Im Fachbereich Soziologie bietet die Ethnologin Maria Lidola ein Projektseminar mit dem Titel „Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Heimat? Multimediales Ausstellungsprojekt zu den Radolfzeller Heimattagen 2021“ an. Der Kurs wird über drei Semester angeboten und die Teilnehmer sind angehalten, sich mit verschiedenen Aspekten des Begriffs „Heimat“ zu befassen.
„Wir wollten gar nicht so viel vorgeben, sondern die Studierenden eigene Projekte mit einer eigenen Perspektive auf Radolfzell entwickeln lassen.“ Für die multimediale Umsetzung ist die Dokumentarfilmerin Teresa Renn von Torerofilm zuständig. Sie hilft den Studierenden bei der technischen Umsetzung.
Kann man eine Heimat haben, ohne ein Heim zu haben?
Zwei Studentinnen, die aktuell den Kurs besuchen sind Shima Sardarabady und Amanda Reinker. Beide sind 21 Jahre alt, studieren Soziologie und waren davor noch nie bewusst in Radolfzell. Jetzt müssen sie sich intensiv mit der ihnen fremden Stadt befassen und haben den Aspekt Obdachlosigkeit als Thema ihrer Arbeit gewählt.
„Wir wollen wissen, ob es einen festen Wohnsitz braucht, um ein Heimatgefühl zu empfinden“, erklärt Shima Sardarabady die Idee hinter dem Projekt. Gerne würden sie einen Obdachlosen aus Radolfzell kennen lernen und eine Weile mit der Kamera begleiten.
Radolfzell fernab des Tourismus erleben
Doch noch stehen sie ziemlich am Anfang. „Wir hatten erst vor Kurzem eine Stadtführung und waren das erste Mal so richtig in Radolfzell„, sagt Amanda Reinker. Ziel sei es nun die weniger schönen und repräsentativen Stellen aufzusuchen und das andere Radolfzell, fernab des Tourismus, kennen zu lernen.
Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden im Rahmen der Heimattage 2021 in der Villa Bosch ausgestellt. Selbst für echte Radolfzeller könnte es neue Erkenntnisse, neue Blickwinkel ihrer Stadt geben. „Es wird keine Ausstellung, die das Offensichtliche zeigt“, sagt Dozentin Maria Lidola.
Ausstellung ist im Fach Soziologie etwas Besonderes
Für die Studierenden sei es ebenfalls eine neue Erfahrung, ihre Ergebnisse eines Projektarbeit auf diese Art veröffentlichen zu können. Für gewöhnlich landeten diese in einer schriftlichen Arbeit im Schrank. „Im Fach Soziologie sind Ausstellungen eine absolute Ausnahme. Es ist toll, dass man etwas von seiner Arbeit auch zeigen kann“, so Lidola.
Als Ethnologin in Radolfzell arbeiten klingt weit weniger aufregend als das erforschen von Ureinwohner im Amazonas-Gebiet. Doch Maria Lidola möchte mit diesem Vorurteil aufräumen. Ethnologen reisten nicht mehr nur in den Urwald, es genüge schon sich eine Region auszusuchen, in der man sich nicht auskennt. Und diese könne eigentlich auch direkt vor der Haustür liegen.
Radolfzell in Zeites des Klimawandels
Und Radolfzell habe die Studenten zu vielen interessanten Projekten inspiriert. Eine Gruppe habe Bilder von Radolfzell erstellt, wie es wohl aussehen würde, wenn die Stadt dem Klimawandel zum Opfer fallen würde. Oder wenn der demographische Wandel so ausfallen würde, dass es nur noch Senioren in der Stadt geben würde. Eine andere Gruppe habe sich mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit beschäftigt und plane eine Art Dokumentarfilm zu drehen. Und eine weitere Gruppe habe versucht, Radolfzeller Musik zu sammeln.
Ganz nebenbei beschäftigen sich alle mit ihrem eigenen Begriff von Heimat. Amanda Reinker dachte eigentlich, sie wüsste was Heimat für sie bedeutet. „Doch im Lauf des Seminars wurde das hinterfragt, jetzt habe ich nicht mehr so eine klare Antwort darauf“, sagt die 21-Jährige.
Ähnlich sieht es auch Shima Sardarabady „Ich bin noch im Prozess es herauszufinden. Heimat hat so viele Dimensionen, es ist kein Eindeutiger Begriff.“ Für Kursleiterin Maria Lidola war das Wort Heimat nicht unbedingt positiv. „Ich habe den Begriff Heimat immer abgelehnt, weil er politisch vereinnahmt war.“ Es gehe mehr um orte, an denen sie sich wohl fühle.