Der Bodensee und der Rhein sind vieles: Trinkwasserspeicher, Tourismusmagnet, Fischreservoir und vor allem sind sie landschaftsprägend. Jetzt könnten die Gewässer auch noch zu einem riesigen Energielieferanten werden.

Man darf sich fragen, warum die Menschen am Bodensee nicht schon früher darauf gekommen sind, dem Wasser im Winter ein paar Grad Wärme für die Heizungen und im Sommer ein bisschen Kälte für die Kühlanlagen zu entziehen. Es muss daran liegen, dass andere Brennstoffe bisher leichter verfügbar waren. Doch die Zeiten haben sich geändert. Es gibt gerade eine massive Preissteigerung von Öl und Gas. Die Bereitschaft zum Umdenken wächst. Das Thema der Stunde heißt erneuerbare Energie.

Ein Modell auch für Deutschland?

In diesem Umfeld ist eine Studie aus dem Kanton Thurgau angesiedelt, die nun auch bei deutschen Gemeinden für großes Interesse sorgt. Es geht um die thermische Nutzung des Bodensee- und Rheinwassers. Wir befragen dazu die Fachspezialistin Energie, Fabienne Eppisser, vom Departement für Inneres und Volkswirtschaft in Frauenfeld.

Fabienne Eppisser ist im Kanton Thurgau im Departement für Inneres und Volkswirtschaft verantwortlich für den Bereich Energie. Sie hat ...
Fabienne Eppisser ist im Kanton Thurgau im Departement für Inneres und Volkswirtschaft verantwortlich für den Bereich Energie. Sie hat an der Machbarkeitsstudie zur thermischen Nutzung von Bodensee und Rhein mitgearbeitet. | Bild: Eppisser

Sie sitzt im Kanton Thurgau an der Schnittstelle von Politik, Umweltamt und Wissenschaft. Sie hat die Machbarkeitsstudie mit erarbeitet und koordiniert nun die nächsten Schritte. Aus der Studie geht hervor, dass zwei Drittel der Gemeinden in der Schweiz noch immer mit fossiler Energie versorgt werden. Das Klimaziel der Eidgenossen sieht jedoch einen vollständigen Umstieg auf alternative Energieformen bis 2050 vor.

Auf Schweizer Seite schon 14 geeignete Standorte

Zeitgeschichtlich ein Wimpernschlag. Das wissen alle und suchen nach Lösungen. Eine, wenn auch regional sehr begrenzte, scheint nun mit der thermischen Wärmenutzung des Bodensees gefunden. Am Schweizer Ufer haben die Verantwortlichen 14 geeignete Standorte für Energieverbünde ausgemacht.

In der Studie wurde die Wirtschaftlichkeit der Wärmepumpentechnik unter Berücksichtigung des ökologischen Gleichgewichtes erforscht. Die Investition in Pumpwerke, Kompressoren und Leitungen könnte sich lohnen, sofern sich genügend Haushalte oder Betriebe anschließen.

Die in der Landkarte eingezeichneten Gebiete wurden im Auftrag des Kantons Thurgau genauer untersucht. Es geht um die thermische Nutzung ...
Die in der Landkarte eingezeichneten Gebiete wurden im Auftrag des Kantons Thurgau genauer untersucht. Es geht um die thermische Nutzung von Rhein und Bodensee. | Bild: Grafik: Kanton Thurgau/Abteilung Energie

In Friedrichshafen ist man hellhörig geworden. Und auch auf der Insel Mainau fand die Studie bei einer Veranstaltung des Singener Unternehmens Solarcomplex unter dem Titel „Energiesysteme im Wandel“ viel Beachtung.

„Das Interesse an der Studie ist sehr groß“, sagt Fabienne Eppisser. „Wir suchen zum Beispiel engen Kontakt zu den Stadtwerken in Konstanz.“ Ein Energieverbund mit Kreuzlingen scheint denkbar. Das Wasser soll für die thermische Nutzung aus 20 bis 30 Metern Tiefe entnommen werden. Dazu braucht es Leitungen.

Auf der Suche nach Interessenten

Fabienne Eppisser betreibt Aufklärung in den See-Anrainergemeinden. Ziel ist es, Gemeinden oder größere Industrieanlagen zu Verbünden zusammenzuschließen. „Die Umsetzung der Projekte ist Sache der Gemeinden“, sagt die Koordinatorin. Zentrale Frage ist dabei die Finanzierbarkeit.

Ein Wärmetransport ins Hinterland lohne sich nicht. Als gutes Beispiel für die Wärmenutzung nennt Eppisser die Gemeinde Egnach bei Arbon. Dort entstehen 700 neue Wohnungen, die mit Seewärme geheizt werden könnten.

Was passiert mit dem See?

Doch was geschieht mit dem See, wenn ihm Wärme entzogen wird? Wird er dann immer kälter? Fabienne Eppisser erklärt: „Wenn alle 14 Gemeinden thermische Energie aus dem See nutzen würden, würden jährlich 345 Gigawattstunden für Wärme und 59 Gigawattstunden für Kühlung benötigt. Das Potenzial auf Schweizer Seite liegt bei 2800 Gigawattstunden Wärme und 1400 Gigawattstunden für Kälte.“

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Die Obergrenze werde man wohl nie erreichen. Tendenziell sei der See durch den Klimawandel wärmer geworden, weshalb er sogar von Abkühlung durch die Wärmenutzung profitiere. Schwieriger sei die Kältenutzung, weil dadurch wärmeres Wasser zurückgeführt würde. Das wäre fatal für eine der bedeutendsten Äschenpopulationen Europas, die im Rhein lebt. Temperaturen über 24 Grad würden die Fische bedrohen, weshalb hier kein Wasser zu Kühlungszwecken entnommen werden darf.

Gesetzliche Grundlagen fehlen noch

„Die ökologischen Interessen sollen gewahrt werden“, sagt Eppisser. Dafür müssten die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Im nächsten Schritt geht es nun darum, die geeigneten Gemeinden für die Wärmepumpentechnik zu gewinnen. Das wäre ein Beitrag zur Energiewende. Doch bis dahin müssen Fabienne Eppisser und ihre Mitstreiter noch viel Überzeugungsarbeit leisten.