Ein Narr kann vieles sein. Nachdenklich, ausgelassen, mahnend. Was ein Narr allerdings nicht ist, ist ein guter Geheimnisträger. War die Radolfzeller Fasnacht doch so geplant, dass möglichst wenig Menschenansammlungen zu erwarten sind. Die Aktivitäten am Schmutzige Dunschtig waren bekannt, doch nicht die Uhrzeit, an denen sie stattfinden sollten. Doch schon mittags wechselte der Marktplatz von gähnender Leere zu proppenvoll.
Hunderte Hästräger, befreite Schüler, Familien und andere Gruppen waren entweder auf gut Glück oder wissend in die Innenstadt gekommen. Irgendwas werde schon stattfinden. Recht sollten sie behalten. Und dafür, dass die Fasnacht nur in eingeschränkter Form stattfinden kann, fühlte sich der Schmutzige Dunschtig zumindest zeitweise erstaunlich normal an.
OB steigt aus dem Fenster
Eins blieb wie immer: Der OB, in diesem Jahr zum ersten Mal Simon Gröger, musste den Rathausschlüssel rausrücken. Erst zwei Monate im Amt schien er nicht sonderlich begeistert zu sein, jetzt schon wieder weichen zu müssen.

Narrizella-Präsident Martin Schäuble sah sich gezwungen, zu drastischeren Mitteln zu greifen. Er fuhr kurzerhand mit der Hebebühne bis ans Fenster des OB-Büros hoch und zog Gröger aus dem Rathaus heraus. Er selbst stieg in das Zimmer ein und machte es sich auf dem OB-Stuhl bequem. Früh am Morgen fanden sich hauptsächlich Mitglieder der Narrizella Ratoldi auf dem Marktplatz. Die Zunft war da fast nur unter sich.
Schüler und Kindergartenkinder werden besucht
Im Anschluss an die Rathausübernahme machten sich die Narren auf, um Schulen und Kitas zu besuchen – zumindest jene, die das auch wollten. Eine ungewöhnliche Abfolge: Normalerweise kommt die Schülerbefreiung noch vor der Rathausübernahme, damit die Narren Kinder und Betreuer in die Innenstadt führen können. Ebenfalls ungewöhnlich war, dass nicht überall die Schulleiter entmachtet wurden: Wie Gardehuptmaa Daniel Hepfer schon im Vorfeld berichtet hatte, hatten Friedrich-Hecker-Gymnasium und Gerhard-Thielcke-Realschule sich während der Pandemie eine Befreiung nicht gewünscht.

Die übrigen Schulen und Kindergärten wurden von den Narren nicht betreten, sie blieben im Außenbereich und erfreuten dort Kinder, Jugendliche und Betreuer mit Musik, Narrenversen und Süßigkeiten. Dabei zogen die meisten Narren durch die Altstadt, nur eine kleine Gruppe stieg ins Auto, um den den Josef-Zuber-Kindergarten am Fuß der Weinburg anzusteuern.
Immer mehr Narren sammeln sich
Spätestens bei der Machtübernahme der Froschenzunft war aus der halben Fasnacht irgendwie eine ganze geworden. Jede geheim abgemachte Uhrzeit war endgültig völlig egal, da ohnehin jeder Zeitplan nicht mehr aufging.

Der sonst so sauber getaktete Ablauf der Radolfzeller Fasnacht verwandelte sich an diesem Schmutzige Dunschtig in Spontanität, Gelassenheit und ein kleines bisschen Chaos. Es sind Bilder, die man unter normalen Umständen eher nicht sehen würde: die Holzhauermusik, die Narrenmusik und die Froschenkapelle gleichzeitig auf dem Marktplatz.
Es steht wieder ein Narrenbaum
Doch einiges bleibt gleich. So ragt auch an dieser Fasnacht ein Narrenbaum, routiniert gestellt von den Holzhauern, auf dem Marktplatz in den Radolfzeller Februarhimmel. Und rund herum hatte sich gefühlt die halbe Stadt versammelt, um diesen Ereignis beizuwohnen. Die Uhrzeit dafür scheinen die Radolfzeller im Gefühl zu haben.
