Christina Boersch

„Da schleiche ich denn ziemlich langsam durch die Welt, mit einem Körper, der nirgend hin als ins Grab taugt“: Diese recht düsteren Gedanken schrieb Cornelia Schlosser in einem ihrer letzten erhaltenen Briefe, kurze Zeit später war sie tot. Gestorben am 9. Juni 1777 in Emmendingen im Schwarzwald, im Alter von gerade einmal 26 Jahren, einen Monat nach der Geburt ihrer zweiten Tochter. Wer war diese unglückliche Frau?

Geboren wurde Cornelia Friederica Christiane Goethe am 7. Dezember 1750 in Frankfurt am Main, ihr berühmter Bruder Johann Wolfgang Goethe wurde 15 Monate vor ihr geboren. Alle nachfolgenden Geschwister starben im Kindesalter, somit entstand zwischen Johann Wolfgang und ihr eine sehr innige und liebevolle Geschwisterverbindung.

Der Vater machte in Sachen Bildung bei seinen Kindern keinen Unterschied, Cornelia erhielt die gleiche Ausbildung wie ihr Bruder. Im Alter von drei Jahren musste sie Lesen und Schreiben lernen, später wurde sie von einem Hauslehrer in Griechisch, Latein, Französisch, Englisch, Italienisch, Mathematik, Jura, Geografie, Schönschreiben, Zeichnen, Musik, Fechten, Reiten, Anstandslehre und Tanz unterrichtet. Sie hatte dadurch eine sehr begrenzte Freizeit und litt sehr unter diesem Freiheitsentzug und dem Lernen.

Im Oktober 1765 ging ihr Bruder zum Studieren nach Leipzig. Frauen durften zu dieser Zeit noch nicht studieren. Cornelia Goethe blieb daher alleine in Frankfurt zurück und sollte sich darauf konzentrieren zu heiraten. Nach einer kurzen und für sie sehr schmerzhaft endenden Liaison mit einem Engländer, der sie über Nacht verließ, lernte sie 1772 den Juristen Johann Georg Schlosser kennen. Da Schlosser ein enger Freund ihres Bruders war, erhoffte sie sich zu ihm eine ähnlich intellektuelle und innige Beziehung wie zu ihrem Bruder. Sie heirateten am 1. November 1773 und zogen nach Karlsruhe, da Johann Georg Schlosser dort eine hohe Anstellung im Hof- und Regierungsrat bekam. Die Ehe begann verheißungsvoll, schrieb Cornelia Schlosser in einem Brief an ihre Freundin Caroline Herder: „Alle meine Hoffnungen, alle meine Wünsche sind nicht nur erfüllt – sondern weit – weit übertroffen. Wen Gott lieb hat, dem geb er so einen Mann.“

1774 folgte der Umzug nach Emmendingen. Ihr Mann wurde dort Oberamtsverweser und Oberamtmann in der badischen Markgrafschaft Hochberg. Zu dieser Zeit war Emmendingen eine 900-Seelen-Gemeinde in der Nähe von Freiburg im Breisgau am Rande des Schwarzwalds. Hier gab es nichts, das Cornelia reizen konnte oder sie intellektuell ansprach. Sie litt unter der Einsamkeit, und die große Entfernung zu ihrem Bruder, der sie während ihrer Jahre im Schwarzwald nur einmal im Jahre 1775 besuchte, empfand sie als sehr belastend. Außerdem wurde ihr das Führen des Haushalts zu einer unerträglichen Last. Auch in der Ehe kriselte es, ihr Mann schrieb ihrem Bruder: „Ihr ekelt vor meiner Liebe.“ Dazu kam, dass sie massiv zu kränkeln begann, was ihr Mann mit den Worten: „Jeder Wind, jeder Wassertropfen sperrt sie in die Stube und vor Keller und Küche fürchtet sie sich“ beschrieb.

Dann, am 28. Oktober 1774, brachte sie ihre erste Tochter Maria Anne Louisa zur Welt, doch Mutterglück war ihr nicht beschieden: Die Geburt kostete sie fast das Leben. Aufgrund der für sie sehr traumatischen Geburt verbrachte sie die nächsten zwei Jahre nur im Bett, nicht einmal in der Lage, sich selber einen Strumpf anzuziehen. Zwei Jahre nach der Geburt wurde sie erneut schwanger, kurz vor der Geburt verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand noch einmal dramatisch. Ihre zweite Tochter Catharina Elisabeth Julie erblickte am 10. Mai 1777 das Licht der Welt. Am 8. Juni 1777 starb Cornelia Schlosser im Alter von nur 26 Jahren. Zwei Jahre später besuchte ihr Bruder noch einmal ihr Grab in Emmendingen.

Cornelia war eine kluge, begabte, sensible und lebenshungrige Frau, die jedoch nie zu sich selbst fand: „Ein Wesen, das weder mit sich einig war noch werden konnte“, schrieb Johann Wolfgang Goethe in „Dichtung und Wahrheit“. Sie war im ständigen Zweifel mit sich selbst, hasste ihr Aussehen und war einsam. Einsam in der Kleinstadt, einsam in der Ehe, einsam ohne ihren Bruder.

„Ein dunkler zerrissener Tag“, schrieb ihr Bruder in sein Tagebuch, als er vom Tod seiner Schwester hörte. Dunkel und zerrissen war der Tag, als Cornelia Schlosser starb – dunkel und zerrissen wie das Leben und das Innere der Cornelia Schlosser, geborene Goethe.

Das Magazin

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