Bluesrock tönt durch das MPS-Studio. Der legendäre Ort, an dem sich in den 60er- und 70er-Jahre internationale Jazzgrößen die Klinke in die Hand gaben, ist seit 2022 wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Immer wieder nutzen Musiker die besondere Akustik für ihre Aufnahmen.
Jetzt ist es die Band Lieber Anders aus Villingen-Schwenningen. Die Musiker spielen über mehrere Tage hinweg die Stücke für ihr neue Album ein. Warum haben sie sich ausgerechnet für das eher museumsartige Studio ohne modernes High-Tech-Equipment entschieden?
Weltklasse vor der eigenen Haustür
„Weil es das Studio in VS ist“, sagt Gitarrist Marcel Kübler. „Wir sind eine Doppelstädter Band, weil wir hier leben und wird fanden die Idee super, es direkt vor Ort zu machen.“ MPS habe einen Ruf in Sachen analoge Aufnahmetechnik. „Vor allem im Jazz mit seinem organischen hölzernen Klang“, versucht Kübler diesen besonderen Sound zu umschreiben. Und der passe eben gut zu Lieber Anders. „Unsere eigene Musik verstehen wir selber als sehr erdig. Es ist handgemachter Bluesrock.“
Lieber Anders besteht bereits seit 2009, allerdings in wechselnder Besetzung. An den Aufnahmen beteiligt sind neben Marcel Kübler noch der neue Keyboarder Nico Fietz und Schlagzeuger Tim Dieterle. Für Bassist Samuel Will sind es die letzten Tage mit seinen Bandkollegen. Er hat ein Studium in Mannheim begonnen. In seine Fußstapfen tritt nach Fertigstellung des Albums dann Tim Buschmann. Unterstützung kommt zudem von Produzent Daniel Leguy-Madzar und Bandtechniker Michael Castano.
Sind sie zufrieden?
Für alle war bereits im Vorfeld klar: Ein modernes Studio mit viel Elektronik wollen sie nicht. Vier Tage lang haben sie das Grundgerüst für die 13 neuen Stücke aufgenommen. Erstes Zwischenfazit: „Der Sound ist geil. Wir haben genau das gefunden, was wird gesucht haben“, sagt Kübler. „Wir sind super happy mit dem Ergebnis.“
„Schlagzeug, Bass und Gitarre haben wir gleichzeitig eingespielt, ohne Clicktrack (Metronom)“, erzählt Kübler. Denn: „Wenn wir weglassen, dass wir zusammenspielen, fehlt genau das, was unsere Band ausmacht.“
Band wählt den ungewöhnlichen Weg
Heutzutage eher unüblich: Bei den meisten Studioaufnahmen landen die einzelnen Instrumente nach und nach auf der Festplatte. Die Musiker haben eine Takthilfe im Kopfhörer. Diese Methode heißt Overdub und ohne sie geht es auch beim neuen Album von Lieber Anders nicht. Der Part von Keyboarder Nico Fietz wird komplett nachträglich eingefügt. Außerdem werden zusätzliche Gitarrenspuren und Soli aus dem Live-Kontext herausgelöst.

Die Band hat schon Erfahrung mit Studioaufnahmen. Die Vorgängeralben entstanden in Furtwangen beziehungsweise in Schwenningen. Aber die MPS-Räume sind dann doch etwas anderes. „Raum und Technik bringen einen eigenen Sound mit sich“, sagt Bassist Samuel Will. „Und der passt gut zu unserer handgemachten Musik.“
Die Besten nehmen im Schwarzwald auf
Das fanden auch viele berühmten Jazzer in den 60er- und 70er-Jahren. Das Studio hatte Saba-Chef Hans Georg Brunner-Schwer 1968 gegründet. Er schaffte es damals, Musikgrößen wie Oscar Peterson und Monty Alexander in den Schwarzwald zu locken.

Die Vergangenheit ist allgegenwärtig
Von diesen glorreichen Zeiten zeugen heute noch Fotos im Treppenhaus. „Als ich diese Ahnengalerie gesehen habe, ist mit aufgefallen, dass fast alle von ihnen tot sind“, sagt Kübler. Sein erster Gedanke: „Da soll auch von mir ein Bild hängen, wenn ich tot bin.“

Solch starke Gefühle verwunden wenig. Die Aufnahmesituation in Villingen ist nun mal eine besondere. Und das hängt nicht nur an den alten Mikrofonen der Marke Neumann, die in Musikerkreisen begehrt sind. „Wir haben plötzlich Dinge gehört, die wir im Proberaum nie gehört haben“, berichtet Kübler. Elemente, die den Stücken fehlen.

Historisches Umfeld inspiriert
„Wir haben uns dann überlegt, dass wir noch Percussion bei mehreren Songs hinzunehmen“, sagt Samuel Will. „Es ist einfach ein inspirierendes Umfeld.“ Der Bassist hat beobachtet, dass er selbstkritischer mit sich umgehe. „Spiele ich den Ton nur, weil ich ihn geil finde, aber eigentlich ist er nicht songdienlich?“, habe er sich häufig hinterfragt.
Gespannt auf diesen Effekt ist auch Keyboarder Nico Fietz, dessen Beitrag ja erst noch ansteht. Er habe sich daheim die Stücke intensiv angehört und sich für die Aufnahme dann einiges vorgenommen. Im Studio gelte es dann, die richtige Variante zu finden. Und es gebe Feedback von Nicht-Band-Mitgliedern.

Produzent Daniel Leguy-Madzar habe sie bei den Aufnahmen in den Hintern getreten und immer wieder aufgefordert, die Details zu ändern, sagt Kübler. „Wir haben uns drauf eingelassen und besser aufgenommen als wir es uns vorstellen konnten. Wir haben den Spirit des Songs auf die Aufnahme bekommen.“
Das Geheimnis des Studios
Eine Quelle für diese neuen Eindrücke könnte tatsächlich die Ausstattung sein. Frank Baumann ist einer von drei Vorständen im Verein MPS-Studio. Für ihn ist das Geheimnis das Konglomerat aus alter und neuer Technik.
Die Mitglieder haben sich vorgenommen, das marode Pult zu sanieren und wieder aufnahmebereit zu machen – so wie ihnen das mit den Mikrofonen gelungen ist. Lieber Anders zeichnet Baumann tatsächlich mit dem Laptop-Computer auf. Aber das ist nur eine Übergangsphase, bis die analogen Geräte wieder laufen.
Der Aufwand könnte sich lohnen. Seit der Vereinsgründung 2022 haben bereits zahlreiche Musiker die heiligen Hallen genutzt. Die Bandbreite ist groß: ein Improvisationstrio mit elektrischen Streichgeräten, ein australischer Multiinstrumentalist, ein Konzert mit Jazz und Klassik.
Diese Studio-Konzerte stehen an
„Es läuft an. Es kommt hin und wieder eine Anfrage“, sagt Baumann. Für 2024 seien bereits wieder einige Aufnahmen geplant. Der Verein blicke optimistisch in die Zukunft.

Wie von Geisterhand
Während er das sagt, fängt plötzlich die Nadel eines Messinstruments am maroden Mischpult an zu zucken. „Das ist der Saba-Geist, der hier herumspukt“, scherzt Marcel Kübler. Vielleicht auch eine Erklärung für die Inspiration, die die Musiker verspüren.