Er kennt die meisten Füße in Radolfzell und der Höri aus nächster Anschauung. Wer Probleme mit dem Fuß hat, landet oft bei ihm. Bürgermeisterin Monika Laule wandte sich nach einem Beinbruch an ihn, der Mooser Bürgermeister Patrick Krauss kam nach seinem Treppensturz bei ihm unters Messer und war voll des Lobes über Ansprache und Fürsorge im Krankenhaus Radolfzell. Wolff Voltmer, Chefarzt Chirurgie, kennt sogar die Füße der kleinen Kinder in der Stadt. In den Kindergärten stellt sich der 58-jährige altersgerecht vor: „Ich bin der Wolf(f), aber nicht der böse.“ Mit dieser Vorstellung hat der Chefarzt meist schon gewonnen, wenn er ihnen berichtet und vermittelt, was Füße leisten, wie man sie gesund halten und stärken kann.

„Hier haben wir im Team gute Arbeit geleistet“

Doch wie es bei einem Wolf, ob gut oder böse, mit einem oder zwei F, so ist, die Geschichte von Wolff Voltmer als Chefarzt Chirurgie im Krankenhaus Radolfzell nähert sich ihrem Ende. Er hat gekündigt, am 30. Juni läuft sein Vertrag aus. Der Abschied fällt ihm schwer: „Ich wollte von diesem Krankenhaus aus in Rente gehen, das ist mein Krankenhaus gewesen, hier haben wir im Team gute Arbeit geleistet.“

Voltmer spricht in der Vergangenheit und der vollendeten Gegenwart: wollte gehen, ist gewesen, haben geleistet. Das Gefühl, eine Stelle mit Ablaufdatum zu haben, sei immer stärker geworden. „Das Krankenhaus Radolfzell hat keine Lobby“, sagt Voltmer. Die gute Arbeit hier, das funktionierende Team, der Zulauf der Patienten „werden nicht oder werden übersehen“. Mit 58 Jahren schließt man selten mit seinem Beruf ab, eher mit seinem Arbeitsplatz. Das macht der Chefarzt nun.

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Als der kommunale Träger Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) das Belegarztmodell der Geburtenstation in Radolfzell im Jahr 2016 als zu teuer erachtete und von den Belegärzten oder der Stadt Radolfzell die Bezahlung der hohen, sechsstelligen Versicherungssumme verlangte, beschwor das Management das Ende einer erfolgreichen Station mit über 500 Geburten im Jahr herauf. Die Geburtshilfe im Krankenhaus Radolfzell wurde im Jahr 2017 geschlossen, weil sich kein Gynäkologe mehr fand, der auf diese Konditionen eingehen wollte.

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Damit war die Basisversorgung mit Chirurgie, Innerer Abteilung und Anästhesie in Frage gestellt. Flugs hat die Geschäftsführung in Singen den Rechner hervorgeholt: In Radolfzell wird nachts und an Wochenenden zu wenig operiert, da kann man die OP-Zeiten gleich einschränken – es wird nicht mehr nach 18.30 Uhr und nicht an Wochenenden operiert. „Nach dem Wegfall der Geburtenstation haben wir weniger an Wochenenden und in der Nacht operiert, weil keine Kaiserschnitte mehr anfielen“, bestätigt Voltmer.

Das Sterbeglöckchen

Wohl hörten einige in Radolfzell das erste Bimmeln eines Sterbeglöckchens für ihr Krankenhaus, doch in Singen beschwichtigte der damalige Geschäftsführer des Hegau-Bodensee-Klinikums Peter Fischer im SÜDKURIER: „Radolfzell und das Krankenhaus in Radolfzell ist für die Geschäftsführung, ist für den Gesundheitsverbund essenzieller Bestandteil des Gesundheitsverbundes im Landkreis Konstanz. Wir brauchen Radolfzell. Wir werden uns auch in Radolfzell weiterentwickeln.“

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Das Radolfzeller Krankenhaus hat sich in der Basisversorgung entwickelt, aber nicht nach vorn, eher zurück. Zum 1. Januar 2021 hat die Geschäftsführung des GLKN noch einmal eine Beschneidung der Chirurgie beschlossen. Vorher musste immer ein Chirurg im Haus rund um die Uhr in Bereitschaft sein, ab diesem Zeitpunkt hieß es: Von 23 Uhr bis 6.30 Uhr habe nur noch ein fachübergreifender Internist Bereitschaft, ein Chirurg hat seither nur Rufdienst.

Die Abwärtsspirale setzt sich in Gang

Nun stehen die nächsten Veränderungen an, das am Freitag vorgelegte Gutachten für den GLKN sieht vor, ganz auf das Radolfzeller Krankenhaus zu verzichten (siehe Seite Hegau und Bodensee). Ob es so weit kommt oder nicht, Voltmer mag unter diesen Vorzeichen nicht mehr länger Chefarzt bleiben. Mit dem Schließen der Geburtshilfe sei das Kind in den Brunnen gefallen: „Das war der Beginn der Abwärtsspirale.“ Ein Krankenhaus, das seinen Kernkompetenzen – „Innere und Chirurgie“ – nicht mehr nachkomme, sei dem Untergang geweiht. Corona habe diesen Prozess in der Chirurgie beschleunigt. Über ein halbes Jahr habe er selbst geplante Operationen nicht mehr machen können. Die für die Chirurgie ausgebildeten Schwestern seien zur Personalreserve geworden: „Sie waren mehr in Bereichen tätig, wofür sie nicht ausgebildet waren“.

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Wolff Voltmer selbst fehlen Perspektiven im Gesundheitsverbund. Für seinen Spezialbereich, Operationen am Fuß, bekommt er wenig Aufmerksamkeit. Er hat die Konsequenzen gezogen: „Die Struktur ändert sich grundlegend und ich finde mich darin nicht wieder, ich werde meinen Schwerpunkt an anderer Stelle setzen“. Genauer gesagt in Stockach. Dort hat er sich mit seinem Kollegen Frank Mattes aus Überlingen zusammengetan und gründet im neuen Ärztehaus eine Privatpraxis mit orthopädischem Schwerpunkt.

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Wenn auch Wolff Voltmer sich beruflich Richtung Stockach orientiert, privat bleibt er Radolfzeller. Mit ganzem Herzen: „Ich bleibe Radolfzeller mit Leib und Seele“. Denn eines oder der eine will er nicht sein – der böse Wolf(f).