Unterkirnach – Unterkirnach kämpft gegen einen Trend, den viele Gemeinden im ländlichen Raum kennen. Es ist der Trend der Zentralisierung, der viele Bereiche des täglichen Lebens in größere Städte auslagert. Einkaufen, Arztbesuch, Frisör – all das macht aber die Attraktivität kleiner Ortschaften aus. Viele Bürgermeister und Ortsverwaltungen treibt das um – dahinter steckt der Wille, die Infrastruktur der Heimatgemeinde auch in Zukunft zu erhalten.

So läuft das auch in Unterkirnach, der kleinen 2500-Seelen-Gemeinde, für die der Tourismus besonders wichtig ist. Doch mit dieser ländlichen Romantik drohte es zuletzt bergab zu gehen. Der einzige Supermarkt im Ort, der Unterkirnacher Landmarkt, verlor seinen Betreiber und stand zwei Monate leer. Eine lange Suche nach einem Nachfolger half nichts. Die Lösung: Die Gemeinde betreibt den Markt selbst, Bürgermeister Andreas Braun wird zum Einzelhändler. Und er sagt: „Wir haben insgesamt zwei Jahre nach einem Nachfolger gesucht, deshalb hätten wir jetzt nicht innerhalb von zwei bis drei Monaten jemanden gefunden.“ Es sei deshalb aus infrastrukturellen Gründen, aber auch aus touristischer Sicht, wichtig gewesen, dass es eine Lösung gibt. Man fürchtete eine Kettenreaktion. Kein Supermarkt, weniger Touristen, ein ausgestorbenes Dorf. Für das Leben auf dem Land keine erfreuliche Vision.

In all den Überlegungen schwingt stets auch ein Aufruf mit. Es geht darum, die Leute wieder zum Einkauf im Dorf zu motivieren. Ist das ein Modell für die Zukunft oder lässt sich der Trend zum Einkauf in der nächstgrößeren Stadt nicht aufhalten? „Ich glaube, es ist wichtig zu sagen, dass es gut ist, dass man auch bei uns einkauft und die Einkäufe im Dorf tätigt“, sagt Bürgermeister Andreas Braun. Dass der Landmarkt eine Art Magnet-Funktion hat, bestätigen auch die anderen Händler in Unterkirnach. Andernfalls könnten Leute, die zum Einkaufen ohnehin in die nächste Stadt fahren, auch ihre kompletten Erledigungen dort machen.

Gerda Jäckle betreibt in Unterkirnach den Bäuerinnenladen und bietet damit eine Ergänzung zum Landmarkt. Brot, Wurstwaren und Milchprodukte aus regionaler Herstellung sind in ihrem Sortiment zu finden. Dass die Gemeinde nun selbst den Landmarkt führt, sei sehr wichtig. „Der Markt ist einfach der Mittelpunkt im Ort“, sagt Gerda Jäckle. Sie habe viel Unzufriedenheit bei den Kunden gespürt, als der Landmarkt geschlossen war. „Die Leute haben bei uns dann viele Sachen verlangt, die wir nicht anbieten können“, so die Händlerin weiter. Dinge wie Drogerie-Artikel oder Getränke. Der Druck auf den kleinen Bäuerinnenladen war groß. Besonders für Menschen, die nicht mobil sind, sei die Schließung ein Problem gewesen. „Zu mir haben aber auch viele Touristen gesagt, dass sie nicht mehr kommen, wenn der Markt geschlossen hat“, sagt Gerda Jäckle. Sie persönlich habe in den zwei Monaten, in denen der Landmarkt geschlossen hatte, zwar mehr Umsatz gemacht, trotzdem freue sie sich, dass er wieder auf ist – wegen der Unzufriedenheit der Leute.

Dem stimmt auch Susanne Wohl­farth zu. Sie betreibt die einzige Apotheke in Unterkirnach: „Ich bin äußerst froh, dass der Landmarkt wieder geöffnet hat.“ Auf ihren Umsatz habe die zeitweise Schließung zwar keine Auswirkungen gehabt, trotzdem waren auch bei ihr die Kunden unzufrieden. „Viele, vor allem ältere Leute, haben gefragt, was sie jetzt machen sollen“, sagt Susanne Wohlfarth. Durch so einen Einschnitt komme die gesamte Infrastruktur eines Dorfes ins Wanken. Sie zollt Respekt dafür, dass die Gemeinde die Geschicke selbst in die Hand genommen hat. „Auf so eine Idee wäre ich gar nicht gekommen“, sagt die Apothekerin. Nicht im Ort selbst einzukaufen sei einfach zu kurz gedacht. „Ich glaube aber, dass da ein Umdenken stattfindet“, so Susanne Wohlfarth. Sie selbst wird zum Jahresende ihre Apotheke in Unterkirnach aufgeben, aus privaten Gründen, nicht aus wirtschaftlichen. Die Suche nach einem Nachfolger läuft.

Angela Hauger betreibt ihren Friseursalon direkt gegenüber des Landmarktes und hat durchaus gespürt, dass dieser geschlossen hatte. „Es war wirklich total ruhig in der Straße, absolut tote Hose." Auf ihren Umsatz habe sich das jedoch nicht ausgewirkt. Die Kunden seien auch so gekommen, schließlich führe sie ihren Salon bereits über 30 Jahre lang – die Stammkunden sind treu. Trotzdem sind die meisten der Salonkunden froh darüber, dass der Markt wieder geöffnet ist. „99 Prozent der Kunden sind dafür, dass die Gemeinde den Markt jetzt selbst führt“, sagt sie.

Utz Geiselhardt vom Einzelhandelsverband Südbaden kennt die Probleme kleiner Kommunen: „Gemeinden in der Größenordnung von Unterkirnach stehen immer wieder vor diesem Problem.“ Dass die Gemeinde Unterkirnach nun eingesprungen ist und kommunal dort eingreift, wo es privatwirtschaftlich keine Lösung mehr zu geben scheint, ist für Geiselhardt eine Sondersituation. „Eine solche Lösung kann eine Option sein, der Regelfall sollte das aber sicher nicht sein“, so der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes. Eine weitere Option, die andernorts funktioniert, seien beispielsweise genossenschaftliche Modelle. Die Verstädterung, die sich durch das Internet noch beschleunigt habe, sei trotzdem nur schwer aufzuhalten. „Die Mobilität bei den Kunden ist da“, sagt Geiselhardt. Und wenn die Kunden schon in die Stadt fahren, lassen sich die Einkäufe dort aufgrund des Angebots natürlich leicht erledigen.

Mit dem Landmarkt beschäftigte sich auch die Industrie und Handelskammer Schwarzwald-Baar Heuberg. "Wir waren in das Genehmigungsverfahren mit einbezogen", sagt Justiziar Jan Unverhau. Bedenken habe man nicht gehabt. Das liege daran, dass die Gemeinde glaubhaft darstellen konnte, dass es um die Aufrechterhaltung der Versorgung gehe und man sich um die Fortführung des Marktes durch einen privaten Betreiber bemüht. Zudem gerate niemand in der Region durch den Markt in wirtschaftliche Not, weil es nur um den Weiterbestand eines Ladens gehe. Generell stellen sich die Handels-Statistiken im Schwarzwald-Baar-Kreis positiv dar. Einen Ausreißer, wenn man auf den Einzelhandelsumsatz pro Kopf schaut, stellt Bad Dürrheim dar, da die Einwohnerzahl relativ klein ist im Vergleich zum großem Gewerbegebiet.