Es gibt Menschen, denen man bei der Ausübung ihres Dienstes niemals begegnen möchte. Menschen, deren Tätigkeit mit Unfall, Verletzungen und im schlimmsten Fall dem Tod zu tun haben. Notfallsanitäter, Autobahnpolizist, Notfallseelsorger und Chefarzt der Notaufnahme. Wir haben uns mit Personen getroffen, die dann im Einsatz sind, wenn wir einen Unfall hatten und auf ihre Hilfe angewiesen sind.

Der Notfallsanitäter: Normen Küttner

Normen Küttner
Normen Küttner | Bild: Oliver Hanser

Normen Küttner hat seinen Beruf über den Zivildienst kennen und lieben gelernt, wie er es ausdrückt. „Ich hatte damals zunächst ein Jahr verlängert und bin dann kleben geblieben“, sagt er. „Die Arbeit mit dem Team zusammen ist toll. Als Teil der Blaulichtarbeit ist meine Beschäftigung spannend und vielseitig. Menschen zu helfen fasziniert mich.“ Wenn er zu einer Unfallstelle kommt, funktioniert er als Notfallsanitäter. „Man gewöhnt sich an solche Situationen „, erzählt er. „Es gehört einfach zu meinem Job.“

„Psychischer Schmerz, der niemanden kalt lässt“

Besonders schlimme Unfälle mit Todesfolge machen ihm trotzdem zu schaffen. „Vor einigen Jahren sind innerhalb von wenigen Wochen zwei Kinder in Konstanz tödlich verunglückt und beide Mal war ich vor Ort“, erzählt er, „das hat mich sehr mitgenommen, das hat mir die Schuhe weggezogen.“

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Danach nahm er psychologische Hilfe in Anspruch. „Es ist etwas anderes, wenn ein Opfer ein gebrochenes Bein hat, das verheilt wieder. Aber wenn jemand stirbt und die Angehörigen stehen daneben – das ist ein psychischer Schmerz, der niemanden kalt lässt.“ Er ist glücklich, dass für ihn und seine Kollegen professionelle Hilfe zur Aufarbeitung angeboten wird. „Es gibt sie seit der Katastrophe von Ramstein und dem Busunglück von Bad Dürrheim„, weiß er.

Ramstein und Bad Dürrheim als Wendepunkte

Beim Inferno während einer Flugshow in Ramstein starben 1988 70 Menschen, in Bad Dürrheim starben 1992 20 Insassen jenes Busses – seither wurde die psychologische Betreuung von Opfern, Angehörigen und Rettungskräften grundlegend geändert. Bereut hat Normen Küttner seine Berufswahl niemals. „Ich mache das jetzt seit über 30 Jahren“, so der 55-Jährige. „Ich wollte niemals etwas anderes machen.“ 45 Stunden ist er pro Woche im Einsatz, unterteilt ist drei bis vier Zwölf-Stunden-Schichten. „Es wird angenommen, dass wir im Dienst nicht voll ausgelastet sind, da ja nicht pausenlos etwas passiert. So kommen die Wochenstunden zusammen.“ Die Freizeit ist klar definiert, dann hat er auch keinen Piepser dabei. „Das würde dich nur kaputt machen“, erklärt er.

Der Feuerwehrmann: Florian Bottlang

Florian Bottlang
Florian Bottlang | Bild: Oliver Hanser

Die Familie Bottlang ist eine Feuerwehr-Familie. Vater Florian ist Zugführer in Allensbach, Sohn Lukas absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Feuerwehr Konstanz und Tochter Lea ist bei der Jugendfeuerwehr Allensbach aktiv. „Meine Frau hält uns den Rücken frei“, sagt Florian Bottlang. „Ohne sie würde das nicht funktionieren.“ Seit 28 Jahren trägt er mit Stolz und Freude die Uniform. „Die Kameradschaft und der Zusammenhalt sind faszinierend“, erklärt er. „Wir helfen gerne Menschen und müssen natürlich ein wenig verrückt sein.“

Der schlimmste Einsatz: Ein Unfall mit Todesfolge 2018

In den Zuständigkeitsbereich seiner Wehr gehört die B33 zwischen der Ampel bei der Waldsiedlung bis kurz vor Markelfingen. „Ein paar Mal im Jahr knallt es auf dieser Strecke richtig“, sagt er. Im Sommer 2018 hatte er seinen persönlich schlimmsten Einsatz, wie Florian Bottlang erzählt: „Damals ist ein Lastkraftwagen auf ein Handwerkerfahrzeug gekippt. Der Fahrer des kleineren Wagen hatte keine Chance und starb.“ Solche Momente gehören leider dazu. „Danach sammeln wir uns im Gerätehaus und sprechen den Einsatz noch einmal komplett durch“, berichtet er. „Das hilft bei der Verarbeitung.“

