Normen Küttner ist Notfallsanitäter aus Leidenschaft, seit über 35 Jahren schon. „Mein Beruf ist erfüllend, ich kann Menschen helfen und habe ein tolles Team“, schwärmt er. Doch die zunehmend schwierigen Umstände seiner Arbeit führen dazu, dass immer mehr Kollegen aufgeben. „Wir haben kein Nachwuchsproblem, aber die Verweildauer im Beruf wird kürzer“, sagt Küttner, der beim Deutschen Roten Kreuz arbeitet.
Pünktlicher Feierabend ist selten
Er selbst ist teilfreigestellter Betriebsrat und hat die Arbeitszeit reduziert. „Unser Job ist belastend“, sagt Küttner. Dazu kommen die vielen Überstunden, weil Personal fehlt. „Ein pünktlicher Feierabend ist selten, das Einspringen aus der Freizeit heraus häufig.“ Derzeit gelte für Notfallsanitäter die 45-Stunden-Woche, in anderen Bundesländern seien es sogar 48 Stunden.
Immerhin haben das Rote Kreuz und die Gewerkschaft Verdi nun vereinbart, dass die Wochenarbeitszeit sich in Baden-Württemberg bis 2026 auf 43 Wochenstunden senkt und bis 2028 auf 42 Stunden.

„Der Fachkräftemangel ist ein Dauerthema. Wir müssen auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen“, sagt Küttner. Dies sei Fluch und Segen zugleich. „Hätten wir keine Leiharbeiter, könnten wir manchmal nicht in den Einsatz fahren. Doch wenn in einem Rettungswagen zwei Leute mit derselben Ausbildung sitzen und einer verdient deutlich mehr, ist das ungerecht.“
Der mit dem höheren Verdienst ist der Leiharbeiter. „Früher waren Leiharbeiter in Firmen die mit dem geringsten Verdienst, heute sind sie die Könige“, sagt der Notfallsanitäter. „Hier müssten sich die Tarifparteien einigen, damit die Angestellten der Rettungsdienste genauso viel bekommen. Das wäre die verdiente Wertschätzung unseres Berufs.“
Demo vor Gesundheitsminister Karl Lauterbach
Normen Küttner und seine Kollegin Felicitas Fatty nutzten die Gesundheitsministerkonferenz Anfang Juli 2023 in Friedrichshafen, um gemeinsam mit rund 600 Pflegekräften und Ärzten für einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik zu demonstrieren. Denn auch weitere Umstände machen die Arbeit der Notfallsanitäter schwierig.
„Durch die Zentralisierung der Kliniken im Kreis Konstanz werden nicht mehr überall alle Leistungen angeboten. Dadurch fahren die Rettungswagen längere Wege, verlegen Patienten auch in andere Landkreise und in die Schweiz. Personal und Wagen fehlen dann im Stadtgebiet“, so Küttner. Dabei ist ihm eines wichtig: „Die Bildung medizinischer Schwerpunkte hat Sinn. Doch dies muss bei der Vorhaltung der Rettungsdienste mitgedacht werden!“

Bernd Sieber, Geschäftsführer des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN), gibt zu bedenken: „Bei lebensbedrohlichen Ereignissen wurde auch bisher schon der Standort Radolfzell nicht mehr angefahren, sondern auf die größeren Akutkliniken zurückgegriffen.“
Außerdem entfielen durch die Schließung der Klinik in Radolfzell auch Fahrten zur Abklärung ehemals Radolfzeller Patienten nach Singen und Konstanz. „Mehr Personal im Rettungsdienst wird durch die Bündelung der Krankenhausstandorte nicht erwartet, da die Zahl der Einrichtungen der Rettungsdienste nicht verändert werden muss“, so Sieber.

