erchinger in den Jahren gelernt: „Wenn die Tür des Gerichtssaals zugeht, gehe ich raus und gut ist. Ich nehme nichts mit nach Hause.“