Nicht unbedingt mit Opern verwöhnt sind die Radolfzeller und die weiteren See-Anrainer. Denn für ein Opern-Erlebnis muss man schon nach Stuttgart, Zürich oder St. Gallen aufbrechen, um nur die nächstgelegenen Orte zu nennen, die über ein Opernhaus verfügen. Vielleicht auch wegen dieses Mangels an Übung und Gelegenheiten war der große Saal im Milchwerk beim Auftritt der Opernband The Cast beim Milchwerk Musik Festival mit etwa 200 Besuchern eher spärlich besetzt.

Das Publikum wird selbst aktiv

Aber die Opern-Begeisterung könnte sich nach deren Show durchaus ändern: Denn die „Rockstars der Oper“, wie das Ensemble gerne angekündigt wird, machten einen frischen Zugang zum als eher schwierig geltenden Genre möglich. „Vergessen Sie die leidige Klatschfrage, klatschen Sie immer, wenn Ihnen danach zumute ist, jubeln Sie laut, filmen und fotografieren Sie, was das Zeug hält“, empfahl Bass-Sänger Campbell Vertesi gleich zu Beginn.

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Das taten die Besucher denn auch, und sie durchlebten einen Opern-Abend, wie er in früheren Zeiten durchaus üblich war: Begeistertes Klatschen auch mitten in der Arie, laute Zurufe und Mitsingen waren erwünscht und zeigten den Akteuren, dass das Publikum mit der Musik zufrieden war. Und dass das Publikum auch selbst aktiv werden kann, zeigte sich spätestens im sogenannten „Chor der Zigeuner“ aus Verdis Troubadour: Die eine Saal-Hälfte klatschte, die andere stampfte im Takt und erzeugte so Amboss-Schläge für die Atmosphäre.

Rock-Gitarre in der Oper

Mit der schmissigen und flott dargebotenen Arie des Figaro aus Rossinis „Der Barbier von Sevilla“, dieses Mal von allen fünf Ensemble-Mitgliedern als Entree gesungen, hatte The Cast das Publikum sofort auf seiner Seite. Und im italienischen Gassenhauser „O sole mio“ konnte Tenor Rubén Olivares gleich mit schmelzendem Belcanto glänzen.

Bass-Sänger Campbell Vertesi imitiert die Rock-Gitarre im Oratorium.
Bass-Sänger Campbell Vertesi imitiert die Rock-Gitarre im Oratorium. | Bild: Veronika Pantel

Besonders steif sei das Genre Oratorium, sagte Bassist Campbell Vertesi und er versprach eine Rock-Gitarre als Solo für Stimme in der Arie aus Händels Oratorium „Der Messias“. Tatsächlich gestaltete er die gestoßenen Koloraturen, als würden sie an der Gitarre gezupft.

Großes Können der Solisten

Jedes Mitglied stellte sich auch in Solo-Arien vor: Sopranistin CarrieAnne Winter glänzte in der Koloratur-Arie „Da tempeste“ aus Händels „Julius Cäsar“, wobei sie die Spitzentöne sogar noch im Liegestütz singen konnte, und Sopranistin Aleksandra Zarubina überzeugte im zauberhaften „Lied an den Mond“ aus Dvoraks „Rusalka“ mit innig geführter, lyrischer Stimme.

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Mezzosopranistin Anne Byrne schlüpfte in Verdis „Der Troubadour“ in die Rolle der Azucena und schilderte mit dramatischem Timbre und pantomimischer Untermalung, wie ihre Mutter einen Racheauftrag ausführte und statt des gräflichen Kindes ihr eigenes Kind in die lodernden Flammen warf.

Bühnen-Show überzeugt

Liebe, Treue, Eifersucht, Rache, Verwirrung, Tod und Trauer rühren in der Oper tiefste Gefühle an, besonders, weil sie von genialen Komponisten in Musik verwandelt werden. Puccinis „La Bohème“ ist das Bravourstück für faszinierend intensive Gefühle, die Musik auslösen kann: Das Quartett von Rodolfo und Mimi, die sich zärtlich verbunden wissen, kontrastieren Marcello und Musette, die wütend und schimpfend aufeinander losgehen.

Ob sich gerade dieses Quartett für parodistische Brechung eignet, sei dahingestellt. Jedenfalls lösten The Cast die Konflikte auf ihre Weise: Mit markigen bis fast grenzwertigen Untertiteln, nämlich Satzfragmenten und vulgären Sätzen, die auf große Papierbögen geschrieben wurden, nahmen sie der Szene jegliche innige und dramatische Stimmung.

Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ mit Untertiteln.
Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ mit Untertiteln. | Bild: Veronika Pantel

Das blieb dann aber der einzige Ausrutscher ins Klamaukige: Insgesamt überzeugten The Cast zusammen mit ihrem genialen Begleiter Yu Chen am Flügel mit Liebe zur Oper, warteten mit gut ausgebildeten Stimmen und großer Musikalität auf und überzeugten mit einer lockeren Bühnen-Show, die nach dem Hineinschnuppern ins Genre durchaus Lust auf mehr Oper machen kann.