Die entscheidende Frage, die Richter Christian Brase mit seinem Urteil am Amtsgericht beantworten musste: Hat der Angeklagte gewerbsmäßig 16 Hotels geprellt? Hat er in weiteren dreizehn Fällen Geldbeutel und diverse technische Geräte geklaut, um damit seinen Lebensunterhalt zu finanzieren? Oder hat der 48-Jährige lediglich jede sich bietende Möglichkeit genutzt, um sein zweifelhaftes Verhältnis zu Recht und Ordnung auszuleben? Staatsanwalt und Verteidigung waren sich indes in einer Sache einig: Dass der Angeklagte Ingo H. erstens schuldig und zweitens ins Gefängnis gehen müsse – daran gab es keinen Zweifel. Zu offensichtlich waren seine Straftaten – und schließlich legte er ein umfassendes Geständnis ab.

Dieses Geständnis sowie die Bereitschaft, Schäden wiedergutzumachen und die vom Richter nicht erkannte Gewerbsmäßigkeit seiner Straftaten wurden unter anderem angerechnet, so dass am Ende eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten herauskam. "Wir haben es hier mit einem Gelegenheitsdieb und einem Zechpreller zu tun, der Schäden verursacht hat, deren Wiedergutmachung ohne große Probleme zu bewerkstelligen ist", begründete der Richter. "Das ist kein Vergleich zu einer schweren Körperverletzung, mit deren Folgen das Opfer ein Leben lang zu kämpfen hat." Christian Brase stellte aber auch klar: "Offensichtlich hat der Angeklagte ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung. Ich habe jedoch die Hoffnung, dass er sich während der Haftstrafe sein Fehlverhalten vor Augen führt."

Die Anklageschrift von Staatsanwalt Kai Hermes dauerte rund eine Viertelstunde, zwischen Juli 2014 und März 2017 stieg er in 16 Hotels in der Schweiz, Österreich und Deutschland unter, verließ die Lokalitäten jedoch, ohne die Rechnungen zu bezahlen. "Der Gesamtschaden beläuft sich auf 1737,39 Euro sowie 2318,90 Schweizer Franken", rechnete der Staatsanwalt zusammen. Als der Angeklagte schließlich im Bilger Eck am 18. März festgenommen wurde, fand die Polizei jede Menge Hehlerware und Diebesgut in seinem Zimmer. Unter anderem bediente er sich laut Staatsanwalt in den Garderoben der Volkshochschule, der Südwestdeutschen Philharmonie sowie im Steigenberger Inselhotel. Der Angeklagte gab die Zechprellerei in den Hotels sowie weitere Diebstahldelikte zu, stritt aber ab, dass er im Inselhotel Geldbeutel stahl. "Ich habe aber Hotelrechnungen im selben Zeitpunkt gezahlt, wenn ich dazu in der Lage war", sagte der 48-Jährige, der seine schwere Kindheit in der DDR sowie die Scheidung seiner Eltern als eine Erklärung für das Abrutschen auf die schiefe Bahn nannte. Er bezeichnete sich als freien Journalisten, der aufgrund seiner Recherche von der politischen Rechten bedroht werde. "Mein soziales Umfeld wurde unterwandert. Ich könnte über den Dönermord der NSU einiges aussagen", berichtet er. "Aber mir hört ja niemand sieben Stunden zu." Richter Christian Brase nickte und verwies ihn auf das Oberlandesgericht München. In der Schweiz stellte der Angeklagte einen Asylantrag, der nach seiner Angabe noch bearbeitet werde.

Staatsanwalt Kai Hermes beantragte drei Jahre und drei Monate. Das große Vorstrafenregister mit Dutzenden von Freiheits-, Bewährungs- und Geldstrafen spräche dafür, dass der Angeklagte unbelehrbar sei. Verteidiger Nicolas Doubleday fragte sich, ob den Hotels wirklich ein Gewinn entgangen ist oder ob sie die Zimmer anders vermietet hätten, wenn sein Mandant nicht dort untergestiegen wäre. "Außerdem hat es ja überall Name und Adresse angegeben, hat es der Staatsanwaltschaft also einfach gemacht." Das sei positiv zu berücksichtigen. "Außerdem darf man bei den entwendeten technischen Geräten nicht den ursprünglichen Wert, sondern den Zeitwert ansetzen." Er forderte nicht mehr als zwei Jahre und neun Monate für seinen Mandanten. Der Angeklagte selbst bezeichnete sich als facettenreichen Menschen, der auch gute Seiten habe: "Ich setze mich zum Beispiel für Behinderte ein und frage mich, wie ich aus dem Dilemma herauskomme. Die Taten kann ich nicht mehr rückgängig machen, aber ich möchte die Schäden begleichen." Er als starker Raucher habe ja nicht mehr so lange und hoffe, dass er nach der Haftstrafe die Vergangenheit vergessen und einen Neustart mit Lebensgefährtin machen könne. Da die Untersuchungshaft angerechnet wird, warten zwei Jahre Haft auf den Verurteilten. Nach der Hälfte der Haftstrafe kann er einen Antrag auf vorzeitige Entlassung stellen.

Zechprellerei

In Deutschland ist Zechprellerei kein Rechtsbegriff. Juristisch gesehen ist die Zechprellerei als solche unter zivilrechtlichen und strafrechtlichen Aspekten zu betrachten. Nach Paragraf 263 Strafgesetzbuch wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Schon der Versuch ist strafbar. Ob die Person wegen Betruges verurteilt werden kann, hängt davon ab, ob die Polizei in den Ermittlungen beweisen kann, dass er in der Absicht gehandelt hat, abzuhauen, damit er die Rechnung nicht bezahlen braucht. Um den Tatbestand des Betruges zu erfüllen, langt es nicht, dass er die Rechnung nicht bezahlt hat, sondern es muss ihm die Absicht bewiesen werden, dass er nicht plante, die Hotelrechnung zu begleichen.