Als Ursula Wolschendorf eines Nachts nach Hause kam, fehlte etwas. „Vor meinem Balkon war eine Glyzinie komplett abgesägt, die wuchs vorher drei Stockwerke hoch“, erzählt die 79-jährige Allmannsdorferin. Das fiel ihr sogar in der Dunkelheit auf.

Schnell schaute sie zu ihrem zweiten Balkon. „Da war zum Glück alles noch da“, erzählt sie dem SÜDKURIER. Aber nicht lange: „Am nächsten Morgen kamen die Gärtner der Wobak zu mir und sägten auch hier den schönen Blauregen ab.“

(Symbolbild) So sieht der Blauregen während seiner Blüte aus.
(Symbolbild) So sieht der Blauregen während seiner Blüte aus. | Bild: Helmut Kohler | SK-Archiv

Außerdem seien weitere Glyzinien in ihrem Block in der Jungerhalde abgeholzt worden, und an ihrer Terrasse wurde der wilde Wein entfernt. „Der bildete einen wunderbaren grünen Vorhang“, sagt sie traurig.

Und eine Thuja (Lebensbaum) vor ihrem Balkon wurde stark gestutzt. „Die steht jetzt als halber Baum da, Wasser kann in die ungeschützten Stämme eindringen“, so Wolschendorf. Alle Pflanzen hätten keine Berührung zu den Hauswänden gehabt und somit keine Fassade zerstört.

Dieser Lebensbaum vor ihrem Balkon wurde auf der Hälfte abgesägt. Auch das macht Ursula Wolschendorf traurig.
Dieser Lebensbaum vor ihrem Balkon wurde auf der Hälfte abgesägt. Auch das macht Ursula Wolschendorf traurig. | Bild: Kirsten Astor

Wolschendorf: „Ich war im Innersten verletzt“

Ursula Wolschendorf, die seit jeher eine enge Verbindung zur Natur spürt, war nach dieser für sie überraschenden Aktion „unfassbar traurig und hilflos“. „Die Terrassen waren meine kleinen grünen Oasen, nun sind der Sonnen-, Wind- und Sichtschutz sowie die Vögel weg“, schrieb sie in einem Brief an die städtische Wohnungsbaugesellschaft Konstanz (Wobak) und an Naturschutzverbände.

„Das war nicht nur ein Eingriff in die wehrlose Natur, sondern auch in mein Wohlergehen“, sagt die ehemalige Grundschullehrerin. „Ich war im Innersten verletzt.“ Besonders stört sie sich daran, dass die Wobak ihr vorher nichts von der Abholzung gesagt habe.

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Ursula Wolschendorf ist immer dann aktiv, wenn es Bäumen an den Kragen geht. Bei den Aktionen für die Pappeln im Tägermoos war sie genauso dabei wie bei anderen Aktivitäten für gefällte Bäume. „Ich möchte den Pflanzen eine Stimme geben“, sagt die 79-Jährige, die in ihrer Wohnung getrocknete Blätter von der Seestraße, Stöcke und Steine sammelt.

Ursula Wolschendorf kämpft für den Erhalt von Bäumen und Pflanzen. In einem Ordner sammelt sie Dokumente von Aktionen, an denen sie ...
Ursula Wolschendorf kämpft für den Erhalt von Bäumen und Pflanzen. In einem Ordner sammelt sie Dokumente von Aktionen, an denen sie mitwirkte. | Bild: Kirsten Astor

Wobak sagt: Glyzinien richteten Schäden an

Die Wobak sieht das Ganze etwas anders. „Die Glyzinien sowie der wilde Wein hatten sich ausgreifend an Balkone und bis zur Regenrinne gerankt. Dadurch war die Bausubstanz an verschiedenen Stellen gefährdet“, schreibt Malte Heinrich von der Geschäftsführung. Die Regenrinne sei bereits verbogen worden, daraufhin sei es zu Verstopfungen gekommen und das Wasser floss an der Fassade oder über die Balkone ab.

Außerdem seien die Stahlstreben an den Balkonen teilweise durch den rankenden Blauregen leicht verbogen worden. „Irgendwann wären die Stahlstreben als statisches Element ausgefallen und der Balkon hätte aus Sicherheitsgründen für die Nutzung gesperrt werden müssen“, so Heinrich.

