Wenn man in der Region nach berühmten Künstlern fragt, fällt der Name Otto Dix. Der Maler hatte in der Weimarer Republik durch seine sozialkritischen Werke Berühmtheit erlangt. Szenen aus dem Berliner Rotlichtmilieu, Porträts von Kriegsgeschädigten kennt fast jeder. Es war also keine Überraschung, dass sich im Singener Ratssaal jüngst ein zumeist gut informiertes Publikum zu einem Vortrag der Hamburger Dix-Expertin Ina Jessen versammelte.

Entlassung und Klassenauflösung

Genau die bekannten sozialkritischen Bilder des Künstlers waren den ab 1933 herrschenden Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Ihnen passte nicht, dass Otto Dix gesellschaftliche Missstände aufgriff. Schon im April 1933 erhielt Otto Dix seine fristlose Entlassung als Lehrer der Dresdener Akademie. Die Dix-Klasse wurde aufgelöst. 260 seiner Bilder waren im Katalog der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ gelistet. Das künstlerische Aus schien besiegelt.

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Doch Otto Dix malte weiter, zunächst am Zufluchtsort auf Schloss Randegg und dann in Hemmenhofen, wohin er sich mit seiner Familie zurückgezogen hatte. Dort betreibt heute ein Förderverein unter Vorsitz des früheren Kreisarchivars Wolfgang Kramer das Museum Haus Dix. Eng damit verbunden ist die kunsthistorische Aufarbeitung des Gesamtwerkes von Otto Dix.

Das Singener Kunstmuseum verfügt über eine beträchtliche Sammlung von Arbeiten des Malers, weshalb auch Museumsleiter Christoph Bauer in der aktuellen Dix-Forschung ein begehrter Ansprechpartner ist. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass der Singener Stadtrat seine Sitzungen mit Blick auf „Krieg und Frieden“ abhält, dem einzigen erhaltenen monumentalen Wandgemälde des Künstlers.

Neuer Blick auf altbekannte Kunstwerke

Ina Jessen beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss die Diktatur auf den Künstler und sein Werk hatte. Auffällig ist der krasse Stilwechsel im Werk von Otto Dix nach dem Umzug in den Hegau und auf die Höri. Die neuere Forschung ist dazu übergegangen, Stilrichtungen nicht mehr mit der politischen Haltung gleichzusetzen. Das erleichtert die Werksbetrachtung.

Ina Jessen, Christoph Bauer (Kunstmuseum Singen) und Wolfgang Kramer nach dem Vortrag über Otto Dix in Singen. Bild: Gudrun Trautmann
Ina Jessen, Christoph Bauer (Kunstmuseum Singen) und Wolfgang Kramer nach dem Vortrag über Otto Dix in Singen. Bild: Gudrun Trautmann | Bild: Trautmann, Gudrun

In Randegg und auf der Höri widmete sich der Künstler hauptsächlich einer klassisch anmutenden Landschaftsmalerei. Kaum noch Porträts, außer bei Auftragsarbeiten; keine offene Gesellschaftskritik mehr. Hier setzt Ina Jessens Forschung an. Sie hat untersucht, ob der Maler sich dem Zeitgeist unterordnete, indem er künstlerische Tradition alter Meister im Stile von Caspar David Friedrich aufgriff. „War die modifizierte Arbeitsweise der angespannten finanziellen Situation geschuldet?“, fragt die Kunsthistorikerin. Ab 1936 wurden alle Ausstellungsbeteiligungen abgesagt. Aufträge hatte Dix trotzdem.

Ausstellungstätigkeit blieb verboten

Das Gemälde „Aufbrechendes Eis“, das im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen hängt, dient Ina Jessen als Musterbeispiel für die symbolische Kritik, die Otto Dix in dem Landschaftsbild versteckt hat. Es ist der Blick des Künstlers von seinem Wohnsitz auf der Höri auf das gegenüber liegende Schweizerische Steckborn.

Im Kriegswinter 1940 hatten die Schweizer Nachbarn aus Angst vor einmarschierenden deutschen Wehrmachtstruppen das Eis im zugefrorenen Untersee aufgebrochen. Die menschenleere Landschaft vermittle eine morbide Stimmung, erklärt Jessen. Das gebrochene Eis lasse auch noch die letzte Zuversicht schwinden. Das von grellem Licht beleuchtete Steckborn wird unerreichbar.

Das Schweizer Seeufer – so nah und doch so fern

Archive belegen laut Wolfgang Kramer, dass Schaffhauser Bürger aus Angst vor einem Einmarsch der Nazis panikartig in die Innerschweiz flohen. Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber dem Regime und obwohl er von der Gestapo drangsaliert wurde, besaß Otto Dix einen Ausweis der Reichskulturkammer. So durfte er immer weiter arbeiten, allerdings nicht ausstellen, weil die Nationalsozialisten seine Bilder als sittlichkeitsgefährdend eingestuft hatten.

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Ein anderes, bekanntes Beispiel ist das Gemälde „Judenfriedhof in Randegg“ aus dem Jahr 1935. Ina Jessen verweist auf die bedrohlich wirkende deutsche Eiche gegenüber den Gräbern. Die Szenerie zeigt eine menschenleere Winterlandschaft.

Jessen hat zahlreiche Briefe und Schriften ausgewertet. Antisemitische Äußerungen von Otto Dix habe sie nicht gefunden. In dem Bild habe Dix die staatlich legitimierte Diffamierung der Juden thematisiert. Seine Gesellschaftskritik verpackte er subtil in Landschaftsbilder, die von der Kunstszene lange verkannt waren.

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