Frau Wolf, wie setzen sich die Erstsemester an der HTWG zusammen? Kommen mehr Studierende direkt nach dem Schulabschluss?
Das ist unterschiedlich – je nach Studiengang. In den technischen Studiengängen gibt es mehr Studierende mit Berufserfahrung als in den Fächern mit wirtschaftlichem Anteil. Das hat den Hintergrund, dass vor allem viele junge Männer erst eine Berufsausbildung machen und sich im Anschluss für ein Studium entscheiden. Deswegen haben rund 50 Prozent der Erstsemester kein Abitur und etwa 50 Prozent sind Abiturienten, die direkt nach dem Schulabschluss zu uns kommen.
Welche Möglichkeiten werden den Nicht-Abiturienten geboten, um zu studieren?
Zu den Studierenden ohne Abitur zählen diejenigen, die den Hochschulzugang auf anderem Weg erhalten haben. Beispielsweise dadurch, dass sie nach der Ausbildung eine Aufstiegsfortbildung, wie den Meister, gemacht haben und somit einen allgemeinen Hochschulzugang. Sie können also an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW), wie heute die Fachhochschulen bezeichnet werden, sowie an Universitäten studieren.
Dann gibt es auch die Gruppe der beruflich Qualifizierten, die eine Ausbildung absolviert und drei Jahre Berufserfahrung gesammelt haben. Diese Gruppe kann nach einer Eignungsprüfung einen fachgebundenen Zugang zur Hochschule erhalten.
Eine weitere Gruppe sind die Studierenden, die nach der Ausbildung noch ein Jahr Berufskolleg zum Erwerb der Fachhochschulreife (BKFH) machen. Die sind in der Regel auch sehr gut auf das Studium vorbereitet. Sie frischen ihre Kenntnisse aus der Schulzeit nämlich nochmals auf und haben gleichzeitig praktische Erfahrungen gemacht. Ihnen fällt das Studieren deshalb leichter und das macht sich auch in den Noten bemerkbar.
Glauben Sie, dass die öffentlichen, weiterführenden Schulen gut auf das Studium vorbereiten?
Ja, das finde ich schon. Die Abiturientinnen und Abiturienten sind gut auf ihr Studium vorbereitet. Neben den fachlichen Kenntnissen fällt auch auf, dass sie mit guten Methodenkompetenzen kommen. Klar gibt es auch bei den Abiturienten Unterschiede. Je nach Profil- und Neigungsfach können auch Lücken entstehen, die im Studium mühsam nachgeholt werden müssen.
Die Schulen begleiten außerdem die Schülerinnen und Schüler in der Berufs- und Studienorientierung. So bietet das BOGY (Berufs- und Studienorientierung an Gymnasium) insgesamt sieben Module zur Berufs- und Studienorientierung. Wenn das Studium passgenauer gewählt wird, sind die Erfolgschancen natürlich höher.
Kann der Abschluss am Berufskolleg zum Erwerb der Fachhochschulreife (BKFH) mit dem Abitur gleichgesetzt werden?
Das BKFH kann nicht innerhalb eines Jahres den Umfang eines Abiturs am Gymnasium leisten. Deshalb haben die Nicht-Abiturienten manchmal einen Aha-Moment, wenn sie das Studium beginnen. Beispielsweise wenn erstmals eine Präsentation auf Englisch gehalten werden muss. Da merken die Studierenden, dass sie sich nochmals intensiver einarbeiten müssen. Denn einige haben seit der Realschule kein Englisch mehr gesprochen und dann finden einige Vorlesungen oder Prüfungen auf Englisch statt.
In manchen Studiengängen kann man einen Englisch-Auffrischungskurs machen oder auch Mathematik-Vorbereitungskurse vor Studienbeginn belegen. Es gibt also immer einen Lösungsweg, falls man einen solchen Aha-Moment haben sollte.
Wie wirkt sich eine Ausbildung, berufliche Erfahrung oder ein längeres Praktikum vor dem Studium auf die Leistungen aus?
Natürlich bringen praktische Erfahrungen den Studierenden viele Vorteile. Das kann die Denk- und die Herangehensweise oder das bereits praktisch Erlernte betreffen, welches sie im Studium mit dem theoretischen Input verknüpfen können. Dadurch, dass sie im Berufsleben einen geregelten Alltag hatten, teilen sie sich ihre Zeit im Studium auch anders ein.
Diejenigen, die eine einschlägige Berufsausbildung absolviert haben, können auch in der Bewerbungsphase profitieren. Sie können eine Notenverbesserung erlangen und erhöhen damit ihre Chancen, einen Studienplatz zu bekommen. Es wirkt sich also auch positiv auf eine Bewerbung aus. Wenn man also nicht die superguten Noten mitbringt, aber dafür die entsprechende Erfahrung, dann belohnen die Hochschulen das auch im Rahmen des Auswahlverfahrens.
Hand auf's Herz: Haben es die einstigen Abiturienten oder die Nicht-Abiturienten im Studium etwas leichter?
Alle haben Vor- und Nachteile. Die Abiturienten haben beispielsweise Mathe-, Physik- und Englischkenntnisse auf einem höheren Niveau. Das kann man nicht abstreiten. Sie haben auch das Sitzfleisch und es fällt ihnen leichter, sich hinzusetzen und zu lernen.
