Theater, wie es wohl schöner kaum sein könnte, erlebte jüngst das Publikum der ausverkauften Singener Stadthalle. Das Schauspieler-Duo Nadine Schori und Oliver Mommsen verschmolzen am Donnerstagabend mit ihren Rollen und machten Mark St. Germains Stück „Die Tanzstunde“ zu einem kulturellen Leckerbissen.

Die Geschichte zweier Menschen, in ihrer Unterschiedlichkeit, mit ihren eigenen Problemen, ging unter Haut. Ever Montgomery, hochintelligenter Professor, steht vor einem schier unlösbaren Problem: Für eine Preisverleihung muss er innerhalb kurzer Zeit das Tanzen lernen. Als Mensch, der vom Asperger-Syndrom betroffen ist, hat jedoch größte Schwierigkeiten, Nähe und Berührungen zuzulassen.

„Der Aspi“, wie er sich selbst nennt, bittet dennoch seine Nachbarin Senga um Hilfe, deren Lebensinhalt bisher ihr Beruf als Musicaldarstellerin war. Bei einem Unfall wurde ihr Bein jedoch so schwer verletzt, dass es fraglich ist, ob sie ihren Beruf je wieder ausüben kann. Darüber hinaus bedrücken sie auch private Probleme, sodass sie die Anfrage zunächst ablehnt. Autist Ever zeigt sich hartnäckig und nach und nach kommen sich die beiden Tanzpartner auf ihre ganz eigene und berührende Weise näher. Bis zum Ende hin sogar näher als jemals gedacht.

Die Stadthalle war komplett ausverkauft
Die Stadthalle war komplett ausverkauft | Bild: Nicola M. Reimer

Und was meinen die Zuschauer?

Das Stück begeistert die Zuschauer, amüsiert und lässt Raum zum Nachdenken. Nachgefragt in der Pause hört man durchweg positive Stimmen. So sagt die Radolfzellerin Annette Kunze: „Unfassbar, wie die beiden diese anspruchsvollen Rollen meistern. Ich hätte anfangs nicht gedacht, dass Oliver Mommsen diese Körperspannung, dieses in sich gefangen sein, so konsequent durchhält.“ Ihr Mann Stefan Klocke ergänzt: „Ein anspruchsvolles Stück, ein vielschichtiges und schwieriges Thema. Schön, dass es trotz der Tragik auch die komischen Momente gibt. Ich denke, es wirkt noch nach.“

„Unfassbar, wie die beiden diese anspruchsvollen Rollen meistern. Ich hätte anfangs nicht gedacht, dass Oliver Mommsen diese ...
„Unfassbar, wie die beiden diese anspruchsvollen Rollen meistern. Ich hätte anfangs nicht gedacht, dass Oliver Mommsen diese Körperspannung, dieses in sich gefangen sein, so konsequent durchhält“, so Annette Kunzes Fazit | Bild: Nicola M. Reimer

Die Schauspieler gehen in der Tat in ihren Rollen auf. Nadine Schori, zunächst verzweifelt, genervt, legt nach und nach ihren Panzer aus Bitterkeit und Lügen ab und entblättert zaghaft ihr wahres Ich. Ihre Anmut im Tanz, der Ausdruck ihrer Körpersprache, lassen das Publikum mit ihr leiden, mit ihr leben.

Als autistischer Professor in sich selbst gefangen

Oliver Mommsen, der durch unzählige TV-Produktionen, vor allem aber in seiner Rolle des Kommissar Stedefreund aus dem Bremer Tatort bekannt ist, spielt den autistischen Professor mit unglaublicher Präzision und Spielfreude. Großartig, wie er in sich selbst gefangen scheint, nicht weiß, wohin mit seinen Händen. Umwerfend komisch seine ersten verzweifelten Tanzversuche. Sein Hemd bis zum obersten Knopf verschlossen, die dick umrandete Brille und der akkurate Seitenscheitel unterstreichen seinen Charakter, zeigen, wie er tickt.

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Rührend, wenn er versucht, mithilfe eines Spiegels und der Internetsuchmaschine die Mimik von Senga zu deuten. In Momenten wie diesen möchte man ihn fast in den Arm nehmen. Aber Stopp, heißt es doch bei Ever: Berühren verboten! Letztendlich gelingt es Senga doch noch, zu ihm durchzudringen, ihn zu berühren, ihm zu lehren, welchen Genuss Intimität verspricht.

Während man am Anfang des Abends noch nicht weiß, ob und wen man von beiden eigentlich sympathisch finden soll, darf man sich mit beiden gemeinsam entwickelt. Und so, wie es Oliver Mommsen bereits vorab im SÜDKURIER-Interview prophezeite: Am Ende des Abends liebt man dann beide!