Feuerwehr, Sanitäter, Notärzte und Polizei arbeiten Hand in Hand. Notfallseelsorger helfen Hinterbliebenen und Helfern gleichermaßen. Im ...
Feuerwehr, Sanitäter, Notärzte und Polizei arbeiten Hand in Hand. Notfallseelsorger helfen Hinterbliebenen und Helfern gleichermaßen. Im Krankenhaus wird die Ankunft der Verletzten erwartet. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Die Frau als Ruhepol nach dem Einsatz

Später, wenn er nach Hause kommt, ist seine Frau geduldiger Kummerkasten. „Ich fange dann sehr schnell an zu reden und sie hört mir geduldig zu“, sagt er. „Wir erleben Bilder, die wir so schnell nicht vergessen.“ Als Zugführer geht er auch durch die Reihen seiner Mitarbeiter und schaut jedem einzelnen in die Augen. „Wir haben die Möglichkeit, uns professionelle Hilfe zu holen. Das wird zwar nicht oft in Anspruch genommen, aber das Wissen hilft schon.“

Der Piepser beeinflusst auch das Privatleben

Den Piepser hat Florian Bottlang wie seine Kollegen immer am Mann – auch an Tagen, wenn er eigentlich von seinem Beruf als Koch abschalten sollte. „Man trinkt schon mal ein oder zwei Bier“, sagt er. „Aber dann denkt man sich: So, jetzt solltest du gescheit sein und nicht mehr trinken.“ Wenn es piept, ist etwas passiert – dann kommen die ehrenamtlichen und freiwilligen Helfer aus allen Himmelsrichtungen in die Zentrale, machen sich einsatzbereit und düsen zum Unfallort.

Der Autobahnpolizist: Dirk Vairo

Dirk Vairo
Dirk Vairo | Bild: Oliver Hanser

Wenn es auf der Autobahn kracht, wird Dirk Vairo über die Leitstelle informiert. „Wenn ich an der Unfallstelle ankomme, herrscht hier in der Regel Chaos“, berichtet der 45-Jährige. „Meistens sind erste Hilfskräfte bereits vor Ort. Doch wir sind mitten in der chaotischen Phase.“ Die Autobahnpolizisten müssen sich einen ersten Überblick verschaffen: über die Anzahl der Verletzten, den Grad der Verletzungen, die Anzahl beteiligten Kraftwagen. „Wir verständigen sofort weitere Kräfte, leisten erste Hilfe oder lassen die Kollegen der Notfallversorgung oder der Feuerwehr arbeiten.“

Wenn Dirk Vairo gerufen wird, ist etwas Schreckliches passiert

Der Unfallort muss abgesperrt, die zuständigen Stellen über den Verkehrsfluss informiert und neu ankommende Helfer instruiert werden. Dirk Vairo und seine Teams sind immer nur dann im Einsatz, wenn der Unfall schwer war. Das heißt: Wenn Personen schwer oder tödlich verletzt wurden. Laut Definition ist ein Mensch schwer verletzt, wenn er voraussichtlich mindestens 24 Stunden im Krankenhaus wird bleiben müssen.

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Der ermittlerische Blick der Polizei ist nun gefragt, die Unfallstelle muss vermessen, Zeugen vernommen werden. „Ebenso kümmern wir uns um Angehörige, bis die Seelsorger erscheinen“, sagt Dirk Vairo.

Schwerer Unfall auf der B33 im Jahr 2018. Die Einsatzkräfte besprechen die Lage, auch Bürgermeister Friedrich ist vor Ort.
Schwerer Unfall auf der B33 im Jahr 2018. Die Einsatzkräfte besprechen die Lage, auch Bürgermeister Friedrich ist vor Ort. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Zeitnahe Vernehmungen als Erfolgsfaktor

Später im Revier müssen die Beamten den Sachverhalt aufschreiben und erste Nachvernehmungen durchführen – je weniger Zeit seit dem Unfall vergeht, desto höher die Chancen, dass sich die Beteiligten auch an kleinste Details erinnern. Wenn die Schreib- und Vernehmungsarbeit erledigt ist, werden die Akten an die Staatsanwaltschaft geschickt; gegebenenfalls muss der Beamte später vor Gericht aussagen.

Wenn die Eltern fragen, ob das verunglückte Kind leiden musste

Die schlimmsten Momente erlebt der Familienvater Dirk Vairo, wenn Eltern zum Unfallort kommen und nach dem Sohn oder der Tochter fragen. „Das ist sehr, sehr schwer für uns“, gewährt er einen Einblick in sein Innenleben. „Wenn Eltern fragen: „Warum? Hat mein Sohn leiden müssen?“, dann geht das an die Substanz. Dann denken wir uns schon mal: Wieso kann man die Zeit nicht zurückdrehen?“ An solche Situation wird er sich niemals gewöhnen können.

Der Notfallseelsorger: Fritz Möhrle

Fritz Möhrle
Fritz Möhrle | Bild: Oliver Hanser

„Menschen auffangen.“ Die Antwort von Fritz Möhrle auf die Frage, er möge seine Aufgabe doch bitte in wenigen Worten umschreiben. „Menschen auffangen.“ In Situationen, in denen Angehörigen durch das Überbringen einer Todesnachricht der Boden unter den Füßen weggezogen wird, breitet Fritz Möhrle seine Arme auf und fängt den Menschen auf. „Besonders schlimm ist es, wenn Eltern erfahren, dass ihre Kinder nicht mehr sind“, sagt er mit ruhiger Stimme.

