In Engen ist man nicht gut zu sprechen auf den Gesundheitsverbund. Viele Bürger der Hegau-Gemeinde fühlen sich über den Tisch gezogen. 2015 wurden die stationären Einrichtungen des örtlichen Krankenhauses geschlossen. Damals echauffierte sich nicht nur die Engener Gemeinderätin Erika Fritschi: „Wir sind bestürzt, dass so kurzfristig die Stationen geschlossen werden“, sagte sie gegenüber dem SÜDKURIER. 20 Jahre gehörte sie dem Unterstützungsverein an.
Der Verein habe viel Herzblut und Zehntausende Euro in Einrichtungen der Klinik und des Altenpflegeheims gesteckt. So seien ein Sterbezimmer und weitere Einrichtungen für die Patienten geschaffen worden. „Wenn auch die wirtschaftliche Entscheidung nachvollziehbar ist, so ist nun eine durch die frühere Fusion mit dem Singener Hegau-Klinikum erhoffte Chance einer guten medizinischen Versorgung für den ländlichen Raum gescheitert“, sagt Erika Fritschi.
Bürgermeister Johannes Moser spricht von einem „Gefühl der Ohnmacht, die Schließung hängt den Engenern immer noch nach. Wir hatten eine Garantie im Vertrag, dass drei Jahre keine Änderungen eintreten können“, sagt er. Geschäftsführer Peter Fischer dazu: „Wir hatten das Problem, dass wir kein Personal nach Engen bekommen haben. Und bevor wir die Versorgungssicherheit der Patienten nicht mehr sicherstellen können, weil es an Ärzten und Pflegekräften fehlt, mussten wir die Reißleine ziehen.“ Eine schallende Ohrfeige für jeden Engener.
Im Mai 2015 verlagerte der Gesundheitsverbund die geriatrische Schwerpunktstation zusammen mit der stationären chirurgischen, internistischen und gynäkologischen Versorgung von Engen nach Singen und Radolfzell. Vor der Fusion wurde der Stadt Engen als Mitgesellschafter des Hegau-Bodensee Klinikverbundes für den Fall der Zustimmung zum Konsortial- und Gesellschaftsvertrag der dauerhafte Erhalt einer stationären Versorgung über den geriatrischen Schwerpunkt des Verbundes im Gemeinderat versprochen – ein starkes Argument für die Zustimmung. „Die demographische Entwicklung verspreche in Zukunft sogar eine Stärkung des geriatrischen Schwerpunktes, so die Versprechungen“, erinnert sich Johannes Moser. Die Realität sah keine drei Jahre später anders aus. Kritiker der Fusion sahen sich bestätigt. „Was soll ich dazu sagen?“, fragt die Singener Gemeinderätin Veronika Netzhammer, eine der wortführenden Gegnerinnen des Verbundes. „Aber warten sie ab: Engen wird nicht die letzte Schließung sein.“ Die Geburtshilfe Radolfzell folgte in diesem Frühjahr, wobei hier die Gründe anders gelagert waren. (Siehe Infoelement rechts)
In den Fusionsverträgen aus dem jahr 2012 wurde eine dreijährige Veränderungssperre für die Klinikstandorte sowie für die Gesellschafter das Bestellerprinzip aufgenommen. Danach können die Mitgesellschafter medizinische Leistungen bestellen und haben das anfallende Defizit dafür zu tragen. Moser: „Bei der Schließung in Engen wurden diese vertraglichen Regelungen vom Gesundheitsverbund nicht beachtet. Die Schließung erfolgte im Mai 2015, wobei die Veränderungssperre erst im Dezember 2015 abgelaufen wäre. Auch das vertraglich zugesicherte Bestellerprinzip wurde der Stadt Engen mit der Begründung verwehrt, dass es plötzlich nur für defizitäre Abteilungen gelten solle. Die stationären Abteilungen in Engen seien nicht defizitär und die Verlagerung eine rein innerbetriebliche Entscheidung.“
Ergo: Wäre Engen defizitär gewesen, hätte eine Schließung verhindert werden können. Damit wurde dem Gemeinderat trotz vertraglicher Zusicherungen jeglicher Einfluss auf diese Entscheidung genommen. „In der kommunalen politischen Zusammenarbeit konnte man sich im Landkreis Konstanz bislang auf gemachte Verträge und Aussagen verlassen“, sagt Johannes Moser und zitiert den ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel: „Vertrauen ist die wichtigste Ressource von Menschen untereinander.“ Laut Peter Fischer war der Standort Engen „eigentlich kein richtiges Krankenhaus, das war ja nur eine Station mit 40 Betten“. Und dennoch zeigt er Verständnis: „Es ist klar, dass man nicht nur traurig ist, sondern dass man sagt: Wir haben uns ja nur in den Verbund eingebracht, weil wir gedacht haben, dass wir damit erhalten bleiben“.
