In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde die Scheffelhalle vom Singener Wahrzeichen zu Schutt und Asche. Viele Anwohner schilderten gegenüber dem SÜDKURIER, dass sie in der Nacht zahlreiche Explosionen gehört haben. Man fragt sich: Waren es Gasflaschen? Eine defekte Leitung? Oder vielleicht sogar Brandstiftung?
Zerspringende Fenster und platzende Dachverkleidung könnten Ursache sein
Andy Dorroch ist Brandursachenermittler und kennt sich mit solchen Fällen aus. Er gibt vorsichtig Entwarnung. Natürlich könnten die Explosionen rein theoretisch darauf hinweisen, dass im Gebäude Geräte, Spraydosen oder andere sogenannte Druckbehälter explodierten. In der Regel sei der Knall aber auf geplatzte Fensterscheiben zurückzuführen, die wegen der Hitze im Inneren und der Kälte draußen den Druck nicht mehr aushalten. Die Fenster zerspringen. In diesem Moment strömt schlagartig viel Sauerstoff in den Innenraum. Die Flammen breiten sich dann schnell aus. „Auch Bauteile wie Eternit-Platten, welche als Dach- oder Wandverkleidung verwendet werden, platzen schlagartig und erzeugen dabei explosionsartige Geräusche“, sagt Andy Dorroch.
Wahrnehmung von Anwohnern in Extremsituationen könnte trügen
„Man darf auch nicht unterschätzen, dass in so einer emotionalen Situation die Wahrnehmung den Menschen manchmal einen Streich spielt“, sagt Dorroch. Der Mensch neige in Extremsituation dazu, feinfühliger zu werden und einen lauten Knall plötzlich als unfassbar heftige Explosion wahrzunehmen. Das erlebt der Brandermittler bei Einsätzen häufig. Was in Singen wirklich passierte, wird allerdings die Kriminalpolizei erst in den nächsten Wochen und Monaten ermitteln.
Für Spekulation und Trauer ist bei Brandursachenermittlern wie Andy Dorroch in solchen Fällen aber keine Zeit. Eine Ruine ist schließlich ihr Arbeitsplatz. Die Experten werden in der Regel gerufen, wenn die Polizei nicht eigenständig klären kann, wo genau und aus welchem Grund ein Feuer um sich griff. Ob das auf das Unglück in Singen zutrifft, ist nicht klar. Denn das Gebäude darf vorerst nicht betreten werden. Die Einsturzgefahr ist noch zu hoch. Bislang gibt die Polizei nur bekannt, dass die Ermittlungsgruppe „Insel“ bei der Kriminalpolizei eingerichtet wurde, um den Fall unter die Lupe zu nehmen.
Der Kreisbrandmeister arbeitet eigentlich im Landkreis Ludwigsburg für Brand- und Katastrophenschutz, wird aber – sozusagen nebenberuflich – auch von der Polizei in ganz Deutschland als Sachverständiger zurate gezogen. „Ich wurde auch schon das ein oder andere Mal von der Konstanzer Staatsanwaltschaft beauftragt. Die Scheffelhalle in Singen ist mir nicht unbekannt“, sagt er.
„Man verschafft sich immer zuerst einen Überblick von außen und arbeitet sich dann ins Gebäude vor“
Wie würde das Vorstandsmitglied der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes vorgehen, um herauszufinden, was Dienstagnacht in Singen passierte? „Man verschafft sich immer zuerst einen Überblick von außen und arbeitet sich dann ins Gebäude vor“, sagt Dorroch.
Ein wichtiges Indiz für die Identifikation einer Brandausbruchstelle sind Brandzehrungen, also das tatsächliche Ausmaß des Brandes am Gebäude und dem Inventar. Dazu gehören etwa zerborstene Fensterscheiben. Je heißer der Ort, desto näher der Brandherd – in der Regel zumindest. Dazu gehören auch sogenannte Weißbrände. In diesen Fällen war das Feuer so heiß, dass sogar Ruß verbrennt und nicht mehr sichtbar ist. Wenn Weißbrände vorhanden sind, nähert man sich dem Ort, an dem das Feuer wahrscheinlich ausbrach.
Wenn Ermittler die Stelle auf eine Fläche von etwa zehn auf zehn Metern eingrenzen können, gehen sie ins Detail. Die Experten durchforsten Schutt – immer auf der Suche nach verwertbaren Überresten. Beliebt sind Elektrogeräte. Denn häufig sind Kurzschlüsse für große Brände verantwortlich. Aber nicht nur. Auch Schäden an Heizungen oder selbstgezündete Stoffe und Chemikalien in der Landwirtschaft sind möglich.
Arbeiten nach dem Ausschlussprinzip
Experten wie Andy Dorroch arbeiten grundsätzlich nach dem Ausschlussprinzip. Bedeutet: Kommt zum Beispiel kein Blitzschlag, kein Kurzschluss infrage, wird eine fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung wahrscheinlicher. Dann untersucht er den Boden nach Brandbeschleunigern wie Benzin oder Diesel. „Die Flüssigkeiten kann man sogar auf nacktem Beton im Nachhinein feststellen“, sagt er. Dorroch entnimmt Proben und schickt sie ins Labor.
„Brandspürhunde sind unglaublich“
Bei vielen Bränden setzt Andy Dorroch aber nicht ausschließlich auf Geräte, die bei der Suche nach Brandbeschleunigern helfen. Denn sie können nur sehr lokal bewerten, ob diese Stoffe hier vorhanden sind. Vierbeiner sind viel effektiver: „Gerade bei großen Flächen helfen Brandspürhunde ungemein, diese Stoffe zu finden.“
Örtliche Polizeireviere, Kriminaldauerdienst, Kriminaltechnik, zahlreiche Ermittler der Fachinspektion, aber auch Spezialisten vom LKA arbeiten mit den Gutachtern zusammen. Das LKA etwa wird eingesetzt, wenn zum Beispiel eine aufwändige Vermessung erfolgen muss oder Sachverständige des Kriminaltechnischen Instituts vor Ort mit speziellen Geräten gebraucht werden.
Wann die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernimmt
„Jeder hat dabei seinen abgesteckten Zuständigkeitsbereich“, sagt Polizeisprecher Uwe Vincon und ergänzt: „Die Ermittlungen erfolgen arbeitsteilig und die Ergebnisse werden untereinander regelmäßig ausgetauscht. Ein oder mehrere Hauptsachbearbeiter haben die Aufgabe, die gesammelten Erkenntnisse zu bündeln, zu bewerten und in einer Akte zu dokumentieren. Sollte eine Straftat vorliegen, wird auch sehr schnell die Staatsanwaltschaft in die Fallbearbeitung einbezogen.“
Fotos und Videos sind „Gold wert“
Aber auch Zeugen leisten einen wichtigen Beitrag bei der Aufklärung. Einwohner eines abgebrannten Hauses können genau erklären, wo welche Geräte standen. Und Nachbarn können wertvolle Hinweise geben, wie sich der Brand entwickelte. „Wenn Zeugen Bilder und Videos davon machen, ist das sehr gut. Klar – Gaffer sind ein NoGo. Aber wenn sie die Feuerwehr bei ihrer Arbeit nicht stören und das aufnehmen, ist das Gold wert“, sagt Andy Dorroch.