Man stelle sich dieses Szenario vor: Morgens geht eine Konstanzerin los, es ist 8.20 Uhr. Sie bringt noch ihr Kind in den Kindergarten und ist pünktlich um 8 Uhr bei der Arbeit. Wie funktioniert das?
Wir blenden vor ins Jahr 2022, die Konstanzerin arbeitet in Kreuzlingen. Gegen 17 Uhr hat sie Feierabend, normalerweise wäre sie um 17.15 Uhr zuhause, tatsächlich kommt sie erst um 18.15 Uhr deutscher Zeit zu Hause an.

Die EU schafft die Zeitumstellung ab – zieht die Schweiz nach?
Unvorstellbar? Nicht so ganz. Laut eines Beschlusses des EU-Parlaments wird die Zeitumstellung im Jahr 2021 abgeschafft. Unklar ist aber noch, welche Staaten sich für Sommer-, welche für Winterzeit entscheiden werden. Nach diesem Parlamentsbeschluss ist es an den EU-Verkehrsministern, eine gemeinsame Linie zu finden, damit kein "Zeitflickenteppich" entsteht.
Was aber ist mit der Schweiz? Wird sich die Schweiz anpassen oder bildet sie künftig eine Zeitinsel?

Das Volk der Uhrentüftler denkt über die Zeit nach
Klar: Das Thema trifft die Schweiz nicht unvorbereitet, das wäre auch verwunderlich in einem Land, das die ausgeklügeltesten Uhren weltweit herstellt. "Was die Zeitregelung betrifft, war es immer ein Anliegen der politischen Führung der Schweiz, zu verhindern, dass die Schweiz zu einer Zeitinsel wird", schreibt Jürg Niederhauser, Leiter Stab des Eidgenössischen Instituts für Metrologie Metas, das für alle Fragen rund um die Zeitmessung in der Schweiz zuständig ist.
Nun steht die Schweiz allerdings vor einer ungeklärten Situation: Es ist völlig ungewiss, welche Zeit die EU-Staaten, darunter die Nachbarstaaten Österreich, Italien und Deutschland, einführen werden.

Wie die Schweiz zur Zeitinsel wurde
Rückblick: Seit 1980 gilt in der Bundesrepublik Deutschland die Sommer- im Wechsel mit der mitteleuropäischen Zeit (Winterzeit). Dadurch wurde die Schweiz im Sommer 1980 zu einer Zeitinsel, schreibt Niederhauser, da alle Nachbarstaaten Sommerzeit eingeführt hatten. Ein Referendum von 1978 hatte die Einführung der Sommerzeit in der Schweiz verhindert.
Die Nachteile zeigten sich für die Schweizer Wirtschaft im Geschäftsverkehr, Transportwesen und in der Kommunikation, so der Bericht aus dem Institut für Metrologie. Am Bahnhof Konstanz etwa musste man darauf hinweisen, dass die Züge in Richtung Schweiz zu Schweizer Zeit abfahren.
Die Auswirkungen hätten Regierung und Parlament dazu veranlasst, Anfang 1981 die Sommerzeit einzuführen. Gegen diesen Beschluss gab es keine Referendumsinitiative. Eine im Jahr 1982 gestartete Volksinitiative zur Abschaffung der Sommerzeit erhielt nicht die notwendige Zahl von Unterschriften.

Abwarten, wie sich die EU-Staaten positionieren
Und was nun? Das größte Problem der Eidgenossen ist, dass bisher völlig unklar ist, wie sich die einzelnen EU-Staaten entscheiden werden. Bis April 2020 soll diese Frage aber geklärt sein, und dies ergebe dann die Entscheidungsgrundlage für die Schweiz.
"Wenn alle Nachbarstaaten für die gleiche Regelung entschieden haben, wird es einfacher sein, zu entscheiden, als wenn sich beispielsweise Deutschland und Frankreich für unterschiedliche Zeiten entscheiden würden", schreibt Jürg Niederhauser.

Politische Entscheidungen erfordern bei den Eidgenossen meist die Meinung des Volkes
Politisch gibt es zwei Möglichkeiten: Wenn es darum geht, die Umstellung auf Sommerzeit abzuschaffen, kann der Bundesrat darüber entscheiden, da in der Schweiz gemäß Gesetz die mitteleuropäische Zeit gilt. Die Einführung der ewigen Sommerzeit aber wäre ein Wechsel in eine andere Zeitzone, eine Gesetzesänderung wäre notwendig.
"Das ist immer verbunden mit der Möglichkeit, das Referendum zu ergreifen", schreibt Niederhauser. Bei einem so stark emotional besetzten Thema sei es fast sicher, dass es zu einer Volksabstimmung komme.

Kämpfer gegen die Sommerzeit bringen sich in Stellung
Dagegen: Umstritten unter den Eidgenossen ist das Thema schon jetzt. So vertritt beispielsweise Yvette Estermann, Nationalrätin der SVP, eine klare Ansicht zur eventuellen Einführung der Sommerzeit: „Als Normalzeit-Aktivistin sehe ich in der ewigen Sommerzeit eine Katastrophe auf uns zukommen. Ich werde alle demokratischen Mittel für die Normalzeit einsetzen. Wenn die Schweiz eine Insel sein soll, dann wird sie eine Insel der Vernunft", schreibt Estermann.
Vorerst heißt es allerdings Geduld haben, was auch viel mit der Zeit zu tun hat. In zwei Jahren erst wird klar werden, ob die Züge zu gleicher oder unterschiedlicher Uhrzeit den Konstanzer Bahnhof Richtung Schweiz verlassen.