Dass der Schwenninger Muslenplatz als freie Fläche der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, war nicht immer so. Anstelle des Straßenpflasters standen Bauernhöfe, Wirtschaften und eine Schule auf dem Areal. Es bildete das Zentrum des Ortes. Nur zu sehen ist davon wenig.

Das heutige Erscheinungsbild verhüllt den historischen Kern Schwenningens. Doch wo Spuren erhalten blieben, erzählen sie von einer ereignisreichen Geschichte: Krieg, Diebstahl, Brände – Geschichte begraben unter Pflastersteinen.
Die städtische Kultur verdrängt die bäuerliche
Demnächst soll der Platz gar um einen Strand ergänzt werden. Gestärkt von Subventionen aus einem Topf des Bundes für die Zukunftssicherheit der Innenstädte, soll die Attraktivität urbaner Zentren gestärkt werden. Auf zwölf mal zwölf Metern will das Stadtmarketing Sonnenschirme und ein Beduinenzelt errichten lassen. Zumindest zeitweise können dann sogar im Schwarzwald in südländischem Flair Getränke geschlürft werden.

Wo früher Vieh aus der namensgebenden Muslen trank, nippt heute der kulturverwöhnte Schwenninger an seinem Drink. Und wo Zukunft ist, ist auch Vergangenheit: Das Pfarrhaus ist geblieben. Als Bote einer alten, vergangenen Zeit steht es seit 1747 an Ort und Stelle. Daneben wichen die Bauern- und Gasthäuser Ämtern und Eisdielen. Die städtische Kultur verdrängte die bäuerliche.

Kleine Hinweise in eine lange Vergangenheit
Meist sind es nur kleine Hinweise, die wie Schlüssellöcher den Blick auf die Geschichte des Platzes freilegen wie das Straßenschild der Kronenstraße. Benannt wurde sie nach einer alten Wirtschaft, referiert Stadtführer Hans Martin Weber jüngst im Rahmen der Schwenninger Geschichtswoche. Für ihn ist das Muslenareal das alte Herz Schwenningens. Denn um den Muslenplatz zu ermöglichen, musste man buchstäblich Platz schaffen.

So besteht etwa das Gasthaus Krone heute nicht mehr. Dasselbe Schicksal ereilte den Storchen. Die Wirtschaft stand dort ihren Gästen offen, wo heute das Modehaus Zinser seine Kunden empfängt. Auch das Gasthaus Zum Schwanen in der Muslen existiert nicht mehr.
Lediglich der Geist dieser Wirtschaften wird, wenn man so will, im Irish Pub weitgetragen, das sich in besagter Kronenstraße befindet. Auch dieses Gebäude erzählt eine lange Geschichte: 1791 zog dort der Vogt Christian Schuler, ein herrschaftlicher Verwaltungsbeamter vergleichbar mit einem Bürgermeister, ein.
Schulpflicht, um die Bibel zu lesen
Wo das Heimatmuseum seit 1931 Artefakte des alten Schwenningen ausstellt, war noch vor vielen hundert Jahren das Lehrerhaus, erzählt Stadtführer Weber. Trotz katholischen Umfelds sei Schwenningen bereits 1536 überwiegend evangelisch gewesen.
23 Jahre später wurde über die evangelische Kirchenordnung eine Schulpflicht in Württemberg eingeführt. Damit die Bibelübersetzung Luthers auch gelesen werden konnte, sagt Weber. Schließlich zähle nach Ansicht der Protestanten das Wort Gottes, nicht die Bilder.
Stadtkirche wurde 890 erstmals erwähnt
In direkter Verbindung dazu steht die Stadtkirche. Unter dem dichten Grün der Kastanienbäume liegt der Kirchhof des ältesten urkundlich erwähnten Gebäude der Stadt. Der Eintrag datiere auf das Jahr 890, so der Stadtführer. „Der evangelische Glaube prägte die Mentalität“, sagt Hans Martin Weber. Wer arbeitete, sei im Himmel angesehen.

Bauernhöfe statt Bibliothek
Über Jahrzehnte war das so genannteVogtsleiesen-Haus der größte Hof im Ort und prägte das Erscheinungsbild des alten Zentrums. Das Haus wurde 1957 abgebrochen. Heute steht an seiner statt die Stadtbibliothek.

Laut Unterlagen des Stadtarchivs war das Haus in Besitz des Uhrenindustriellen Johannes Bürk.
Wirtschaften und Vogte
Die Mauern des heutigen Heimatmuseum beherbergten lange den Dorfschullehrer. 1697 wurde es errichtet, weiß Weber. Daneben stand die Schule. Das Gebäude reichten von den Grenzen des heutigen Heimatmuseums bis zur Kronenstraße, sagt Stadtführer Weber. In den 1930ern wurde es dann abgerissen.
Modernisierung des Muslenareals
In der neueren Geschichte steht die Sanierung des Muslenareals zu Buche. „Ein Stück Alt-Schwenningen mit Großstadt-Make-Up“ titelte der SÜDKURIER im Sommer 1974. „Kontinuierlich hat man alles platt gemacht“, beschreibt der Hans Martin Weber die Konsequenzen. Das Ziel war es, die „verstreut gelegenen Geschäftsgebiete zu verbinden“.

Zwischen 1970 und 1990 wird der Platz so umfassend verändert, dass Weber sein Erscheinen in drei Perioden einteilt:
1. Die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg
2. die Nachkriegszeit bis Ende der 1970er-Jahre
3. Der Muslenplatz ab den 80er-Jahren.
Schwenningen lag nicht am Necker
Nun beginnt vielleicht eine neue Episode für den Muslenplatz. Zugleich weckt der geplante Strand Assoziationen mit Wasser und damit mit der namensgebenden Musel. Die Straße Ob dem Brückle enthält noch den Verweis auf den Weg über das Bächlein, das in den Neckar floss.
Denn das früher dörfliche Schwenningen lag lange nicht am Neckar, sagt Weber, weil es zu klein war. Die Verbindung zum prominenten Fluss war eben jene Musel, die dem Muslenplatz ihren Namen leiht und heute nicht mehr sichtbar ist. Unsichtbar wie so viel Geschichte der Stadt.