Unternehmer, Politiker, Kunstliebhaber, Feingeist, sozialer Mensch – Heinrich Wagner war in vielen Bereichen eine prägende Persönlichkeit für Stockach. Am Abend des Dreikönigstages, 6. Januar, ist der Stockacher EhrenbürgerWagner, der die Entwicklung der Stadt seit dem Zweiten Weltkrieg beeinflusst hat wie kaum ein anderer, gestorben. Entsprechende Informationen hat sein Sohn Clemens Wagner bestätigt. Heinrich Wagner wurde 87 Jahre alt.
Wenn man mit Weggefährten über Heinrich Wagner spricht, ergibt sich das Bild eines Menschen mit vielen Facetten. Da gab es den politischen Heinrich Wagner. 1965 kam er, der mehr als 60 Jahre der CDU angehörte, in den Stadtrat. "Damals war ich der jüngste Stadtrat", erinnerte sich Wagner bei einem Gespräch im Juli 2018 an diese Zeit zurück. Der Bürgermeister hieß damals noch Deufel und es gab einen Landkreis Stockach.
Schon 1966 habe er dann gemeinsam mit zwei Kollegen aus dem Stadtrat und zwei Mitgliedern des Bürgerausschusses, eines anderen kommunalpolitischen Gremiums, einen Rationalisierungsausschuss gegründet, erzählte Wagner im Sommer. Das Ziel der Aktion: Die Verwaltung auf den neuesten Stand bringen. Nach zwei Jahren seien die meisten Forderungen erfüllt gewesen – und die Verwaltung schlanker, "damals eine große Sache", so Wagner im Rückblick. Noch im Sommer 2018 ließ ihn das schmunzeln.
Ein Politiker mit Autorität
Und sie passt ins Bild eines Mannes, der klare Ziele hatte und diese auch zu erreichen wusste. "Wenn er etwas wollte, stand er auch auf und hat es gefordert", so charakterisiert Wolfgang Reuther seinen Förderer Heinrich Wagner, der mitunter auch ein kommunalpolitischer Strippenzieher gewesen sei. Wagner habe ihn für die Kommunalpolitik angeworben, erinnert sich Reuther. Das war bei der Gemeinderatswahl 2009. Prompt wurde Reuther Stimmenkönig, später zog er in den Stuttgarter Landtag ein.
"Sein politisches Gewicht hat Heinrich Wagner für mich in die Waagschale geworfen", berichtet Reuther von seinen Kandidaturen. Und wenn Wagner die Stimme erhob, dann habe auch die notwendige Autorität dahinter gestanden. Jüngere habe Wagner durchaus zum Querdenken aufgefordert und keine alten Zöpfe geflochten. Den Rang eines elder statesman, eines Stockacher CDU-Urvaters habe der Verstorbene gehabt.
24 Jahre, bis 1989, saß Wagner im Gemeinderat. Franz Ziwey, Bürgermeister von 1969 bis 1994, erinnert sich aus dieser Zeit an Wagner als CDU-Fraktionsvorsitzenden, der es stets genau wissen wollte. "Er hat sich intensiv mit einem Sachverhalt auseinandergesetzt", so Ziwey. Später verband beide Männer eine Freundschaft, die sich auf den Fußball konzentrierte. Wagner habe schon in seiner Jugend für den VfR Stockach gespielt, berichtet der Vereinsvorsitzende Siegfried Endres – und das in der ersten Amateurliga, also der dritten oder vierten Liga von oben. Bis zuletzt waren Ziwey und Wagner regelmäßige Gäste beim VfR. Wagner habe überhaupt die Vereine gefördert, so Ziwey.
Wagner war maßgeblich an der Einführung der Narrengerichtsverhandlungen beteiligt
Legendär war auch Wagners Engagement beim Stockacher Narrengericht. 1962 wurde Wagner ins Stockacher Narrengericht berufen, nachdem er bereits neun Jahre bei der Althistorischen Zimmerergilde zu Stocken gewesen war. Wagner war in den 1960er-Jahren maßgeblich daran beteiligt, die Verhandlungen des Narrengerichts, wie sie heute bekannt sind, einzuführen.

Viele Jahre hat er sogar beide Texte, die von Fürsprech und Kläger, geschrieben, wobei er die Rolle des Fürsprechs von 1964 bis 1999 selbst übernahm. Wagner blieb dem Kollegium als Ehrengerichtsnarr verbunden, wie Narrenrichter Jürgen Koterzyna in seinem Nachruf schreibt. Auch die Einführung des Stadtfestes Schweizer Feiertag ging auf Wagners Initiative im Gemeinderat zurück. Im September 1970 fand das Fest zum ersten Mal statt – in Anknüpfung an eine Tradition aus früheren Jahrhunderten.
Unternehmer mit sozialer Ader
Doch es gab auch den Unternehmer Heinrich Wagner. Er übernahm im Jahr 1956 das bekannte Bauunternehmen Mühlherr-Wagner von seinem Vater, das er bis zum Jahr 2007 leitete. In den 1980er-Jahren setzte sich Wagner in seiner Funktion als Bauunternehmer für die Erhaltung der Ruine Nellenburg ein. Auch als Unternehmer pflegte Wagner seine soziale Ader, von der Manfred Peter, Vorstand der Stockacher Bürgerstiftung berichtet: "Wenn es etwas Gemeinnütziges war, sagte er sofort: Das muss man fördern." Wagner selbst wie auch das Unternehmen Mühlherr-Wagner gehörten im Juni 2008 zu den Gründern der Stiftung. Wagner war von Anfang an im Vorstand der Stiftung und blieb nach seinem Ausscheiden Ehrenvorsitzender des Stiftungsrats.
Kunst war eine von Wagners Leidenschaften
Über mehrere Jahrzehnte hinweg hat der vielseitig interessierte Wagner zudem eine Kunstsammlung aufgebaut, die er im Jahr 2016 für 30 Jahre der Stadt zur Verfügung stellte. Er erzählte vor der Eröffnung der ersten Ausstellung mit Werken seiner Sammlung über deren Entstehung. Er sei im Studium manchmal in Kunst- statt in seine Pflichtvorlesungen gegangen, verriet er. Er kaufte sich Kunstpostkarten und in den 1960er-Jahren legten Lithografien aus der Reihe "Daphnis und Chloe" von Marc Chagall den Grundstein zu seiner späteren Sammlung, die auf stattliche 328 Werke von 70 verschiedenen Künstlern anwuchs.

Es sind Künstler mit verschiedenen Stilen, denn Wagner kaufte einfach das, was ihm gefallen hat. „Es ist faszinierend, was Heinrich Wagner quasi im Verborgenen zusammengetragen hat“, fasste die frühere Museumsleiterin Yvonne Istas vor der ersten Ausstellung mit einem Querschnitt aus der Sammlung zusammen. Diese lockte im Jahr 2017 mehr als 4000 Besucher ins Stockacher Stadtmuseum.
Wagner hinterlässt seine Ehefrau Margit und vier erwachsene Kinder samt deren Familien, zu denen sechs Enkelkinder gehören.