Nur ungern wollte Schulleiterin Kerstin Schuldt bei der diesjährigen Abiturfeier des Hegau-Gymnasiums dieses außergewöhnliche Zeugnis aus der Hand geben: 899 von 900 möglichen Punkten hatte Michael Gotzmann als erster Singener im Abitur erreicht, was einem Schnitt von 0,67 entspricht und ihm unter anderem den erstmals verliehenen Ehrenpreis der Stadt Singen bescherte.

„Solch ein Zeugnis hält man nur einmal in seinem Leben in der Hand“, war die Direktorin überzeugt. Und nicht wenige stellten sich an diesem Abend die Frage, wie man so etwas schafft. „Wissen ist Macht“ – dieses Motto wählte Gotzmann als seinen Abispruch. Und damit ist weitgehend das Geheimnis des jungen Singener gelüftet.

Grenzenlose Wissbegierde

Schon in der 6. Klasse bescheinigte ihm sein Klassenlehrer im Zeugnis eine schier grenzenlose Wissbegierde. Kerstin Schuldt kann dies nur bestätigen: „Michael kann einem wirklich Löcher in den Bauch fragen.“

Kerstin Schuldt, Leiterin des Hegau-Gymnasiums Singen und Abiturient Michael Gotzmann bei der Zeugnisübergabe.
Kerstin Schuldt, Leiterin des Hegau-Gymnasiums Singen und Abiturient Michael Gotzmann bei der Zeugnisübergabe. | Bild: Benjamin Tischhauser

Er selbst fasst diesen Umstand so zusammen: „Mir macht es einfach Spaß, Sachen zu wissen.“ Und Mutter Christel Gotzmann ergänzt: „Michael hat sich schon immer für alles Mögliche interessiert. Wie er es schafft, überall so gut zu sein, hat uns allerdings selbst gewundert.“ Er käme schließlich aus einem ganz normalen Elternhaus.

Mathe, Physik und Biologie

Neben neun Auszeichnungen zum Abitur bekam der Schüler während seiner Zeit am Gymnasium viermal den Stufenpreis für das beste Zeugnis des Jahrgangs. Im Abitur kam ihm zugute, dass er seine schriftlichen Prüfungen in Mathematik, Physik und Biologie absolvieren konnte. Alles naturwissenschaftliche Fächer, die ihm besonders liegen.

Englisch habe er abgewählt, da er keine Gedichte interpretieren wollte, und sich stattdessen für Latein als die „mathematischere“ Sprache entschieden. Musik und Kunst lagen ihm nicht besonders. „Da fehlen mir die klaren Strukturen.“ Dem Fach Latein hat er auch den einen Punkt zu verdanken, der ihm am Schluss für die volle Punktzahl fehlte. Sich darüber zu ärgern, liegt Gotzmann jedoch fern. Das würde abgehoben wirken, meint er.

Tischtennis, Gitarre, Gemeinde

Wer bei dem Einserschüler einen verkopften Wissenschaftler erwartet, wird eines Besseren belehrt. In seiner Freizeit spielt der 18-Jährige Tischtennis beim TTC Singen, Gitarre an der Jugendmusikschule und ist in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert.

Und auch als die Anfrage nach einem Beitrag für das Singener Jahrbuch an das Hegau-Gymnasium gerichtet wurde, war Gotzmann schnell dabei. Er schrieb über die Digitalisierung am Gymnasium. Ins Schwärmen gerät er, wenn er von den beiden „Jugend forscht“-Wettbewerben und dem Hegau-Bodensee-Seminar „Meeresbiologie“ erzählt, an denen er teilnahm.

Berufswunsch: Physik-Professor

Als 15-Jähriger baute er für „Jugend forscht“ einen ferngesteuerten Roboter, zwei Jahre später entwickelte er ein technisches Assistenzsystem für Pflegeheime, was den noch mobilen Heimbewohnern die Orientierung im Gebäude erleichtern und somit das Pflegepersonal entlasten soll. In den Arbeitsgruppen merkte Gotzmann schnell, was ihm wirklich Spaß macht: anderen etwas beibringen.

Und so stand sein Berufswunsch fest: ein Physik-Studium. „Bachelor, Master, Promotion und dann an der Uni unterrichten“, kommt es wie aus der Pistole geschossen, wenn er seinen weiteren Werdegang skizziert. Und „lieber an der Uni als am Gymnasium unterrichten, denn dort sind die Studierenden freiwillig.“

Studium an der Universität Heidelberg

Und wie wählt man unter 60 möglichen Universitäten in Deutschland die eine für sich aus, wenn einem alle Türen offen stehen? Auch hier überließ Gotzmann nichts dem Zufall und zog Hochschulbewertungen heran. Zur Wahl standen am Schluss die Ludwig-Maximilian-Universität in München und die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, die sich immer wieder gegenseitig den ersten Platz beim Physikstudiengang streitig machen.

Gotzmanns Wahl fiel auf Heidelberg. An der dortigen, kleineren Universität ginge es familiärer zu als in der Millionenmetropole München. Außerdem habe München im Hochschulranking in puncto Interaktion Professor – Studierende deutlich schlechter abgeschnitten. Ein Ausschlusskriterium für jemanden, der mit seinem Fragen den Physiklehrer schon mal an seine Grenzen gebracht hat.

Streng nach Stundenplan

Neben der Wissbegierde dürfte Gotzmanns Erfolgsgeheimnis in seiner Konsequenz und dem strukturierten Vorgehen liegen. Schon in der Grundschule galt für ihn die bei Kinder oft ungeliebte Regel: erst Hausaufgaben, dann raus zum Spielen. Konsequent, aber nicht streng sei er erzogen worden, berichtet er.

Druck hätten die Eltern nie gemacht. Und sie blieben auch ruhig, als er in der 6. Klasse doch mal eine Sechs nach Hause brachte: im Sportunterricht war er zu langsam geschwommen. Sein strukturiertes Vorgehen zeigte sich besonders während des Homeschoolings zu Pandemiezeiten. Während bei Mitschülern zu dieser Zeit der Tag gerne mal erst mittags anfing, hielt sich Gotzmann streng an den Stundenplan.

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Sah der Plan am Montagmorgen um 8 Uhr Religion vor, so stand für ihn dieses Fach dann auch im Homeschooling zu dieser Zeit an. Beim Lernen habe es sich bewährt, seiner Mutter Sachverhalte zu erklären. Denn es sei wissenschaftlich erwiesen: wer anderen etwas erklären kann, hat es selbst verstanden. Welch große Rolle Planung und Struktur in seinem Leben spielt, wird deutlich, wenn der Abiturient nach seiner größten Schwäche gefragt wird.

Mit Ungewissheit könne er gar nicht gut umgehen. Und wovon träumt einer, der etwas erreicht hat, wovon viele andere nur träumen können? Die Antwort des Überfliegers darauf klingt so einfach wie nachvollziehbar: von einem Beruf, der Spaß macht, und eine eigene Familie zu haben. Bleibt ihm nur zu wünschen, dass auch dieser Plan aufgeht.