Die Ehefrau sorgt sich während der Einsätze des Mannes

„Die Schöpfung hat es einfach nicht vorgesehen, dass Kinder vor ihren Eltern gehen.“ Fritz Möhrle hat eine beruhigende Stimme. Wenn er redet, fühlt sich der Zuhörer geborgen und ernst genommen. Er verbreitet ein wohliges Gefühl und menschliche Wärme. „Vielleicht habe ich mir das über die Jahre angeeignet“, sagt er. „Das ist sicher gut, wenn man der Seele der Menschen Hilfe und Trost spenden möchte.“

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Wenn der seit Sommer pensionierte Lehrer im Einsatz ist, was meistens nachts der Fall ist, kann seine Frau daheim im Ehebett nicht schlafen. „Sie sorgt sich um mich“, berichtet der Seelsorger. „Bei bestimmten Einsätzen geht es mir hinterher auch nicht gut.“

Auch Täter können Opfer sein

Beispielsweise, wenn er mit Beamten Todesnachrichten an der Haustür überbringt, wie im Fall eines jungen Mannes, der von einem angetrunkenen Autofahrer tödlich verletzt wurde. „Da habe ich eine große Wut auf den Fahrer bekommen“, erinnert er sich. „Und dann wurde ich beauftragt, mich seelsorgerisch um den Fahrer zu kümmern. Da wurde mir deutlich, dass der Täter auch Opfer war, denn er hat alles zerstört: Das Leben des Opfers und sein eigenes Leben.“

Greift das soziale Netz, geht Fritz Möhrle

Im Durchschnitt bleiben Fritz Möhrle und seine Kollegen vier Stunden bei den Angehörigen und helfen über den ersten Schock hinweg. „Wenn das soziale Netz greift, gehen wir meistens“, berichtet er. Es gab aber auch schon Einsätze über 14 Stunden, „so etwas machen wir immer von der Situation abhängig“. Wenn das Schicksal anderer Menschen ihn selbst sehr beschäftigt, hilft das Briefing der Seelsorger im Anschluss an einen Einsatz.

Chefarzt der Notaufnahme: Ivo Quack

Ivo Quack
Ivo Quack | Bild: Oliver Hanser

Ivo Quack hat so gut wie alles schon erlebt. Ob als Chefarzt der neuen Notaufnahme im Konstanzer Klinikum oder bei seinen vorherigen Stationen in Herne, Bochum und Düsseldorf – der 47-jährige Professor ist es gewohnt, Menschen nach schweren Unfällen zu versorgen, ihnen das Leben zu retten. „Natürlich stumpft man im Laufe der Jahre ein wenig ab“, erzählt er. „Aber jeder einzelne Fall ist anders wie auch jeder Mensch anders ist.“

Das Glück, Menschen helfen zu können

Er ist glücklich, wenn er durch seine tägliche Arbeit Mitmenschen helfen kann – ein Grund, warum Ivo Quack sich diesen Beruf ausgesucht hat. Wenn schwer verletzte Menschen in die Konstanzer Notfallaufnahme kommen, kommen sie in aller Regel zunächst in den Schockraum, einem wichtigen, vielleicht dem wichtigsten Bestandteil der Notaufnahme eines Krankenhauses.

Schockraum als Ort der ersten Diagnose

Der Schockraum dient der Erstversorgung schwerverletzter und polytraumatisierter Patienten. Das Ziel ist die schnellstmögliche Diagnostik und Therapie der lebensbedrohlichsten Verletzungen oder Erkrankungen. „Da geht es oft um Kreislaufversagen oder Organversagen“, sagt Ivo Quack. Zusammen mit seinem Team geht er einen strengen Fragenkatalog durch: Hat der Patient innere Blutungen? Hat der Patient Hirnverletzungen?

„Viele Unfälle wären zu verhindern gewesen“

Bei seiner Arbeit lernt der Chefarzt stets von Neuem, wie schnell Unfälle mit verheerenden Folgen passieren. „Wenn man aufs Handy schaut, ist man schnell ein paar hundert Meter im Blindflug unterwegs“, erklärt er. „Wie schnell kommt es da zu schweren Unfällen?“

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Neulich kam ein junger Patient mit lebensbedrohlichen Verletzungen in die Notaufnahme. „Er ist bekifft ohne Helm mit dem Rad gefahren und dabei über den Randstein gekippt“, erzählt Ivo Quack. „Dabei zog er sich schwere Hirnblutungen zu. Von einem Moment auf den anderen hat er seine ganze Familie in Mitleidenschaft gezogen.“ Neulich berichtete er Jugendlichen von seiner täglichen Arbeit mit schwer verletzten Patienten. Die Zuhörer klebten an seinen Lippen. „Viele Unfälle wären mit vernünftigem Verhalten zu verhindern gewesen“, sagte der Fachmann.

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