Die Seniorin: Vielleicht doch noch mit dem Auto zum Sohn. Doch sie erinnert sich auch an traurige Weihnachtsfeste
Die 83 Jahre alte Grete Herbert hat schon viele Weihnachten erlebt, dieses wird ein besonderes: „Ich feiere wie noch nie in meinem Leben“, sagt sie. Denn statt wie 2019 mit ihren beiden Söhnen oder früher allein mit ihrem erkrankten Mann, wird sie vermutlich alleine in der Seniorenwohnanlage des Pflegezentrums St. Verena in Worblingen bleiben. Die Seniorin zog vor 38 Jahren von Siebenbürgern nach Engen, seit drei Jahren wohnt sie in der Anlage. „Ich weiß noch nicht, ob ich zu meinem Sohn fahren werde. Denn was soll es dann, wenn ich ihn nicht einmal umarmen soll?“, sagt sie. Doch sie habe ja ihr Radio und ihr Tablet – und ein Auto, falls die Sehnsucht doch zu groß werde. Das Virus nimmt sie ernst, nachdem zwei Cousinen und vor zwei Wochen auch noch ein Cousin gestorben seien.
Bis zu seiner Rückkehr nach dem Krieg fehlte der Vater besonders an Weihnachten
Doch die 83-Jährige muss auch sofort an die eingeschränkten Weihnachtsfeste ihrer Kindheit denken: „Heiligabend war immer das schönste.“ Denn da wurde der Christbaum in der kleinen Wohnung aufgestellt, in der Kirche und anschließend auf dem Marktplatz gesungen. Noch heute bekomme sie beim Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ daher Gänsehaut. Der Papa fehlte aber viele Jahre, weil er in Russland beim Wiederaufbau helfen musste. Das schönste Fest sei dann gewesen, als er 1949 zurückgekehrt war. Viele Jahre später bleibt Grete Herbert optimistisch und lebenslustig: „Meine Kinder werde ich bestimmt wiedersehen. Ich wünsche allen nur, dass sie gesund bleiben.“ (isa)
Der Notarzt: „Ich arbeite gern an Weihnachten„
„An Weihnachten bin ich 24 Stunden als Notarzt im Einsatz“, berichtet Michael Bentele, der die operative Intensivmedizin am Hegau-Klinikum oberärztlich leitet und leitender Notarzt im Landkreis ist. Seit 15 Jahren arbeitet er mit einer Ausnahme, wenn andere unterm Christbaum feiern: „Ich arbeite gern an Weihnachten: Es ist eine besondere Stimmung und die Patienten, die wir behandeln, brauchen unsere Hilfe.“ Die Dienste seien so aufgeteilt, dass Eltern Weihnachten mit ihrer Familie verbringen dürfen und dafür an Silvester arbeiten. In den Jahren zuvor haben die Teams, die Dienst hatten, zusammen gekocht und es gab Plätzchen. Das müsse wegen Corona leider ausfallen.
„Wir arbeiten unter Volllast“
Für Bentele als leitenden Oberarzt ist die Corona-Pandemie eine menschliche und organisatorische Herausforderung: „Wir sehen viele Patienten mit Corona, auch mit schweren Verläufen und haben auch Krankheitsausfälle im Personal.“ Der Verbund halte für Corona-Patienten sechs Stationen vor, deshalb könnten insgesamt weniger Patienten versorgt werden. Gleichzeitig sei der Aufwand für die Versorgung aufgrund der Schutzmaßnahmen höher. „Ein Normalbetrieb findet nicht mehr statt, wir arbeiten unter Volllast“, berichtet er. Bentele setzt für die Zukunft auf die Vernunft der Bevölkerung: „Ich hoffe, dass viele im kleineren Familienkreis Weihnachten feiern und die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, hoch ist.“ (jac)
Die Studentin: Videoanrufe nach Italien statt gemeinsame Brettspiele
Vor sieben Jahren zog Martina Coluccia mit ihren Eltern von Süditalien nach Deutschland. Heute lebt die 21-Jährige in Stuttgart und studiert dort Journalismus. Auch wenn sie sich in ihrer neuen Heimat bestens eingelebt hat, fehlt ihr ihre italienische Großfamilie. „Für mich ist Weihnachten eine Chance, meine ganze Familie wiederzusehen“, sagt sie. Denn im Alltag finde man dafür kaum Zeit – vor allem, wenn die Entfernung so groß ist. Doch nun können Martina Coluccia und ihre Eltern nicht wie sonst über Weihnachten nach Italien fahren.
Sie hofft darauf, die Feier nachholen zu können
Normalerweise würde Martina Coluccia an Heiligabend mit ihrer Familie Brettspiele spielen. Sie würden bis Mitternacht wach bleiben, um dann die Geschenke zu öffnen. Und sie würden essen – viel essen. Doch auch Italien ist schwer von der Corona-Pandemie getroffen. Wie in Deutschland haben nur lebensnotwendige Geschäfte geöffnet, Kontakte sind beschränkt. Trotz Lockerungen während der Weihnachtszeit wird von Reisen strengstens abgeraten. „Es ist traurig, seine Familie nicht sehen zu können und nicht zu wissen, wann das wieder möglich sein wird“, sagt die Studentin. Doch sie halte die Maßnahmen für angemessen und hofft, die Feier nachholen zu können. Mit ihren Eltern plant sie einen Videoanruf mit der italienischen Verwandtschaft – so können sie vielleicht virtuell gemeinsam ein Brettspiel spielen. (kem)
Der Familienvater: Feiern nur im kleinen Kreis – und der traditionelle Hock im Bömmle muss ausfallen
Mirko Ilgenstein weiß seit Jahren, wo er am 23. Dezember zu finden ist: Einen Tag vor Weihnachten komme gefühlt ganz Ehingen beim Jugendtreff Bömmle zusammen. „Das war der Tag im Jahr, wo man Leute getroffen hat, die man sonst nicht sehen konnte“, sagt der 35-Jährige. Er habe als Mitgründer des Jugendtreffs den Hock einst mitbegründet und sich stets gefreut, dort auch diejenigen zu treffen, die längst aus Ehingen weggezogen sind.
Unklarheit macht die Weihnachtsplanung schwer
Doch das muss in diesem Corona-Jahr ebenso ausfallen wie das große Weihnachtsfest: Der Familienvater wird mit seiner Frau Jenny und Tochter Rieke sowie den Schwiegereltern feiern. „Letztes Jahr war die Kleine wenige Monate alt und hat nicht viel mitbekommen. Dieses Jahr ist sie ein kleiner Wirbelwind, der uns die Kugeln vom Weihnachtsbaum fegt“, erzählt Ilgenstein. Mit Kind erlebe man Weihnachten etwas intensiver, den Baum haben sie schon gemeinsam geschmückt – extra einige Tage früher, damit sie etwas davon haben. Die große Feier mit seiner Familie, Tanten und Onkeln sei in diesem Jahr leider nicht erlaubt, doch am ersten Weihnachtsfeiertag soll es mit dem Sohn Luca aus einer früheren Beziehung zu den Großeltern gehen. „Wir wussten nicht wirklich, was wir dürfen und was nicht“, schildert er seine Probleme beim Planen. Doch nun würden sie das Beste daraus machen. (isa)