Statistiken zufolge treten jährlich gut 280.000 Schlaganfälle deutschlandweit auf. Darunter gibt es auch viele junge, sportliche Menschen mit einer gesunden Lebensweise. Lässt sich überhaupt eine Risikogruppe klar definieren?
Eindeutig ist das Alter, und damit gehäuft auftretende Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen oder Gefäßeinengungen, ein wichtiger Risikofaktor. Viele dieser Erkrankungen sind auf eine langjährige, ungesunde Lebensweise zurückzuführen, wie Rauchen, Übergewicht oder nicht behandelter Bluthochdruck. Sehr viel seltener sind Menschen unterhalb des 45. Lebensjahres durch einen Schlaganfall betroffen, hier spielen häufig ganz andere Ursachen eine Rolle.
Welche sind das?
Hier kann ein Schlaganfall beispielsweise durch einen Riss in der Innenwand einer Kopfschlagader oder als Folge einer Gefäßentzündung ausgelöst werden. Das sind dann aber eher „schicksalhafte“ Erkrankungen.
Der Faktor Zeit ist bei der Schlaganfallbehandlung enorm wichtig, das heißt, möglichst bei den ersten Anzeichen die 112 wählen. Wie kann sich ein Schlaganfall typischerweise äußern?
Die typischen Schlaganfallsymptome sind Gefühls-, Seh- und Sprachstörungen, Gangunsicherheit, einseitige Lähmungserscheinungen sowie zum Teil zusätzliche starke Kopfschmerzen.
Wie ist der Landkreis Konstanz insgesamt bei der Versorgung von Schlaganfallpatienten aufgestellt?
Seit über 20 Jahren stellen wir mit zwei vom Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg ausgewiesenen Schlaganfallstationen die medizinische Versorgung akuter Schlaganfälle im Landkreis sicher. Im Klinikum Singen haben wir dafür in der Stroke Unit sechs Betten, im Klinikum Konstanz vier.
Stroke Unit, für den Laien, was ist das?
Die Stroke Unit bietet Patienten eine Versorgung auf hohem Niveau, das heißt optimierte Abläufe in der Notaufnahme des Krankenhauses mit einer raschen Diagnostik und Monitorüberwachung sowie die Betreuung durch ein spezialisiertes Team, das aus Ärzten, Pflegekräften, Krankengymnasten und Sprachtherapeuten besteht. Unser Ziel ist es, so lebensbedrohliche Komplikationen wie Lungenentzündung, Thrombosen und Kreislaufstörungen so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist, bereits in den ersten Tagen die Ursache des Schlaganfalls zu diagnostizieren, um die weiterführende Therapie optimal anzupassen.
Das heißt, Sie können für den Landkreis das komplette Behandlungsspektrum leisten?
In der Akutphase ja, denn dort ist der interdisziplinäre Ansatz bei der Abklärung und Behandlung der Schlaganfallursachen wichtig. Zudem sind wir Mitglied im neurovaskulären Netzwerk (INVAS) der Uni-Klinik Freiburg und haben so die Möglichkeit, Patienten für komplexe Behandlungen, wie eine Katheter-Intervention an den hirnversorgenden Arterien, notfallmäßig nach Freiburg zu verlegen. Mit dem Hubschrauber ist das in 17-minütiger Flugzeit möglich.
Etwa 30 Prozent der Patienten versterben nach einem Schlaganfall innerhalb eines Jahres. So haben 70 Prozent gute Chance zur Rehabilitation. Was ist neben einer zeitnahen Erstversorgung dafür wichtig?
Eine zeitnahe und individuelle medikamentöse Einstellung, die sich an den Ursachen des Schlaganfalls orientiert. Zudem ist eine dauerhafte Lebensstiländerungen unumgänglich, um Risikofaktoren zu minimieren. Dazu gehören in erster Linie Bluthochdruck und Diabetes mellitus medikamentös einzustellen, Übergewicht zu reduzieren sowie auf Nikotin zu verzichten. Zudem ist eine Neurorehabilitation sowie die ambulante Weiterbetreuung durch Hausärzte und Neurologen unabdingbar. Unter den überlebenden Schlaganfallpatienten erholen sich etwa 50 Prozent so weit, dass sie ein völlig uneingeschränktes Leben weiterführen können. Diese mutmachende Zahl ist nicht zuletzt auf die flächendeckenden Stroke Units in den Landkreisen und neue Behandlungsmöglichkeiten zurückzuführen.
Schlaganfallpatienten sind oft unsicher, wieder am normalen Leben teilzunehmen. Für wie wichtig halten Sie den Austausch unter Betroffenen, wie er beispielsweise in Schlaganfallgruppen stattfindet?
Der Kontakt zu Selbsthilfegruppen ist bei allen chronischen Erkrankungen hilfreich, da der Austausch mit Betroffenen hilft, viele durch die Erkrankung entstandenen Alltagsprobleme besser zu bewältigen.
Jüngst fand der „Tag gegen den Schlaganfall“ unter dem Motto „Ein bisschen was geht immer!“ statt. Was bringen diese Tage?
Es geht darum, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren und zu zeigen, dass zur Vorbeugung Bewegung im Alltag Wunder wirken kann. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt pro Woche mindestens 150 Minuten moderate Bewegung. Damit lässt sich das Schlaganfall-Risiko um 50 Prozent senken. Und da gibt es keine Ausreden. Spazierengehen, Wandern, Radfahren, Schwimmen, Joggen sind geeignete Aktivitäten. Nehmen Sie die Treppe und nicht den Aufzug, meiden Sie E-Roller und E-Bikes. Es ist nie zu spät, anzufangen.
Fragen: Nicola Maria Reimer