Ihnen können aber andere Dinge Probleme bereiten. Sie müssen erst dieses neue Leben kennenlernen. Denn die rund 18 Jahre alten Studierenden haben bei ihren Eltern Rückhalt gehabt – gefühlt hatten sie bereits eine Selbstständigkeit und fühlen sich auch erwachsen. Aber nach diesem Schritt haben sie ihren eigenen Haushalt, Rechnungen und Fristen, die sie eigenverantwortlich einhalten müssen. Und auch das will gelernt sein.
Die Studierenden, die bereits eine Berufsausbildung gemacht haben, haben sich oft ihren weiteren Werdegang gut überlegt. Das sind die, die diesen Weg einschlagen wollen, und deshalb sind sie auch besonders motiviert. Sie müssen aber auch in den Fächern, in denen sie Lücken bemerken, mehr aufarbeiten. Dennoch haben sie es in einigen anderen Bereichen gelegentlich etwas einfacher, weil sie von ihren beruflichen Erfahrungen profitieren können - beispielsweise bereits fachliche Begriffe kennen - und den Transfer sehr gut hinbekommen.
Aber auch die beruflich Qualifizierten haben anfangs einiges zu bewältigen: Sie stehen mit beiden Beinen im Berufsleben, führen sozusagen ein „Erwachsenenleben“. Aus diesem müssen sie aussteigen, um ins Studium einzusteigen. Sie müssen oftmals die Finanzierung anders regeln, denn BAföG erhält man in der Regel nur wenn Studienbeginn vor dem 30. Lebensjahr erfolgt ist. Hinzu kommt das Bezahlen der Miete, Auto, Versicherungen etc. und manchmal haben eine eigene Familie zu ernähren. Da überlegt man sich das schon sehr gut, ob man diesen Einstieg wagt.
Welche Eigenschaften sollte ein junger Mensch ihrer Meinung nach mitbringen, um erfolgreich durch das Studium zu kommen?
Interesse am Fach, Motivation und Disziplin. Außerdem finde ich es wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben. Manchmal fällt es den Studierenden schwer, wenn im Grundstudium die ersten Veranstaltungen stattfinden, und sie noch nicht wissen, wo das hinführt. Wenn man weiß, was man später beruflich machen möchte oder in welche Richtung es gehen soll, dann fällt es auch leichter, seinen Weg durch das Studium zu bahnen.
Konnten in der Vergangenheit Unterschiede zwischen G8- und G9-Abiturienten festgestellt werden, die an die Hochschule kamen?
Eigentlich nicht so sehr – erstaunlicherweise. Ich glaube, dass sich die Abiturienten erst einmal sehr gut verteilt haben: Manche haben ein Auslandsjahr gemacht, andere Bundesfreiwilligendienst oder eine Ausbildung. Sie haben teilweise einfach zu einem späteren Zeitpunkt ein Studium angetreten. Deshalb haben sich die G8- und G9-Abiturienten vermischt und es konnte kein wesentlicher Unterschied festgestellt werden. Gelegentlich haben wir den Eindruck, dass durch die jüngeren Studierenden der Betreuungsbedarf an mancher Stelle größer geworden sei.
Welche Herausforderungen entstehen dadurch, dass durch das achtjährige Gymnasium ein Teil der Studierenden im ersten Semester noch minderjährig ist?
Wer mit 17 Jahren nach dem Abi an eine Hochschule kommt, der muss natürlich noch alles vom Erziehungsberechtigten unterschreiben lassen – vom Bewerbungsantrag über die Immatrikulation bis hin zum Mietvertrag. Glücklicherweise sind die meisten Minderjährigen, die ihr Studium hier angefangen haben, innerhalb der ersten Monate volljährig geworden. Also auch noch vor dem ersten Prüfungszeitraum, weshalb wir als Hochschule keine großen Probleme oder einen höheren Aufwand bemerkt haben.
Ab welchem Zeitpunkt sollten sich Schüler, die nach dem Abschluss ein Studium anstreben, informieren?
Ich denke, dass junge Menschen etwa zwei Jahre vor ihrem Schulabschluss damit beginnen sollten, sich zu informieren. Auf diese Weise hat man genug Zeit sich ohne Druck damit auseinanderzusetzen, wo der Weg hinführen soll. Denn einige Monate vor den Abschlussprüfungen hat man den nahenden Abschluss bereits im Kopf und den Lernstress vor Augen, der einen erwartet. Da sollte man sich nicht auch noch mit den vielfältigen Möglichkeiten auseinandersetzen müssen.
Können die Konstanzer Schüler die Studienberatung der HTWG in Anspruch nehmen?
Die Zentrale Studienberatung ist eine neutrale Anlaufstelle . Hier können sich sowohl Studierende als auch Interessierte aus Konstanz und aus dem Umland - allgemein, aber auch zum Angebot der HTWG - beraten lassen.
Vom 6. bis 8. März 2017 bietet die HTWG in Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz übrigens auch Studieninformationstage an. An diesen Tagen können die Lernenden aus der Region das Studienangebot in Konstanz kennenlernen.