Früher war es der Reiseführer, heute geht im Urlaub nichts mehr ohne Smartphone. Das Stadtmarketing bietet Besuchern digitale Rundgänge durch Villingen und Schwenningen an. Das Handy weist den Weg und liefert Erläuterungen zu den Sehenswürdigkeiten.
Besonderer Clou des neuen Angebots: Die Stadtführung wird von einer App augmentiert, also mit Informationen virtuell angereichert. Klingt spannend, mal sehen, wie das funktioniert.
Wo ist der erste Code?
Da ist er, der Startpunkt. Eine blaue Tafel im Eingangsbereich des Franziskaner Kulturzentrums ziert links unten der QR-Code, der die Webseite startet. Die funktioniert wie eine App.
QR-Code? Erklärung für die ältere Leserschaft: Das was ein bisschen wie der Sendeschluss im Fernsehen aussieht. Erklärung für die jüngere Leserschaft: Sendeschluss ist quasi, wenn von 2 bis 5.45 Uhr der Twitch-Server ausfällt.
Was ist eigentlich ...
Erst mal gibt es viel zu lesen.
Für einen augmentierte Rundgang wird reichlich Text geboten. Mehr als 1400 Wörter kommen im Laufe der Tour zusammen, wer zügig liest, braucht allein dafür fast acht Minuten.
Hinzu kommen die Berichte von Remigius Mans, auch als Romäus bekannt. Der historische Villinger Held erzählt von der Stadtgeschichte aus seiner Sicht.
Wie es weitergeht, muss ich selbst auf einer Karte ablesen. Da hilft das Geographie-Studium. Nächste Station ist das Riettor.

Zeit, die virtuellen Spielereien zu testen. Wenn ich das Smartphone geschickt ausrichte, bekomme ich den Romäus als Stadtwächter angezeigt.
Die nächste Sehenswürdigkeit ist für Remigius Mans ein Heimspiel.
Der Romäusturm ist nach ihm benannt.
Der Zugang zum mächtigen Wehrturm ist wegen Sanierungsarbeiten gesperrt. Die blaue Hinweistafel mit dem QR-Code ist für mich unerreichbar.
Alternative Ansichten
Immerhin bietet die App ein paar historische Ansichten wie von dieser Ansichtskarte.
Der nächste Halt ist an einer sehr speziellen Villinger Sehenswürdigkeit: Wo einst das Niedere Tor stand, gibt es nichts zu sehen.
Aber das kann die Augmentierung ja zum Glück ändern.
Da kann die Technologie ihre Stärke endlich ausspielen.
Das Pulvertürmle verwehrt sich neugierigen Blicken. Als ich mit dem Smartphone wedele, um die Augmentierung zu starten, ziehe ich dafür die neugierigen Blicke zweier Jungs auf der Parkbank auf mich. Das Gefuchtel amüsiert die beiden sichtlich.
Für die etwas peinliche Situation werde ich dann aber mit dem Blick ins innere des einstigen Pulverlagers belohnt.
Grußkarte als Mitmachangebot
Die nächste Station ist eine Steilvorlage für Instagram: Urlauber mit Hellebarde vor Kaiserturm.
Die mittelalterliche Waffe passend auszurichten, ist etwas fummelig. Aber wenn die Perspektive passt, gibt es ein lustiges Urlaubsfoto.
Wie mir erst jetzt auffällt, bin ich die Strecker falsch herum angegangen. Gedankenverloren laufe ich dann auch gleich noch an der Johanneskirche vorbei. Assistenz bei der Navigation bietet mir die App leider nicht. Es bleibt bei einer herkömmliche Karte.
Beim Bickentor positioniere ich den Romäus zwischen Litfaßsäule und einem geparkten Motorroller. Trotz Stadttor im Hintergrund wirkt er dort etwas aus der Zeit gefallen.
Unfreiwillig komisch
Die Augmentierung fügt nicht nur das Gebäude der abgerissenen „Blume Post“ wieder ins Stadtbild ein (sehr beeindruckend). Sie säbelt Passanten auch die Köpfe ab.
Beim Oberen Tor zeigt die Technik dann eine weitere Tücke. Das mobile Internet lahmt und die Inhalte laden nicht. Immerhin lässt sich Romäus‘ Audiokommentar abspielen:
Weiter zum Münster Unserer Lieben Frau.
Remigius Mans hat wieder einiges zu erzählen. Virtuelle Spielereien braucht die stattliche Kirche aber eigentlich keine, finde ich.
Am alten Rathaus kommt die Augmentierung dann aber gelegen. Sie verdeckt einen Mülleimer und ein Dachlawinenschild.
Und hat es sich jetzt gelohnt? Ein Spaziergang durch Villingen lohnt sich natürlich immer. Ob es sinnvoll ist, dabei aufs Smartphone zu starren, ist sicherlich Geschmacksache.
Da geht noch mehr
Ein bisschen bleibt das Angebot hinter den Möglichkeiten zurück. So hätte es sich bei der Benediktinerkirche ein Klangbeispiel der Silbermann-Orgel angeboten. Dass sich die Nutzer ihren Weg auf einer klassischen Karte selbst suchen müssen, wirkt in Zeiten von GPS eher überholt. Und die Anwendung ist ein Energiefresser. Die anderthalbstündige Tour hat 60 Prozent des Akkus verbraten.
Der Ansatz, den mobilen digitalen Lebensstil zu adressieren ist natürlich richtig. Auch andere Städte machen sich Instagram-tauglich. Das Ganze ist aber etwas textlastig und die Augmentierung selbst kommt zu kurz.
Die Audio-Beiträge aus der Perspektive des Romäus bringen die Informationen hingegen mit dem passenden Lokalkolorit rüber. Gewürzt mit einem Hauch Hörspiel wäre das womöglich der geschmeidigere Ansatz. Und die Augen bleiben frei, um unterwegs noch mehr Villingen zu genießen.
Hier geht es zu den augmentierten Rundgängen durch Villingen und Schwenningen.