Mit einer solchen Resonanz hätten nicht einmal die Organisatoren gerechnet. Der Saal des Treffpunkt Petershausen ist voll besetzt, vorne steht Bernhard Wittlinger, der sich beim alternativen Verkehrsclub VCD engagiert. Zusammen mit zahlreichen anderen Verbänden hatte er den neuen Arbeitskreis nachhaltige Stadtentwicklung aus der Taufe gehoben. Mit dem erklärten Ziel, zusammen mit allen, die mitmachen wollen, ein "Handlungsprogramm Besser Wohnen in Konstanz" auf den Weg zu bringen. Rund 100 Konstanzer sind der Einladung gefolgt, und in Teilen ist es eine Versammlung der derzeit schärfsten Kritiker an der aktuellen Arbeit im Rathaus. Wird es also ein Abend der Konfrontation, der Beginn der nächsten Kritik-Bewegung in Konstanz? Ja und nein, wie sich zeigen wird.

Unter den Zuhörern und Diskutanten sind viele, die nicht einverstanden sind damit, wie sich Konstanz derzeit entwickelt. Christel Thorbecke und Angelika Bernecker (Tägermoos-Initiative) sind ebenso gekommen wie Antje Boll (Bund für Umwelt- und Naturschutz), Eberhard Klein (Nabu), Günther Schäfer ("Nein zu Klein Venedig") Sabine Seliger ("Das bessere Verkehrskonzept"), Sven Martin (Bürgergemeinschaft Allmannsdorf-Staad), dazu Stadträte der Freien Grünen Liste und des Jungen Forums sowie Linken-Bundestagskandidat Simon Pschorr. Und zwischen all dem kritischen Potenzial sitzen, aufmerksam zuhörend, Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn und Marion Klose, die Leiterin des Amts für Stadtplanung und Umwelt.

Großes Interesse an alternativer Stadtentwicklung: Sabine Seliger (rechts) spricht vor rund 100 Zuhörern im Treffpunkt Petershausen über ...
Großes Interesse an alternativer Stadtentwicklung: Sabine Seliger (rechts) spricht vor rund 100 Zuhörern im Treffpunkt Petershausen über neue Konzepte. | Bild: Jörg-Peter Rau

Reich verdrängt arm

Konstanz ist längst zu einer Stadt geworden, die sich viele kaum mehr leisten können, sagt Bernhard Wittlinger. 30 Prozent des Familieneinkommens fürs Wohnen auszugeben, davon könnten viele nur träumen. Sabine Seliger stellt das Projekt Wohnwerkstatt vor und erklärt, warum bei diesem sozialen Wohnprojekt alle Mieter bleiben müssen und niemand Eigentum erwerben darf: Sonst "hat man die Spekulanten unter seinem Dach." In der Stadtentwicklung, fordert sie, müsse Suffizienz einen höheren Stellenwert bekommen, also Verzicht auf Ressourcenverbrauch. Dazu könnten zum Beispiel Cluster-Wohnungen beitragen, also Wohnformen mit Gemeinschaftsküchen. Eine Baugruppe hingegen sei für sich "noch kein Qualitätsmerkmal", denn nicht immer würden wirklich soziale, sondern oft renditeorientierte Ziele verfolgt.

Der Hintergrund, vor dem sich das Panorama aufspannt, ist immer wieder Thema: Die Stadt überlässt das Siemens-Areal einem privaten Investor, das Vincentius-Gelände wurde gegen Höchstgebot an einen Immobilien-Multi verkauft, die Angst vor einem Verlust an sozialer Durchmischung wird immer wieder angesprochen, das Misstrauen ist zeitweise mit den Händen zu greifen. Doch es geht auch um autofreie Quartiere, ökologische Baustoffe, um eine höhere Pflichtquote an Sozialwohnungen und die Abkehr vom Wunschziel Einfamilienhaus. Das soll es in Konstanz nicht mehr geben, darüber herrscht im Saal offenbar weitgehende Einigkeit.

Für Antje Boll ist es ein ermutigender Auftakt, und sie erneuert ihren Vorwurf in Sachen Stadtentwicklung: "Ich glaube, dass sich die Bevölkerung tatsächlich nicht mitgenommen fühlt." Der Zuzug müsse begrenzt und die Landschaft geschützt werden. Eberhard Klein sieht es ähnlich: "Ein Handlungsprogramm Wohnen ist wichtig, aber es darf kein Handlungsprogramm Bauen sein." Es müsse "Grenzen des Wachstums" geben, wiederholt er eine oft benutzte Formulierung an dem Abend. Wie das genau funktionieren könnte, darauf gibt es in all den Wortbeiträgen des Abends allerdings keine Antwort.

Bürgermeister sieht sich bestätigt

Karl Langensteiner-Schönborn dagegen hat eine: "Im Flächennutzungsplan sind Grenzen des Wachstums aufgezeigt", sagt er nach zweieinhalb Stunden intensiver Debatte. Für alternative Wohnformen sei die Stadtverwaltung mehr als offen, genau das sei ja eines der Ziele im Projekt Zukunftsstadt – in dem nach dem Willen der FGL künftig auch die Naturschutzverbände mitreden sollen, wie die Fraktion am Tag nach der Debatte sogleich beantragte. Was er an diesem Abend gehört habe, empfinde er nicht als Kritik an dem, was im Rathaus geleistet werde, erklärt Langensteiner-Schönborn und bietet eine Zusammenarbeit zwischen den Engagierten und der Stadtverwaltung an: "Was hier diskutiert wurde, ist genau das, was wir seit zwei Jahren machen".

Am 8. März tagt der Arbeitskreis das nächste Mal. Ein ziemlich breites Bündnis für eine andere Stadtentwicklungspolitik steht, mit vielen unterschiedlichen Akteuren und auch ganz unterschiedlichen Zielen im Detail. Was aber alle eint, die an diesem Abend gekommen ist, bringt Bernhard Wittlinger auf den Punkt: "Die Situation ist extrem, so kann es nicht weitergehen." Und was konkrete Aktionen des noch jungen Arbeitskreises angeht, sagt er: "Verlasst euch drauf, da kommt noch was."

 

Bürger können mitreden

Die Stadtverwaltung lädt innerhalb weniger Tage zu zwei Informationsabenden ein, bei denen künftige große Wohnprojekte vorgestellt werden und bei denen die Bürger ihre Meinungen und Erwartungen äußern können: Am Mittwoch, 8. Februar, ist um 19 Uhr im Sitzungssaal des Verwaltungsgebäudes Untere Laube 24 das Vincentius-Areal das Thema. Wie es am Hafner mit dem geplanten riesigen Neubaugebiet für 2500 Wohnungen weitergeht, steht am Montag, 13. Februar, um 20 Uhr in der Aula der Geschwister-Scholl-Schule im Vordergrund. (rau)