Weiterer Verdruss
Doch nicht nur die Schließung des Krankenhauses sorgte 2015 für Verdruss in Engen. Auch die Aussagen von Landrat Frank Hämmerle, dass das Engener Senioren- und Pflegeheime nicht zum Kerngeschäft des Gesundheitsverbundes gehöre und man über die Zukunft des Hauses nachdenken müsse, trifft die Engener in Mark und Bein, wie Johannes Moser erklärt: „Der Betrieb von Senioren- und Pflegeheimen ist explizit in den Fusionsverträgen aufgeführt und war für Engen ein wesentlicher Punkt, den Verträgen zuzustimmen.“ Deshalb seien die Bestrebungen der Stadt als quasi Mitgesellschafter aus dem Gesundheitsverbund bzw. der beteiligten Fördergesellschaft auszusteigen, verständlich.
Zwar steht der Gesundheitsverbund laut Moser aktuell wieder hinter dem Senioren- und Pflegeheim und er leistet in Engen mit dem ambulanten OP-Zentrum sowie dem medizinischen Versorgungszentrum, bestehend aus einer chirurgischen/unfallchirurgischen, kinder- und jugendmedizinischen sowie einer allgemeinmedizinischen Versorgung, einen Beitrag für die wohnortnahe Grundversorgung. „Dafür sind wir dankbar“, sagt Johannes Moser, spricht jedoch auch von erschüttertem Grundvertrauen: „Mit den vertragswidrigen Vorgängen um die Schließung der stationären Versorgung haben Aufsichtsrat und Mitgesellschafter des Gesundheitsverbunds in Engen einen großen Vertrauensverlust verursacht, der sich nicht einfach wieder aufbaut. Dass kleine Standorte gehalten werden können, zeigt der Landkreis Sigmaringen mit dem geplanten Ausbau des Krankenhauses in Pfullendorf.“
Die Serie
Am 13. Dezember 2012 verkündete Landrat Frank Hämmerle die Geburt des Gesundheitsverbundes: „Heute ist ein besonderer Tag in der Geschichte der Gesundheitsversorgung im Landkreis.“ Der SÜDKURIER prüft den Verbund auf Herz und Nieren.
Geburtshilfe Radolfzell
- Das Ende: Sie bleibt. Sie schließt. Sie bleibt. Sie schließt. Nach langem hin und her wurde die Radolfzeller Geburtshilfe zum 1. April geschlossen. Die Mitarbeiter werfen dem Verbund vor, die Schließung schleichend hingenommen zu haben. Die Geschäftsführung wehrt sich dagegen.
- Das sagt Geschäftsführer Peter Fischer: "Es gab vonseiten des Aufsichtsrates und der Geschäftsführung keine Pläne, die Geburtshilfe und die Gynäkologie in Radolfzell zu schließen. Gab es nicht. Dort gab es über 500 Geburten pro Jahr, die Staion hatte einen hervorragenden Ruf, es wurde ordentliche Qualität abgeliefert von engagierten Ärzten, engagierten Hebammen und engagierte Mitarbeitern auf der Wochenstation. Wir haben nie gesagt: Wir haben drei Kliniken mit Geburtshilfen im Landkreis Konstanz – das ist eigentlich eine zu viel. Da hätten wir tatsächlich diskutieren können, aber es gab keine Planung von uns, die Geburtshilfe in Radolfzell zu schließen.
- Fischer zu den Gründen: "Das waren die Versicherungsprämien. Die Versicherungen wollten die Haftpflichtversicherungsprämien für die Ärzte um das Dreifache erhöhen. Nicht nur in Radolfzell, sondern bei allen belegärztlich tätigen Ärzten. Um das Dreifache – das können sie wirtschaftlich nicht mehr stemmen. Das sind drei Belegärzte, die stellen die ärztliche Versorgung sicher an 365 Tagen im Jahr zu 24 Stunden. Dann schied ein Arzt aus und seine Stelle konnte nicht nachbesetzt werden. Mit nur zwei Ärzten kann das nicht funktionieren mit den gesetzlichen Qualitätsanforderungen. Und dann haben wir, wie man helfen kann? Kann die Stadt Radolfzell Geld geben? Nein, kann sie nicht. Kann der Gesundheitsverbund Geld an die Ärzte geben für die Versicherungsprämien? Nein, darf man aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht."