Herr Mommsen, können Sie tanzen?
(Lacht). Sagen wir mal so. Ich bin ein sehr körperlicher Mensch. Ich liebe es, mich zu bewegen, mit dem Körper zu spielen, und das Tanzen gehört eindeutig dazu. Tanzen ist ein Ausdruck, um Gefühlen freien Lauf zu lassen, es bedeutet, miteinander zu kommunizieren. Und ja, ich tanze gerne – ob ich tanzen kann, das sollten besser andere entscheiden.
Sie werden am 1. Februar in der Singener Stadthalle zu Gast sein. Das Stück „Die Tanzstunde“ von Mark St. Germain stand bereits im Jahr 2020 in Singen auf dem Spielplan, musste dann jedoch wegen des Lockdowns abgesagt werden.
Genau. Wir waren mit dem Stück schon unterwegs, dann kam Corona und eine große Verunsicherung. Wir als Ensemble wussten nicht: Sagt die Stadt ab, das Land? Trauen sich die Menschen, zur Vorstellung zu kommen? Und dann kam der Lockdown und es ging tatsächlich nichts mehr. Als wir dann im Jahr 2022 erneut starten wollten, bekam ich pünktlich zur Premiere Corona, im Anschluss war meine Kollegin Tanja Wedhorn positiv. Nach einem ewigen Hin und Her war Tanja in andere Projekte eingespannt und wir hatten das Glück, mit Nadine Schori nicht nur eine „echte“ Tänzerin zu gewinnen, sondern auch eine wirklich tolle Kollegin. Gestern hatten wir die Premiere in einem ausverkauften Haus. Wir sind unsagbar dankbar, dass es mit Menschen gefüllt war, die sich vor vier Jahren im Rahmen ihres Abos das Ticket gekauft haben und jetzt zur Vorstellung gekommen sind. Das nenne ich Treue!
In Ihrer Rolle als Ever Montgomery spielen Sie einen Autisten, der für eine Preisverleihung das Tanzen erlernen muss. Einer ähnlichen Rolle hatte sie sich angenähert, als Sie 2019 einen autistischen Wolkenforscher spielten.
Es ist spannend, wenn man sich einmal in diese Thematik reingefuchst hat, wie man aus seinem alten Erfahrungsschatz profitieren und seine dazu gewonnenen Erfahrungen einbringen kann. Viele Charakterzüge des Autisten sind mir jetzt klarer und ermutigen mich, Neues auszuprobieren. Dadurch, dass ich mit Nadine als neue Kollegin durchstarte, ist es auch mit der Rolle des Ever ein Neustart.

Was ist die Herausforderung der Rolle?
Ever ist jemand, der bei Körperkontakt irritiert ist, nervös wird, fast panisch reagiert. Er hat und zeigt keine Reaktionen, wie wir sie von Menschen erwarten würden. Als er die Lebensgeschichte von Tanzlehrerin Senga hört, habe ich bei den Proben geweint, das könnte Ever nicht. Er ist nicht krank, will nicht geheilt werden, sondern bleibt innerhalb seiner Möglichkeiten. Er wird nicht am Ende des Stücks wie Phönix aus der Asche steigen, dennoch entwickelt sich zwischen ihm und Senga ein wunderschöner Weg.
Klingt tiefsinnig, jedoch ist das Stück als Komödie angekündigt.
Ja, das ist es auch. Humor fängt dort an, wo es wehtut. Das heißt nicht, dass man dafür die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten muss. Bei dem Stück wird im Publikum viel gelacht, sehr viel, aber es sind keine oberflächlichen Gags, sondern das Stück hat Substanz, es hat Tiefgang. Und es ist zeitgleich ein Lehrstück, denn es macht sichtbar, wie Menschen mit Katastrophen umgehen und es zeigt neue Perspektiven. Ever ist ein sehr mutiger und wachsamer Mensch, und man darf ihn dabei begleiten, wie es ihm gelingt, auf seine Weise Strukturen aufzubrechen. Er ist irgendwie ein „cooler kleiner Punk“, ich mag ihn und ich bin sicher, auch das Publikum wird ihn liebgewinnen.
Von 2001 bis 2019 waren Sie als Ermittler Nils Stedefreund im Bremer Tatort zu sehen. Wie wichtig sind solche Rollen für die Karriere?
Im Endeffekt hat mich diese Rolle bekannt gemacht. Mal ehrlich, was für eine Chance, über solch einen Zeitraum in einem der bekanntesten TV-Formate mit Traumquoten dabei zu sein! Wir hatten nicht nur ein unglaublich tolles Team, sondern durften mit dem Bremer Tatort auch politisch sein. Vieles spielte sich auf Nebenschauplätzen ab, man wusste nie, was kommt, und das Publikum mochte uns. Und klar, wenn ich zweimal pro Jahr sonntags zur Primetime in der ARD zu sehen bin, das erweckt Neugier. Wenn ich mit einem Theaterstück in einer Stadt gastierte, war das für manche Menschen reizvoll, mich live auf der Bühne zu sehen.
Sie sind viel auf Tournee. Fluch oder Segen?
Ich liebe es! Das ist für mich ein fast meditativer Zustand. Morgens Aufsteh-Routine mit Meditieren, Beten und Sport. Dann nur zwei Termine pro Tag, nämlich morgens in den Tourbus setzen und abends auf der Bühne stehen. Dazwischen bin ich frei.
Sie haben einen Teil Ihrer Schulzeit im Schloss Salem verbracht. Haben Sie noch Bezug zur Bodenseeregion?
Nachdem ich in Salem mit Kollegen zu viele Regeln gebrochen hatte, sind wir vom Internat geflogen. Nach 40 Jahren wurde ich dann von dem Internat eingeladen, um über meinen Berufsweg als Schauspieler einen Vortrag zu halten. Für mich war das nach dem Rauswurf ein schmeichelhafter Triumph.
Und? Haben Sie die Gegend noch wiedererkannt?
Oh ja! Meine Synapsen haben Tango getanzt, so viele Erinnerungen hatte ich. Ich bin mit dem Rad von Überlingen nach Radolfzell gefahren und war nicht darauf gefasst, wie unsagbar schön die Region ist!
Nun kommen Sie nach Singen.
Da war ich als Schüler in einem Landschulheim und ich habe es wohl mit den Besuchen im Mädelszimmer ein wenig übertrieben. Nach einigen Verwarnungen hieß es für mich, Koffer zu packen und vorzeitig nach Hause zu fahren. Ich hätte gerne mehr von Singen und dem Hohentwiel gesehen. Insofern freue ich mich darauf, das jetzt nachholen zu dürfen.