Auf den ersten Blick hat das Rennen um das Konstanzer Oberbürgermeisteramt an Tempo verloren. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten scheinen vor der anstehenden Neuwahl am 18. Oktober keine großen Sprünge mehr zu wagen. Einzig bei den Wahlkampfplakaten von Luigi Pantisano ist eine Veränderung festzustellen: Auf einigen trägt der OB-Kandidat neu eine Krawatte. Uli Burchardt lächelt Passanten dagegen nach wie vor vielerorts mit leger geöffnetem Hemdkragen entgegen.
Ist die Luft bei den OB-Kandidaten also langsam raus?
Dabei geht es für Burchardt und Pantisano doch jetzt darum, jene zu überzeugen, die bisher nicht für sie oder für jemand anderen gestimmt haben. Etwa für Andreas Hennemann, den SPD-Kandidaten, der in der ersten Wahlrunde mit 14,6 Prozent der Stimmen auf Platz drei landete und danach seinen Rückzug aus dem Rennen ums OB-Amt erklärt hatte.
Wie es Pantisano oder Burchardt gelingen kann, die vielleicht Match-entscheidenden Stimmen für sich abzugreifen, haben wir zwei Politikexperten aus Konstanz gefragt. Zum einen Jürgen Leipold, der die Konstanzer Kommunalpolitik vor allem aus der Praxis kennt: Von 1971 bis 2013 gehörte er für die SPD dem Gemeinderat der Konzilstadt an, von 1973 bis 2012 als Vorsitzender der Fraktion seiner Partei.

Zum anderen Wolfgang Seibel, der seit 1990 als Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz lehrt und den Wahlkampf nicht nur aus Bürgersicht verfolgt, sondern auch durch die wissenschaftliche Brille sieht.
Wer bekommt die Stimmen von Andreas Hennemann?
Sowohl Leipold als auch Seibel denken, dass Luigi Pantisano am ehesten die Hennemann-Wähler für sich gewinnen wird. „Rein vom politischen Spektrum und den Positionen her betrachtet, werden die Wähler von Andreas Hennemann wohl wie die Grünen-Wähler eher Pantisano ihre Stimme geben“, bringt es Politikwissenschaftler Seibel auf den Punkt.

Allerdings gibt Seibel auch zu bedenken: „Es gibt vermutlich Wähler aus dem bürgerlich-grün-liberalen Lager, die bei Pantisano eine objektive Transparenzlücke sehen, was seine Mitgliedschaft in der Partei Die Linke betrifft.“ Die Linkspartei vertrete ja Positionen, die zu Pantisanos betont grünem und basisdemokratischen Profil „beim besten Willen nicht passen“, so Seibel: „Wie die Unterstützung der Gaspipeline Nord Stream 2 oder Sympathie für autoritäre Regime in Russland oder Venezuela. Gerade bei Wählern, die bisher Hennemann gewählt haben, würde Pantisano sicher Boden gut machen, wenn er sich von solchen Positionen distanzieren würde.“
Uli Burchardt wiederum müsste aus Seibels Sicht mehr an Kontur gewinnen, um Hennemann-Wähler zu überzeugen: „Indem er einmal ganz präzise und in wenigen Sätzen sagen würde, was seine Ziele für die nächste Amtszeit in den wichtigen Punkten Wohnen, Verkehr und bei der Umsetzung der Energiewende sind.“
Was ist mit Andreas Matt? Welche Rolle spielt er noch?
Bei Politikwissenschaftler Seibel überwiegt das Erstaunen darüber, dass Andreas Matt überhaupt noch einmal angetreten ist: „Da fragen sich viele: Warum? Dass er keine Chancen hat, gewählt zu werden, müsste er ja wissen.“ Seibel ist überzeugt, dass Matt mit seiner Entscheidung, nochmals anzutreten, eher Burchardt als Pantisano schaden wird. Man könne zwar davon ausgehen, dass einige Matt-Wähler aus dem liberal-konservativen Lager ihren Favoriten nicht noch einmal wählen werden, sondern Burchardt.
„Aber am Ende könnten auch nur ein oder zwei Prozentpunkte, die an Matt anstatt an Burchardt gehen, den Ausschlag geben“, so Seibel. Leipold dagegen zweifelt, ob Matt-Wähler ihre Stimme überhaupt Burchardt geben würden: „Bei Matt geht es vor allem um die Kritik am Amtsinhaber. Deshalb glaube ich, dass seine Wähler sogar eher Pantisano wählen würden oder ihre Stimme eben einfach gar nicht abgeben.“
Welche Stimmen geben am Ende den Ausschlag?
Der lang gediente ehemalige Kommunalpolitiker Leipold denkt, dass am Ende die Jungen Match entscheidend sein könnten: „Wenn sie wirklich richtig zur Wahl gehen, werden sie den Ausgang maßgeblich beeinflussen.“ Und zwar sehr wahrscheinlich zu Gunsten von Pantisano, so Leipold: „Vor dem ersten Wahlgang habe ich nicht gesehen, dass sich Uli Burchardt großartig um die jungen Wähler bemüht hätte.“

Politikwissenschaftler Seibel sieht es ähnlich: „Bei den jungen Wählern hat Uli Burchardt vermutlich die Kurve nicht gekriegt. Vor allem mit der symbolträchtigen Entscheidung, den Zeithorizont für die klimaneutrale Stadt um fünf Jahre hinauszuschieben, hatte er im Wahlkampf vor allem bei jüngeren Wählern eine offene Flanke.“
Beide sind sich jedoch einig, dass der Wahlausgang im Wesentlichen noch offen ist. Leipold formuliert es so: „Es sind noch eine Menge Stimmen auf dem Markt. Sogar Jury Martin hatte allein mehr Stimmen als jene, die den Unterschied zwischen Pantisano und Burchardt ausgemacht haben.“