Zu der finanziellen Lage von Reitschulen zeichnet der Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht ein düsteres Bild für seine Mitglieder: „Ein Drittel der Reitschulen fürchtet, den Lockdown nicht zu überleben“, titelte Anfang März die Deutsche Reiterliche Vereinigung. Laut Umfrage der Fédération Nationale (FN) seien die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie für 1100 Reitschulen so gravierend, dass sie ihre Schulpferde abgeben müssen. Für Reitpädagogin Sieglinde Müller aus Öhningen ist die Corona-Krise ein markanter Wendepunkt zur Konsolidierung ihres Reitvereins Löwenherz. Während in Deutschland vermutlich ein Drittel aller Reitschulen die Krise nicht überstehen werden, dürfte der Öhninger Reitverein gestärkt aus der andauernden Corona-Pandemie hervorgehen.

Seit 15 Jahren besteht der Reitverein Löwenherz. Er liegt mitten in einem Landschaftsschutzgebiet zwischen Öhningen, Schienen und Wangen – umgeben von Wiesen und sehr viel Wald. „Ein letztes Stück Paradies“, nennt Vereinsmanagerin Sieglinde Müller den Standort auf der Höri. Die Reiter könnten die gesamte Bodenseehalbinsel für Ausritte nutzen und seien dabei permanent neuen Landschaftseindrücken ausgesetzt.

Das Angebot des Reitvereins war vor der Corona-Pandemie enorm. Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ist der Verein Löwenherz eine anerkannte Reitschule der Fédération Nationale mit 17 Schulpferden und einem integrativen Ansatz samt Bildungsangebot an junge Menschen für den Umweltschutz. Dem Reitverein ist zudem eine Kinder- und Jugendfarm angeschlossen. Bis zu vier Jugendliche können auf dem Reiterhof von Sieglinde Müller sozialpädagogisch betreut werden. Kinder, die aus Gründen einer Kindeswohlgefährdung aus ihren Familien genommen wurden und starke Zeichen psychischer Belastung zeigen, werden von der Pädagogin mit einem pferdegestützten Coaching zurück in ein aktives Leben geführt.

Die Stallungen im Reitverein Löwenherz wurden zur Selbstversorgung umgebaut. Die Anschaffung eines Hofladers ermöglichte der ...
Die Stallungen im Reitverein Löwenherz wurden zur Selbstversorgung umgebaut. Die Anschaffung eines Hofladers ermöglichte der Reitpädagogin Sieglinde Müller zudem eine effizientere Bewirtschaftung auf dem Unterbühlhof. | Bild: Georg Lange

Die Reitschule bietet neben einer Grundausbildung auch Dressurreiten sowie Pferdespringen an. Sie macht ein Geländetraining und organisiert Wander- und Jagdreiten. Der Verein wurde europaweit vermarktet und bot für zehn Wochen Reiterferien an. Er hält eine Kindertagesbetreuung sowie für seine Gäste auch Abenteuer-, Wald- und Bodensee-Panorama-Ritte bereit.

Eine Umstrukturierung des Reitvereins war nicht nur wegen der Pandemie von Nöten. Bereits vor zwei Jahren stieg eine Kollegin von Sieglinde Müller aus dem Verein aus. Zwei Jahre lang suchte die Reitpädagogin vergeblich nach einem Ersatz. „Der Reitverein ist von seinem Angebot und dessen Größe eigentlich für drei Vollzeitstellen ausgelegt“, erläutert Müller. Doch an ihrer Seite standen nur noch Auszubildende, eine Pädagogin für ein Anerkennungsjahr sowie Freiwillige für das soziale Jahr. Zwei Jahre lang führte Müller die Reitschule alleine und unter starker Belastung. Denn Zuhause habe sie auch eine sechsköpfige Familie mit zwei Kindern sowie zwei weiteren Jugendlichen, die sie sozialpädagogisch betreut. „Dann kam die Krise mit dazu“, umschreibt Müller den Wendepunkt für den Reitverein Löwenherz.

Jahresumsatz bricht um die Hälfte ein

Mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie entfiel beim Reitverein ein Großteil der Angebote, die ihn finanziell stabilisierten. Mit dem ersten Lockdown musste er Buchungen für die Reitferien rückgängig machen und die in Vorkasse gegangenen Urlauber entschädigen. Für gewöhnlich helfen Vorauszahlungen, den Reitverein gut durch den Winter zu bringen, erläutert Müller. Doch mit den Maßnahmen zur Pandemie entfielen die Übernachtungsfreizeiten für den Verein. Im letzten Sommer konnte ein Teil des Programms coronakonform angeboten werden. Der Reitverein überbrückte die Zeit mit zwei Corona-Hilfen und mit der Betreuung von Kindern.

Mehr als die Hälfte des Jahresumsatzes sei zusammengebrochen, erläutert Müller. Seit eineinhalb Jahren verzichtet sie auf ihren Lohn. So brauchte sie niemanden entlassen. Doch zeichnete sich schnell ab, dass die Pandemie über den Winter andauern würde und die Versorgung der 17 Schulpferde in Gefahr steht. Allein für deren Verpflegung müssen monatlich über 400 Euro pro Pferd aufgewendet werden. Müller stand im Herbst plötzlich vor zwei Optionen: „Entweder verkaufe ich alle Pferde oder ich fahre den Betrieb so weit herunter, dass sie ihn allein bewerkstelligen kann.“

Großes Interesse an den Patenschaften

Sieglinde Müller stellte die wirtschaftliche Lage in einer Mitgliederversammlung dar und trug den Mitgliedern ein neues Konzept für den Reitverein vor. Sie erinnert sich an ihre Angst: Hätte ihr Konzept keine Zustimmung erfahren, so hätte sich der Verein von seinen Schulpferden trennen müssen. Müller wird gegenüber dem SÜDKURIER deutlicher: Während einer Krise sei es schwierig, ein Luxusgut wie ein Pferd zu verkaufen. Hätte ihr Plan nicht funktioniert, dann wären alle Pferde zum Tode verurteilt gewesen. Als Konzept für die Versorgung der Pferde schlug Müller ein Patenschaftsprogramm für die Tiere vor. Insgesamt berechnete sie einen Bedarf von 60 Paten. Bereits einen Tag nach der Versammlung gingen im Reitverein 45 verbindliche Zusagen für einen Patenschaftsvertrag ein.

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Das neue Konzept bot auch Vorteile. Während der Verein rund 103 Reitschüler wöchentlich hatte und die Pferde unter ihnen verteilt wurden, steht nun ein Pferd für maximal vier Paten zur Verfügung. Damit wurde nicht nur die Belastung der Schulpferde um die Hälfte reduziert, sondern auch der Arbeitsaufwand und die Versorgung sämtlicher Tiere gesichert.

Zudem zeichnete sich ein positiver Nebeneffekt für das Vereinsleben ab: „Viele, die im Reitverein unverbindlich waren, hatten sich plötzlich freiwillig gebunden“, so Müller. Der Verein investierte 60.000 Euro in einen Hoflader, mit dem die Arbeit auf dem Reiterhof von Sieglinde Müller in wenigen Stunden allein getätigt werden kann. Durch einen Stallumbau müssen nun die Pferde nicht mehr von Hand gefüttert und die Boxen von Hand ausgemistet werden. Das Angebot der Reitschule wurde nur auf Mitglieder im Verein reduziert, die sich verbindlich um die Schulpferde sorgen. Mit dem neuen Konzept konnte so das Leben ihrer 17 Pferde gerettet werden.