Leo Lensing kennt die Vorbehalte: „Man kommt schnell in den Ruf, zu viel Verständnis zu haben für Männer, die gewalttätig geworden sind“, sagt er. Der Diplompsychologe, der für Pro Familia arbeitet, hält dagegen: Wer die Spirale der Wiederholung von Gewalt durchbrechen wolle, müsse sich mit den Schlägern beschäftigen.
Projekt „Stop it“ kostet 6000 Euro
Er begleite gern Männer, die aus der Gewaltspirale aussteigen wollten. „Einer, der sich schlecht benimmt, muss kein schlechter Mensch sein.“ Im Projekt „Stop it“ lernen die Männer, Konflikte gewaltfrei zu lösen. 6000 Euro im Jahr kostet das Angebot, das es ohne Spenden nicht gäbe.
Gefahr der Wiederholung ist groß
Ein Mann, der mehr als einmal zugeschlagen habe, sei in Gefahr, dies immer wieder tun, so die Erfahrung von Leo Lensing. Denn der Täter habe ein Problem mit dem Kontrolle der Impulse. Doch diese lasse sich lernen. Lensing vermittle ihnen, dass es in ihrer Hand liege, ob sie gewaltfrei leben. Zu Pro Familia kommen beispielsweise Männer, denen die Polizei einen Platzverweis erteilt hat, die also wegen einer Gewalttat die Wohnung verlassen mussten.
Wenn man sich der Wut hilflos ausgeliefert fühlt
Viele Täter sagten, sie seien der Wut hilflos ausgeliefert, berichtet der Psychologe. Nach dem Erleben der Gewalttäter habe die Hand wie ferngesteuert dem Gegenüber Schläge versetzt. Lensing arbeitet daran, dass Männer frühzeitig erkennen, wann sich in ihnen Emotionen aufbauen, die zu einem Gewaltausbruch führen können.
Körpersignale sind Warnzeichen
Er trainiert mit ihnen, auf Körperzeichen zu achten. Ein Kloß im Hals könnten Warnzeichen sein, oder ein Druck im Magen oder bestimmte Gefühle. „Wir klären das Szenario im Detail: Wann hättest Du erkennen können, dass Du gleich zuschlägst?“ Lensing setzt auf das Mittel der Atmung, um einem Gewaltausbruch vorzubeugen. Er bringe den Klienten die tiefe Zwerchfellatmung bei. Wer diese bewusst praktiziere, unterbinde den unkontrollierten Durchbruch der Wut.
Die Verantwortung bleibt beim einzelnen
Gleichzeitig mache er den Männern klar, dass sie für ihr Handeln voll verantwortlich seien. Oft griffen Männer aus einem Gefühl der Unterlegenheit in der Beziehung zur Gewalt, und hätten das Gefühl, dass die Schuld daran beim Partner liege. Auch mit diesen Gedankenmustern beschäftige sich das Programm. Es ist aus der Projektgruppe häusliche Gewalt in Konstanz entstanden.
Männer aus allen Schichten
Zu Gewalttätern gehörten nach Angaben Lensings Menschen aus allen sozialen Schichten mit völlig unterschiedlichen Lebensläufen. Innere Überzeugungen spielten neben der mangelnden Impulskontrolle oft eine Rolle. Manche seien in Elternhäusern geprägt worden, in denen Gewalt als Mittel der Konfliktlösung vorgelebt wurde. „Das prägt“, erläutert Lensing. Andere hätten ein so ein starkes Bild von einer idealen Familie im Kopf, dass sie es nicht ertragen könnten, wenn der Partner plötzlich Probleme anspreche.
In der Regel umfasse „Stop it“ zehn Sitzungen. Wenn die Männer ein halbes Jahr gewaltfrei leben, könnten vertiefende Auseinandersetzungen mit der besonderen Dynamik im Leben eines Paars folgen. Dann gebe es Hilfen für beide Beteiligte, einen Alltag zu schaffen, in dem sich beide sicher fühlen können. Bei dieser Arbeit seien Mann und Frau angesprochen und würden jeweils von unterschiedlichen Vertrauenspersonen fachlich begleitet.
Projekt hängt von Spenden ab
Leo Lensing sagt, er arbeite gern mit Männern, die sich entwickeln wollen. Der Rahmen allerdings sei unbefriedigend. Die Abklärungen, bis ein Mann zur ersten Sitzung erscheint, bleibe am Therapeuten hängen, hinzu komme die finanzielle Unsicherheit. Das Projekt hänge zum großen Teil von Spenden ab. Lensing wünscht sich eine Fachstelle, die sich ausschließlich um das Thema häusliche Gewalt kümmert.
Im schlimmsten Falle begebe sich ein Mann, der seine Gewaltausbrüche nicht unter Kontrolle hat, nach dem Scheitern einer Beziehung in eine neue, in der sich die Dramen wiederholten.