Es ist morgens kurz nach neun Uhr vor dem Rewe Markt am Krebsgraben, ich komme von einem frühen Termin im Ärztehaus in der Berliner Straße und möchte etwas fürs Frühstück kaufen.

Nasskalt ist es, die Straße voller salziger Matsche, die Fußwege leidlich geräumt. Es ist mühselig, mit dem Rad die Spur zu halten, obschon die Reifen mit Spikes versehen sind. Die Kälte kriecht mir von unten die Beine hoch, der feine Eisregen von oben durchnässt die Jacke. Einzig die Aussicht auf das Frühstück in der warmen Küche daheim lockt.
Wir begrüßen uns
Da sitzt ein etwas untersetzter, graubärtiger Mann einige Meter neben dem Eingang des Supermarktes an die Wand gelehnt, unter sich nur eine dünne Decke, vor sich eine Schale mit Münzen. „Hallo“, ruft er gut gelaunt, als er mich sieht. Ich grüße zurück.
Ich bin irritiert. Warum sitzt der Mann so gut gelaunt hier auf dem eiskalten Boden, strahlt wie der Weihnachtsmann persönlich, während dieser fiese Eisregen auf ihn rieselt? Ich haste in den warmen Supermarkt, kaufe ein, denke an den Mann draußen in der Kälte und bitte die Kassiererin, mir Fünfeuroscheine herauszugeben.
Draußen drücke ich ihm einen der Scheine in die Hand, „Gott segne sie“, sagt er lächelnd mit starkem Akzent. Woher er komme, frage ich. Slowakei, sagt er, „Sie Arbeit für mich?“, fragt er. Ich verneine. Dann sprudelt es aus ihm heraus: „Wenn du kennst wen, sage, Attila macht alles, Attila gut arbeitet.“
Wohnadresse: Supermarkt-Parkplatz
Ich frage Attila Bolac, so heißt der Mann, wo er wohnt. „Wohne Auto da drüben.“ Er zeigt auf einen alten Wagen am äußersten Rand des Parkplatzes. Aber diese Kälte, wie hält er das aus, will ich wissen. Schulterzucken, geht, sagt er, muss gehen.
Für den Koch ist der Ofen aus
Attila Bolac ist gelernter Koch, bringe ich in Erfahrung. Sieben Jahre hat er in der Slowakei in einem Asia-Imbiss gearbeitet, dann kam Corona – mit verheerenden Folgen. Wenn er, so erzählt Attila Bolac, heute in seiner Heimat zehn Stunden täglich als Koch arbeite, bekomme er 300 Euro monatlich.
„Geht nicht leben“, versichert er. Deshalb versuche er sein Glück in Deutschland, hoffe hier auf Arbeit, die er noch nicht habe.
Seine Philosophie wirkt
Ist er immer so gut gelaunt, will ich wissen. „Wenn ich froh, andere auch“, gibt er zur Antwort. „Wenn du kennen jemand Arbeit, ich alles mache“, versichert er. „Ich immer hier sitze, Chef von Supermarkt lässt mich hier, wenn du Arbeit, mich hier finde, frohe Weihnacht“, gibt Attila Bolac mir zum Abschied mit.
Als ich davonfahre, winkt er hinter mir her. Irgendwie, stelle ich erstaunt fest, ist mir in der Eiseskälte im Gespräch mit Attila Bolac warm geworden. Aber vielleicht ist es auch nur Einbildung.