Diese Meinung teilt Normen Küttner nur teilweise: Mehr Personal sei durchaus nötig – auch jetzt schon. Und je nachdem, wie die bald anstehende Entscheidung zur gesetzlichen Hilfsfrist ausgeht, komme man wohl auch nicht mehr um den Bau einer weiteren Rettungswache im Kreis Konstanz herum, ist die Einschätzung des Notfallsanitäters.
Landesregierung will Hilfsfrist verändern
Denn bislang steht im Gesetz, dass Rettungsdienste in Baden-Württemberg innerhalb von 10, höchstens 15 Minuten nach Alarmierung vor Ort sein müssen. Doch die Landesregierung kündigte noch für dieses Jahr ein neues Gesetz an – mit einer Hilfsfrist von zwölf Minuten.
Dazu sagt José da Silva, stellvertretender Kreisgeschäftsführer des DRK: „Die zwölfminütige Hilfsfrist stellt jeden Rettungsdienstbereich vor große Herausforderungen und wird auch in unserem Landkreis nur sehr schwer zu bewältigen sein. Schon eine 15-minütige Hilfsfrist ist sehr schwer einzuhalten.“
Normen Küttner sieht aber – unabhängig von der Hilfsfrist – auch in den aktuellen Strukturen Verbesserungsmöglichkeiten. Damit meint er unter anderem die Tatsache, dass seit geraumer Zeit nicht mehr die Rettungsleitstelle Radolfzell ans Telefon geht, wenn jemand die Nummer 116 117 wählt – eine Notrufnummer für den ärztlichen Bereitschaftsdienst.
„Inzwischen wurde dies in Call Center ausgelagert“, sagt der 58-Jährige. „Das führt dazu, dass bei Anrufen nicht mehr richtig nachgefragt wird, um welchen Notfall es sich handelt. Nach bestimmten Stichwörtern wird dann der Rettungswagen alarmiert, auch wenn ein Hausarzt ausgereicht hätte.“
„Missbrauch der Rettungsdienste“
Dazu komme das steigende Anspruchsdenken der Bevölkerung. Normen Küttner nennt es „Missbrauch der Rettungsdienste“, wenn der Rettungswagen wegen Lappalien gerufen wird und nennt, überspitzt gesagt, den abgebrochenen Fingernagel als Beispiel. „Solche Anrufe überlasten uns!“, so Küttner.

José da Silva stimmt ihm zu: Die Bevölkerung müsse sich viel öfter fragen, was wirklich ein Notfall ist. Die Hoffnung, durch Eintreffen mit dem Rettungswagen in einer Klinik schneller behandelt zu werden, erfülle sich nicht automatisch: Die Ärzte in den Kliniken priorisieren nach dem Schweregrad der Erkrankung.
„Unsere Notfallsanitäter fahren zu 85 bis 90 Prozent Bagatelleinsätze“, sagt der stellvertretende DRK-Kreisgeschäftsführer. Dies sei ein Grund dafür, warum manche den Beruf aufgeben: „Die echten Notfälle machen nur einen Bruchteil ihrer Arbeit aus.“

Doch die echten Notfälle sind es, für die junge Menschen wie Sophia Braun ausgebildet werden. Die 23-Jährige, die in Konstanz wohnt, ist im dritten Lehrjahr zur Notfallsanitäterin und schätzt an ihrem Beruf die hohe Eigenverantwortung: „Wenn kein Notarzt dabei ist, entscheidet man selbst, wie man handelt“, sagt Sophie Braun.
Auch die 23-Jährige sieht die angesprochenen strukturellen Schwierigkeiten bei den Rettungsdiensten. Dazu kommen der Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst, unregelmäßige Pausen sowie Zwölf-Stunden-Schichten. „Doch diese finde ich reizvoll“, sagt Sophia Braun. „So habe ich auch mal unter der Woche frei, wenn andere arbeiten.“

Sophia Braun freut sich, dass auf verschiedenen Ebenen an verbesserten Arbeitsbedingungen gearbeitet wird. Dann muss es im Kreis Konstanz nicht so weit kommen wie in Berlin. „Die gehen dort einen krassen Weg“, sagt Normen Küttner. „In den Berliner Call Centern wurden einige Alarmierungsstichworte gelöscht, sodass bei manchen Vorfällen einfach kein Rettungswagen mehr kommt.“