Ein Gesundheitsnetzwerk, was soll das sein? „Wir beschäftigen uns mit den 4Ds,“ sagt Projektleiterin Eva Botzenhart-Eggstein. Die vier Ds stehen für Diagnostik, Devices (Geräte), Drugs (Medikamente) und Data (Daten). Mit Devices sind medizinische Geräte vom Blutdruckmessgerät bis hin zu komplizierten OP-Apparaturen gemeint. „Drugs“ steht für Pharmazie. Und „Data“ für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Medizintechnik.
Biolago leitet Projekt zu Bluthochdruck
Klingt kompliziert. Ist es auch. Aber es lohnt den Aufwand, denn die Arbeit des Biolago-Netzwerks soll Millionen von Menschen zugute kommen: Es geht dabei immer um deren Gesundheit. So leitet Biolago beispielsweise ein regionales Projekt in Steißlingen, dass dort ein „Telemedizinisches Versorgungszentrum“ aufbaut. „In Deutschland leiden 25 bis 30 Millionen Menschen an Bluthochdruck“, erklärt Projektleiter Carlos Lange-Prollius.
Und in der Gruppe der Senioren über 65 ist der Anteil besonders hoch. „Drei von vieren haben das Problem.“ Im Pilotprojekt sollen nun ausgesuchte ältere Patienten in Steißlingen und Umgebung Tablets erhalten, auf denen eine App installiert ist, mit der man drei- bis viermal täglich seine Blutwerte messen und an einen Hausarzt in Steißlingen übermitteln kann. Dieser legt Grenzwerte fest, ein Ampelsystem wird installiert. Schaltet dies auf Rot, ist Alarm angesagt.
„Im ländlichen Bereich werden in Deutschland in den nächsten Jahren bis zu 50 Prozent der Hausärzte altersbedingt aufhören“, sagt Lange-Prollius. Bislang ist nicht genug Nachwuchs in Sicht, da braucht es neue Formen der medizinischen Betreuung, so wie in Steißlingen geplant. „Ein niederschwelliges Angebot für die Senioren, die natürlich im Umgang mit den Tablets geschult werden müssen.“
Und denkbar ist dann eine Ausweitung auf Diabetes und andere Parameter. Zuckerkranke messen zum Beispiel selbst ihren Blutzuckergehalt und übermitteln die Daten. „Und wenn dieses Leuchtturmprojekt funktioniert, kann man das natürlich länderübergreifend in der ganzen Bodenseeregion und später in ganz Deutschland, unter Umständen sogar europaweit installieren.“ Millionen von Menschen wäre geholfen.
Digitales Ökosystem soll Firmen vernetzen
Eva Botzenhart-Eggstein betreut ein Projekt, das den schwer auszusprechenden Namen „Aiqnet“ trägt. Vor einigen Jahren gab es einen Skandal mit unreinen Brustimplantaten. Die EU erließ eine Verordnung: Alle Firmen, die Medizintechnik-Produkte herstellen, müssen nun nicht mehr nur am Anfang, sondern in regelmäßigen Abständen beweisen, dass diese genauso sicher sind wie zu Beginn. „Aber diesen finanziellen und zeitlichen Aufwand können sich kleine und mittelständische Firmen oft nicht leisten“, sagt Botzenhart-Eggstein. Denn dazu muss man aufwendige Studien durchführen.
Das Aiqnet-Projekt von Biolago will nun die Firmen so vernetzen, ein „digitales Ökosystem“ aufbauen, wie es Botzenhart-Eggstein nennt, dass sie ihre Daten austauschen können. Ein großes Ding, das Bundeswirtschaftsministerium fördert mit rund 9 Millionen Euro, 16 Partner sind beteiligt. Biolago bekommt davon 300.000 Euro über drei Jahre. Was erstmal viel klingt. Doch der Arbeitsaufwand, das zu organisieren und zu koordinieren, ist riesig. „Aber letztlich bringt auch dieses Projekt wie alle anderen die Gesundheitsversorgung voran.“
Ein Ziel, dem sich alle bei Biolago ganz verschrieben haben. Und so ist man beim EU-geförderten Trace-Bot-Projekt dabei, wenn es darum geht, einen denkfähigen Roboter fürs Labor zu entwickeln, der komplizierte Sterilitäts-Tests selbstständig durchführen kann. Sieben Partner aus Deutschland, England, Frankreich, Österreich und Spanien bekommen dafür auf vier Jahre 7 Millionen Euro aus einem speziellen Förderprogramm.
Biolago koordiniert das Projekt und steuert die gesamte Kommunikation. Genauso wie man sich für Künstliche Intelligenz interessiert, die mittels Bilderkennung herausoperierte Gewebe auf letzte bösartige Krebszellen untersucht und das mühsame Analysieren unterm Mikroskop ersetzt.
Das Unternehmen war eine Stammtischidee
Und wie hat es mit Biolago angefangen? „Es war eine Stammtischidee,“ erklärt Projektleiter Lange-Prollius. „Forscher der Uni Konstanz haben sich mit regionalen Unternehmern zusammengesetzt und überlegt: Wie kriegen wir das hin, dass die Akteure aus der Gesundheitsindustrie in der Bodenseeregion voneinander wissen?“
Wirtschaft und Wissenschaft sollten zusammengebracht werden. Inzwischen sind Hochschulen und Kliniken rund um den Bodensee aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein involviert und 140 Firmen dem Netzwerk beigetreten, darunter Weltmarkführer wie Takeda oder Vetter bis hin zu kleinen Betrieben und Start-Ups. Der nicht gewinnorientierte Verein Biolago wird dabei getragen von einem ehrenamtlichen Vorstand unter Vorsitz von Klaus P. Schäfer, der mit seiner Erfahrung und seinen Verbindungen wesentlich dazu beiträgt, dass Biolago so bedeutend geworden ist.
Und was treibt die Mitarbeitenden an? Botzenhart-Eggstein steht zu ihrer Verbundenheit mit der Region. Sie will zeigen, dass die Vierländerregion Bodensee „unheimlich tolle Innovationen in der Gesundheitsindustrie“ zu bieten habe. „Wir haben hier Unternehmen, die die ganze Welt beliefern.“ So trage zum Beispiel die Konstanzer trenzyme GmbH wesentlich zur Covid-19-Forschung mit der Herstellung von Oberflächenproteinen bei. „Die Region nach vorne bringen“, das motiviere sie.
Praktikant Tobias Zülam ist froh, bei einem „Non-Profit-Unternehmen mit Sinn“ dabei zu sein. Und Carlos Lange-Prollius sieht in der engen Zusammenarbeit aller Beteiligten das große Plus. „Wissen Sie, Aesculap verkauft schon lange sein Besteck an die Charité in Berlin.“ Aber jetzt würden eben auch Daten, Wissen und vieles mehr ausgetauscht, es seien Experten aus der Bodensee-Region involviert, man kommuniziere inzwischen höchstprofessionell mit Biolago, nötige Projekte würden gemeinsam angegangen. Das begeistere ihn. Und dass sie jungen Start-Ups dabei helfen, potenzielle Geschäftspartner, Investoren und Kunden zu finden, dass sie fortbilden und bei der Finanzierung beraten, ist selbstredend.
Telemedizin auf dem Land, Proteine für die Covid-19-Forschung, Studien zur Sicherheit von Brustimplantaten, Forschung für die Krebsdiagnostik – dem Bodensee-Netzwerk Biolago geht die Arbeit nicht aus. „Wir sind extrem beschäftigt!“, sagt Carlos Lange-Prollius. Hoffentlich wird diese Arbeit der Gesundheit unzähliger Menschen zugutekommen.