Der Bruder ist nicht mehr da. Die Schwester ist plötzlich weg: Wenn Geschwister nach einer schweren Krankheit verstorben sind oder einen Unfall nicht überleben, dann sind das Einschnitte im Leben von Kindern, die tiefe Spuren hinterlassen.
Bei einer Reha für verwaiste Familien in der Nachsorgeklinik Tannheim liegt ein besonderer Fokus auf den Geschwisterkindern, die den Tod des Bruders oder der Schwester erleben mussten. Kinder trauern anders als Erwachsene. Für die Eltern ist es deswegen oft schwer ersichtlich, wie es den Geschwisterkindern geht.
„In den Familien liegt der Fokus meistens zunächst auf dem Tod des Kindes. Die Eltern trauern selbst. Es ist in dieser Situation schwer, den Bedürfnissen der Geschwisterkinder gerecht zu werden“, sagt Nadine Straub. Sie ist Heilpädagogin in der Nachsorgeklinik Tannheim.

In der Reha werden verwaiste Familien in Tannheim von einem interdisziplinären Team betreut. Geschwisterkinder ab dem Alter von vier Jahren kommen in einer altershomogenen und therapeutisch geleiteten Geschwistergruppe für verwaiste Kinder zusammen.
„Die meisten Eltern kommen mit ihren Kindern hier her, weil sie wissen möchten, wie es den Geschwisterkindern geht“, erklärt Ute Löschel, Leiterin der Kinder- und Jugendabteilung in der Nachsorgeklinik Tannheim.
Doch wie trauern Kinder tatsächlich?
„Bei den Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen spüren wir die unterschiedlichen Trauerphasen, verbunden mit Emotionen wie Verzweiflung, Wut, Ängsten, Unsicherheit, Schuldgefühle, intensivem Fragen und einigem mehr. In den Gruppenstunden oder auch mal in einem Einzelgespräch beschäftigen wir uns mit diesen Emotionen, betrachten wir den Alltag zu Hause oder gehen intensiv auf die Sorgen und Fragen der Kinder ein“, erläutert Ute Löschel.
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„Die Kinder haben ihre eigenen Rituale und Symbole. Das können ein Stern, ein Schmetterling, ein Regenbogen, oder zum Beispiel auch ein Engel sein. Kleine Kinder haben noch eine ganz phantasievolle Vorstellung dessen, was nach dem Tod passiert. Oft sehen wir auch, dass die Kinder das Kuscheltier des verstorbenen Geschwisterkindes bei sich aufnehmen“, so Ute Löschel weiter.
Die Eltern werden häufig von vielen Fragen der Kinder überrascht, oft aus dem Nichts heraus. Sie bekommen dafür den Rat, die Fragen zurück zu spiegeln. Also zum Beispiel zu fragen: Was glaubst du denn, von wo Paula uns jetzt zuschaut? Es ist auch absolut in Ordnung zu antworten: Da muss ich erst mal drüber nachdenken.
Keinesfalls sollen Eltern aber die eigenen Vorstellungen vom Tod auf die Kinder übertragen, betonen beide Pädagoginnen.

Etwas anders sieht es bei älteren Geschwisterkindern aus. Nadine Straub berichtet: „Fotos sind hier etwas ganz Wichtiges. Meist sind sie auf dem Handy immer dabei.“ Eine typische Reaktion älterer Kinder sei es, sich von der Familie zurückzuziehen, sich abzuschotten und das Problem mit sich selbst auszumachen. Sie wollen ihre Eltern nicht noch mehr belasten.
Freunde seien in diesem Fall ganz wichtig. Sie können ebenso auffangen und ablenken wie die Strukturen des Alltags mit Schule oder zum Beispiel Vereinstätigkeiten.
Schuldgefühle sind nicht gut
Auch Schuldgefühle kämen regelmäßig vor: Warum haben wir beide nur so oft gestritten? Warum wollte ich unbedingt das Fernsehprogramm bestimmen? Ganz alltägliche Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern, die in jeder Familie vorkommen, werden im Nachhinein zum Ballast.
„Diese Schuldgefühle versuchen wir den Geschwistern zu nehmen. Der Tod oder der Unfall sind oft noch sehr präsent. Wir rücken das Positive, die schöne gemeinsame Zeit wieder in den Mittelpunkt“, sagt Nadine Straub.
Und auch ältere Geschwisterkinder und Jugendliche entwickeln ihre Rituale. So gehen sie vielleicht alleine auf den Friedhof oder denken vor dem ins Bett gehen nochmal ganz bewusst an das verstorbene Geschwisterkind.
Es fehlt plötzlich der Verbündete oder der Rivale
Der Tod eines Geschwisterkindes ist immer ein Verlust auf mehreren Ebenen: da zerbricht die einmalige Beziehung zu einer Schwester oder einem Bruder. Es fehlt eine Verbündete, ein Verbündeter oder der Rivale, mit dem auch mal gestritten werden konnte, ist nicht mehr da.
Die Geschwisterkinder erfahren auch einen Rollenverlust. Plötzlich bin ich wieder die Jüngere, bin jetzt der Älteste von mehreren Geschwistern oder bin zu einem Einzelkind geworden.
Immer aber bricht ein Teil der elterlichen Fürsorge weg, denn diese sind mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt.

Ute Löschel und Nadine Straub erklären; „Nach der vierwöchigen Reha in der Nachsorgeklinik Tannheim bekommen die Familien von uns eine fachlich fundierte Einschätzung zum Trauerprozess der Geschwisterkinder mit nach Hause. Wir geben Hinweise und Empfehlungen, sollte eine weitergehende ambulante Begleitung erforderlich sein. Die kann zum Beispiel in Kinder- oder Jugendtrauergruppen erfolgen, in einer Kinder- und Jugendpsychotherapie oder auch in Spielgruppen oder bei einer Heilpädagogin vor Ort.
Zum Abschluss des Gesprächs betont Nadine Straub: „Es ist sehr gut, dass die Thematik der Trauerarbeit für Kinder und Jugendliche immer mehr in den Fokus rückt.“
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