Wer in der Nähe eines pilzartigen Gebildes steht, das von einem Dach herunterheult wie ein Wolf mit Bauchschmerzen, der merkt recht schnell: Hier stimmt etwas nicht, ich sollte mich über die Einzelheiten informieren und bei Bedarf in Sicherheit bringen.
Dieser Lerneffekt soll bei den Bürgerinnen und Bürgern in Fleisch und Blut übergehen. Deshalb werden die Alarmsysteme auf den Dächern von Kommunen – wo sie noch vorhanden sind – jedes Jahr bei einem bundesweiten Warntag auf ihre Funktionstüchtigkeit getestet.
Aber nicht nur die: Auch alle anderen Möglichkeiten, die Bevölkerung vor extremen Wetterereignissen, Stromausfällen oder sonstigen Katastrophen zu warnen, werden jedes Jahr am zweiten Donnerstag im September einem Stresstest unterzogen. Neben den klassischen Mitteln wie Radio, Fernseher oder der Nina-Warnapp wird zum Warntag erneut eine Meldung per „Cell Broadcast“ ausgelöst.

Allensbach testet alle sechs Sirenen
Der nächste bundesweite Warntag findet am Donnerstag, 11. September 2025, statt. Besonders gut gewarnt werden an diesem jährlichen Tag die Allensbacher: Während viele andere Kommunen ihre Sirenen nach dem Kalten Krieg abgebaut haben, weil sie darin keine Notwendigkeit mehr sahen, hat Allensbach weiterhin sechs heulende Pilze.
Zwei davon befinden sich im Kernort (eine auf dem Dach der Grundschule, eine auf dem Bauhof). Darüber hinaus haben auch die Ortsteile Hegne (auf der Schule), Kaltbrunn (auf dem Kindergarten), Freudental (auf dem „Milchhäusle“) und Langenrain (Dorfplatz) eigene Sirenen. „Wir gehen davon aus, dass alle funktionieren, werden das aber am 11. September überprüfen“, sagt der Allensbacher Hauptamtsleiter Stefan Weiss.
Zweimal wird es eine Minute lang laut
Ausgelöst werden die Sirenen nicht vor Ort, sondern digital von der Integrierten Leitstelle in Radolfzell. „Von der Gemeinde wird vor Ort die Funktionsfähigkeit überprüft“, so Weiss. Um 11 Uhr werden die sechs Sirenen eine Minute lang mit an- und absteigendem Heulton zu hören sein. Um 11.45 Uhr erfolgt, ebenfalls eine Minute lang, die Entwarnung mit einem durchgehenden Ton. Zusätzlich werden die Allensbacher am 11. September über ein Pop-up-Fenster auf der Website der Gemeinde gewarnt.
Der jährliche Warntag habe für die Gemeinde große Bedeutung, erläutert Stefan Weiss: „Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ist eine Kernaufgabe der Kommunen und hat hohe Priorität für die Gemeinde. Ein zentraler Baustein für den Bevölkerungsschutz ist die frühzeitige und wirksame Warnung im Falle von Gefahrenlagen.“

Am Warntag würden nicht nur alle Systeme auf ihre Funktionsfähigkeit hin überprüft. Auch Behörden und Einsatzkräfte trainierten den Ernstfall. „Das Zusammenspiel zwischen Leitstellen, Katastrophenschutz und Bevölkerungsschutzorganisationen wird erprobt und verbessert“, so der Hauptamtsleiter. „Wiederholte Tests zeigen, dass die Gemeinde und die zuständigen Stellen Vorsorge treffen und im Notfall vorbereitet sind. Das schafft Vertrauen und vermittelt Sicherheit.“
Auf der Insel bleibt es still
Auf der Insel Reichenau bleibt es am Warntag dagegen auf den Straßen ruhig. Die drei Sirenen, die einst auf der Insel standen, wurden vor wenigen Jahren abgebaut oder stillgelegt. „Eine befand sich auf dem ehemaligen Maurergebäude in Oberzell, eine auf der alten Post in Mittelzell und eine auf einem Privathaus in Niederzell“, erinnert sich Thomas Baumgartner, Pressesprecher der Reichenauer Feuerwehr.
Eine Anlage sei schon sehr lange abgebaut, die beiden anderen nacheinander stillgelegt worden. „Eine Sirene hat immer gesponnen, sie löste Fehlalarme aus und konnte auch nicht zurückgesetzt werden, also wurde sie auch außer Betrieb genommen“, so der Pressesprecher. Er erinnert sich aber auch noch an andere Alarmierungssysteme.

„Mein Opa war in der Konstanzer Feuerwehr“, erzählt Thomas Baumgartner. „Damals erfolgte die Alarmierung über eine Glocke, die Feuerwehrleute in ihren Wohnungen hatten. Mein Opa hatte eine solche Glocke bei sich in Allmannsdorf. Wenn man bei einem Probealarm neben ihr stand, hat man danach eine Weile lang nichts mehr gehört“, erzählt er und lacht.
Aber sind Sirenen in der heutigen Zeit überhaupt noch sinnvoll? Wenn Bund, Länder, Landkreise und Kommunen im Ernstfall auch über Rundfunk, Websites, Social Media, Warn-Apps und Handy-Nachrichten informieren? „Aus meiner Sicht bräuchte man sie schon, sie schaffen nochmal eine andere Aufmerksamkeit“, sagt Baumgartner.

„Ich spickele immer wieder in Richtung Schweiz, wo es überall Sirenen gibt. Die machen es aus meiner Sicht richtig“, sagt der Feuerwehrsprecher. Auch in Deutschland läuft der Wiederaufbau eines Sirenennetzes.
Sieben Bundesländer unterzeichneten eine Vereinbarung mit dem Bund und erhalten Fördermittel vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, um neue Sirenen zu errichten und alte Modelle zu modernisieren. Baden-Württemberg stellt den Städten und Gemeinden im Land nach eigenen Angaben 1,5 Millionen Euro für Investitionen in die Sireneninfrastruktur bereit. Die Stadt Singen installierte zuletzt 21 neue Anlagen.
Ein Gutes habe das derzeitige Fehlen der lauten Heuler auf der Reichenau aber doch: „Als wir noch viele Gärtner bei der Feuerwehr hatten, die auf dem Feld waren und ihren Meldeempfänger nicht immer dabeihatten, waren die Sirenen sehr hilfreich. Der Abbau der Sirenen führt nun dazu, dass alle ihre Meldeempfänger noch zuverlässiger am Körper tragen“, sagt Baumgartner schmunzelnd.