Zuletzt war es manchmal zu viel. Im Spätsommer, als es auf die geplante Großdemonstration von Fridays for Future am 20. September zuging, hat Julian Kratzer bis zu 30 Wochenstunden für das Klimaengagement aufgewandt. Nebenbei jobbte er im Osiander-Café, aber nur zehn Stunden, mehr fürs Geld.
Hauptberuflich Aktivist? Das Gefühl hatten die Klimaschützer immer wieder, wenn Schule, Studium oder Beruf Nebensache wurden und das politische Engagement den Tag und manchmal auch die halbe Nacht ausfüllten.
Schon längst hätte sich Julian Kratzer an den Schauspielschulen Deutschlands bewerben wollen. Er kommt bloß nicht zum Lernen. Erst jetzt hat er erste Termine zum Vorsprechen. Sein Abitur liegt bereits ein Dreivierteljahr zurück.
Auch Maja Werner, 17, Schülerin am Humboldt-Gymnasium, hat viel Zeit in die Bewegung gesteckt. Sie nimmt einen Schluck Bionade und sagt nachdenklich: „Im November habe ich mich für zu viele Arbeitsgruppen interessiert. Kurzfristig war ich völlig überfordert.“

Wie geht es der Motivation nach einem Jahr?
Gar nicht so schlecht. Beide Aktivisten haben das Gefühl, dass die Bewegung „sehr, sehr viel erreicht hat“, wie Maja Werner es formuliert.
Julian Kratzer schildert, wie sich seine Zielsetzung im Lauf des Engagements änderte: „Als ich anfing bei FFF, dachte ich, wir erreichen die Politik. Das war nur bedingt der Fall – etwa beim Klimanotstand. Jetzt denke ich, okay, immerhin erreichen wir die Menschen.“
Wie man auf die Politik einwirkt
Bei der Reaktion der Politik auf die Demos, die 2019 überall in Deutschland und global stattfanden, ziehen die Klimaschützer eine gemischte Bilanz.
„Ich habe vor allem gelernt, wie lang die Politik sich erlauben kann, Dinge zu ignorieren, bevor sie dafür Konsequenzen spürt“, sagt Kratzer. Am größten war die Enttäuschung, als die Bundesregierung am 20. September ihr Klimapaket vorstellte.

Wenn‘s dem Image dient, ist die Politik dabei
Der 21-Jährige sieht aber einen Hebel, den die Bewegung nutzen kann: „Wenn sich Politiker allerdings in ein gutes Licht rücken können, dann fällt es ihnen leichter, sich in Richtung Klimaschutz zu bewegen.“ Damit erinnert er daran, dass Konstanz am 2. Mai 2019 den Klimanotstand ausrief – als erste deutsche Stadt. Das erregte bundesweit Aufmerksamkeit.
Wie verändert sich die Bewegung?
Es geht den jungen Aktivisten nicht schnell genug mit den Veränderungen, weder auf kommunaler noch auf Bundesebene. Radikalisieren wollen sie sich trotzdem nicht. „Wir haben uns bewusst dagegen entschieden“, erläutert Julian Kratzer, „zu uns soll jeder kommen können, ohne Bedenken zu haben, dass er vielleicht eine Grenze überschreitet. Wem das nicht reicht, der muss sich bei Ende Gelände engagieren.“
Ein wenig ziviler Ungehorsam ist ohnehin bei jeder Demo mit dabei: Schließlich bestehe zur besten Demozeit freitags morgens Schulpflicht, sagt Maja Werner.
Seltenere Demos, dafür gezielter
Veränderungen gibt es dennoch innerhalb der Bewegung. So demonstrieren die Schüler nicht mehr alle zwei Wochen wie zu Beginn. Die Aktionen sollen in größeren Abständen stattfinden. Grundsätzlich würden Demos besser angenommen als Mahnwachen, sagt Kratzer. Geplant ist, vor allem auf bundesweite und globale Aktionen zu setzen. Diese haben in der Vergangenheit gut funktioniert. Am 20. September demonstrierten in Konstanz etwa 10.000, weltweit etwa 1,4 Millionen Menschen fürs Klima – so viele wie nie zuvor.

Alle erreichen die Klimaschützer nicht
Nicht alle sind auf der Seite der Klimabewegten. „Ich glaube, dass wir vor allem privilegierte Menschen erreichen“, sagt Maja Werner, „Jene, die um ihre Existenz kämpfen, haben keine Kraft dazu. Manche unterstützen uns trotzdem.“ Dann sind da noch die Klimawandel-Leugner, die die demonstrierenden Schüler gern auch mal als Klima-Hysteriker bezeichnen. Werner und Kratzer können beide von aggressiv gestimmten Andersdenkenden berichten: nicht nur in den sozialen Netzwerken, auch in der realen Konfrontation. „Ein Mann sagte zu mir, wir seien alle von der Solar-Lobby gekauft“, berichtet Werner.
Die Stadt zu mehr Ehrgeiz bei Klimazielen antreiben
Politisch sind die Fridays-Aktivisten noch lang nicht zufrieden. Dass Konstanz bis 2030 nicht klimaneutral werden könne, wollen die FFF-Vertreter nicht akzeptieren. Julian Kratzer spricht für die Konstanzer Gruppe: „Wir wollen die Energien bündeln und dazu beitragen, dass Konstanz bis 2030 klimapositiv werden kann.“
Wie das genau funktionieren soll, dazu wollen die Klimaschützer noch nichts sagen. Sie kündigen an, sich dazu demnächst zu äußern. Im Moment nur so viel: „Ohne Unterstützung wird es nicht funktionieren“, sagt Kratzer, „aber wenn wir bekommen, was wir wollen, dann ist das Ziel auch zu schaffen.“