Auch in der direkten Vorweihnachtszeit ruhen sie nicht, die Mahnwachen des Vereins Pro Stolpersteine Villingen-Schwenningen zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Während sich so mancher dem Kaufrausch hingibt, nutzen die Teilnehmer einige Stunden zur besinnlichen Einkehr und Gedenken an die vergangenen Leiden anderer. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl könnte man die Frage aufwerfen, wo bleibt das Bildungsbürgertum und wo die Erinnerungskultur?
Es waren nicht einmal 20 Teilnehmer, die an der siebten Mahnwache in der evangelischen Stadtkirche in Schwenningen teilnahmen. Dabei haben die Organisatoren durchaus packende Geschichten zu erzählen. Im Blickpunkt stand die Leidensodyssee des Schwenningers Jakob Sulan, eines zentralen Protagonisten des Widerstands der Arbeiterbewegung in der Neckarstadt. Sieben von zwölf Jahren ist Sulan während der Zeit des Nationalsozialismus als Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands auf der Flucht oder im Gefängnis. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz versteckt sich der ehemalige Schwenninger Stadtrat nach der Machtübernahme durch die Nazis in seiner Heimatstadt vor der Gestapo, darunter in einer Räucherkammer während einer Hausdurchsuchung.
Morgens beim Rasieren wird er überrascht und festgenommen. Es folgt die Überführung in das sogenannte "Hotel Silber", einem Gestapogefängnis in Stuttgart. Von dort geht es 1935 ins Konzentrationslager Dachau. Ganze vier Jahre muss Sulan hier unter widrigen Umständen zubringen, bis er, unverhofft Gnade erfahrend, fünf Jahre unter strenger Polizeiaufsicht ein Mindestmaß an würdevollem Leben wieder in Schwenningen führen darf. Die Gefahr und der Schwebezustand seiner Freiheit sind dem Feinmechaniker und Teilnehmer am Ersten Weltkrieg voll bewusst. Er meldet sich zum Wehrdienst, in der Hoffnung, das verstockte Herz der Staatsorgane zu besänftigen. Im November 1944 wird Sulan jedoch wegen des Vorwurfs der Wehrkraftzersetzung denunziert. Er soll gesagt haben, dass "die Russen bald am Rhein stehen würden".
Es ist wohl die Ironie der Geschichte, dass eben jene Russen ihn vor dem Volksgerichtshof retten. Nach Gefängnisaufenthalten in Rottweil, Stuttgart und Berlin wartet er nämlich kurz vor Kriegsende in der Festung Torgau an der Elbe auf seinen Prozess. Hier marschieren noch rechtzeitig die Sowjets und Amerikaner ein. Jakob Sulan stirbt, sein Leben lang politisch aktiv, im Jahre 1971 mit 81 Jahren.
Nächste Mahnwache
Die 55. Mahnwache steht an. Referiert wird über ein Todesurteil eines nationalsozialistischen Sondergerichts im Jahre 1943. Die Mahnwache findet am Sonntag, 7. Januar, ab 19 Uhr auf dem Villinger Münsterplatz statt.