Glyzinien sind starke Kletterpflanzen. Dieses Bild zeigt, wie sich der Blauregen in der Jungerhalde um einen Balkon gewickelt hatte.
Glyzinien sind starke Kletterpflanzen. Dieses Bild zeigt, wie sich der Blauregen in der Jungerhalde um einen Balkon gewickelt hatte. | Bild: Wobak Konstanz

Der Wuchs der Thuja habe es unmöglich gemacht, manche der Fenster am Gebäude zu öffnen. Ursula Wolschendorf schaut an den nun sehr kargen Balkonen empor und kann keine verbogenen Streben erkennen. „Und der Lebensbaum steht so weit weg von den Fenstern, dass er damit nichts zu tun hatte“, meint sie.

„Wenn man die Glyzinien regelmäßiger geschnitten hätte, wären keine Schäden entstanden“, sagt die 79-Jährige. „Sie einfach abzusägen, ist die billigste Lösung.“ Malte Heinrich widerspricht: Selbst durch regelmäßige Rückschnitte könne die Bausubstanz gefährdet sein.

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Die Bewohner seien auch durchaus vor dem Eingriff von den Gärtnern informiert worden. „Wir können jedoch nicht ausschließen, dass einzelne Mieter dabei nicht angesprochen wurden“, so Heinrich. Die meisten Bewohner hätten die Ankündigung der Arbeiten „ausgesprochen positiv“ angenommen, weil sie dadurch mehr Sonne auf dem Balkon und weniger Insekten in der Wohnung haben.

„Gutsherrenmäßiges Vorgehen“

Die Bürgervereinigung Allmannsdorf-Staad (BAS) findet das Agieren der Wobak aber ebenfalls fragwürdig: „In Zeiten des Klimawandels sind funktionierende Gärten und Kleinode wichtig für das Mikroklima in den Quartieren“, sagt der Vorsitzende Sven Martin. „Das Vorgehen der Wobak ist aus meiner Sicht gutsherrenmäßig. Falls Rückschnitte nötig sind, sollten diese mit den Bewohnern gemeinsam besprochen und durchgeführt werden. Hier geht es um Respekt und Wertschätzung.“

Auch die Naturschützer bedauern das Entfernen der Pflanzen. So sagt Jarid Zimmermann, Geschäftsleiter der BUND-Ortsgruppe Konstanz: „Allgemein erfüllt Fassadengrün viele wichtige Funktionen. Neben der Begünstigung des Artenreichtums kühlt es die Umgebung an heißen Tagen durch Verdunstung, erhöht die Luftqualität, verringert die Lärmbelästigung durch Schalldämmung, sorgt für Isolation der Wände und natürlich trägt es zu Gesundheit und Wohlbefinden der Anwohner bei.“

„Fassadengrün erfüllt viele wichtige Funktionen“, sagt Jarid Zimmermann, Geschäftsführer der BUND-Ortsgruppe Konstanz.
„Fassadengrün erfüllt viele wichtige Funktionen“, sagt Jarid Zimmermann, Geschäftsführer der BUND-Ortsgruppe Konstanz. | Bild: BUND Konstanz

Lorenz Mattes vom Vorstand der Konstanzer Nabu-Ortsgruppe ergänzt: „Bei Regen bremsen die Blätter das Wasser, bis es am Boden ankommt. So wird bei Starkregen die Spitzenlast in der Kanalisation reduziert.“ Sowohl die innerstädtische Biodiversität als auch das Stadtklima seien für unsere Gesellschaft sehr wichtige Güter.

So sei es wünschenswert, wenn bestehende Bepflanzungen erhalten würden, „anstelle sie zu entfernen und dann aufwändig neu zu pflanzen“, sagt Jarid Zimmermann. Doch wenn es schon zu spät ist, sollte unbedingt Ersatz her.

Das hat die Wobak ohnehin geplant, wie Malte Heinrich schreibt: „Wir haben vorgesehen, ab März oder April (nach Witterungslage) eine Ersatzbepflanzung mit schnell rankenden Gewächsen vorzunehmen. Diese würden aber an ihrer Rankhilfe verbleiben und nicht auf die Balkone ausgreifen. In diesem Sinne hoffen wir, dass auch Frau Wolschendorf sich ab dem Frühjahr wieder an mehr Pflanzen freuen kann.“

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