Frau Patzke, Sie sind seit rund einem Jahr federführend für die Theaterarbeit der Gems verantwortlich. Was ist konkret Ihre Aufgabe?
Ich bin sozusagen Bindeglied zwischen Gems und den Theatergruppen und Akteurinnen und Akteuren, die bei uns auftreten. Hauptsächlich koordiniere ich die Termine und Projekte und bin für die gesamte Organisation der Theaterstücke verantwortlich. Nach meinem Studium ist es für mich spannend, das Zusammenspiel von Seminaren zu Kulturpolitik, das Kulturmanagement, die kulturelle Bildung und Theaterwissenschaft zu vereinen und das macht mir großen Spaß.
Was ist Ihnen am wichtigsten bei Ihrer Aufgabe, wo setzen Sie Schwerpunkte?
Einer der Schwerpunkte ist sicherlich die Pflege der bereits bestehenden Projekte und Gruppen, wie beispielsweise die Improsingers oder die Kooperation mit dem Friedrich-Wöhler-Gymnasium. Der zweite Schwerpunkt ist die kontinuierliche Erweiterung unseres Theaterangebots, indem ich Gastspiele oder neue Projekte initiiere. Mein Ziel ist es, dass der Theaterbereich wächst. Ich möchte Menschen ermuntern, sich aktiv mit ihrem Potenzial, ihren Talenten und ihren Ideen einzubringen. Wir möchten ihnen eine Bühne bieten und eine kulturelle Teilhabe ermöglichen.
Aktuell befassen Sie sich mit der Realisation eines Projekts, das diese Woche in der Gems aufgeführt wird.
Richtig, das Projekt geht vor dem Hintergrund der heterogenen ethnischen und nationalen Zusammensetzung von Lerngruppen der Frage nach, wie es möglich ist, Geschichte zu vermitteln. Dazu kommen geflüchtete Menschen aus verschiedensten Teilen der Welt zu Wort, die in Deutschland und den EU-Mitgliedsländern aufgenommen wurden. Ein Großteil von ihnen bringt im europäischen Bildungssystem ein großes Spektrum an transnationalen Erfahrungen mit, die jedoch in keinem Geschichtsunterricht Platz finden.
Das Ziel ist es, historische Ereignisse und Entwicklungen transnational und multiperspektivisch aufzuarbeiten und zu vermitteln. Im Rahmen dieses Projektes sollen verschiedene Methoden zur Geschichtsvermittlung ausprobiert werden, um so eine Anleitung für den Unterricht auszuarbeiten. Das können geisteswissenschaftliche Zugänge sein oder auch künstlerische Ausdrucksweisen, in Form von Videoclips, einer Ausstellung oder eben einer Theateraufführung, für die wir uns entschieden haben.
Wie haben Sie sich dieser Aufgabe genähert, wie ist die Szenencollage entstanden?
Das große Oberthema, die Basis für die Szenencollage, bilden biografische Interviews mit Zeitzeugen. Sie erzählen, warum sie ihre Heimat verlassen haben oder diese sogar verlassen mussten, um sich dann an neuen, unbekannten Orten eine neue Existenz aufzubauen. Unsere Theatergruppe hat sich mit den Clips, also kurzen Videoausschnitten der geführten Interviews, beschäftigt und zunächst Improvisationen dazu gemacht und viel Material gesammelt. Dann haben sie sich auch mit dem Thema Reisen auseinandergesetzt sowie dem Themenbereich Heimat, also Heimat haben, Heimat verlieren, verlassen, suchen oder neu finden. Statt eines klassischen Theaterstücks mit einem konsequenten Erzählstrang ist letztendlich daraus eine tolle Szenencollage entstanden.
Wer sind die Akteure?
Wir haben eine offizielle Ausschreibung gemacht und angefragt, wer Lust hat, sich mit Geschichte theatral zu beschäftigen. Es haben sich einige Menschen aus Singen und Umgebung gemeldet, viele mit Theatererfahrung aber auch Theaterneulinge. Wir haben dann statt eines Castings einen Workshop veranstaltet. Es hat sich letztendlich eine Gruppe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern herauskristallisiert, die in der finalen Besetzung extrem engagiert und konstruktiv zusammenarbeiten. Wir haben den Theaterpädagogen Albert Bahmann mit an Bord, der das Projekt leitet und mit den Schauspielern zusammen die Collage entwickelt hat.
Erstmalig widmen Sie sich damit einem internationalen Bildungsprojekt, das auch bezuschusst wird. Wer ist daran beteiligt?
Das Theaterprojekt ist Teil des größeren europäischen Projekts „Transnational History“, das durch das EU-Programm Erasmus-plus finanziell gefördert wird. Es ist ein Bildungsprojekt für Erwachsene in Kooperation mit sieben Institutionen aus Polen, Kroatien, Schweden, Belgien, Österreich und Deutschland. Die ausgearbeiteten Methodenempfehlungen werden im Internet kostenlos bereitgestellt. In einem Handbuch werden die methodischen Herangehensweisen in komprimierter Form zusammengefasst und sind demnächst über die Methodenplattform frei erhältlich.
Das Thema wirkt sehr komplex. An welches Publikum richtet sich das Theaterstück?
Ja, es ist komplex, denn alleine die Thematik, seine Heimat – meist unfreiwillig – zu verlassen, ist schon nicht leicht. Für uns stand im Fokus, es so verständlich wie möglich aufzuarbeiten und dabei auch Sprachbarrieren zu überwinden, damit wir möglichst vielen Menschen den Zugang ermöglichen können. Wir präsentieren die Szenencollage in Deutsch und Englisch, und arbeiten dadurch auch mit Übertitelung im Video.
Am Freitag findet im Anschluss an die Vorstellung eine Gesprächsrunde statt. Werden Sie die Erfahrungen und Ergebnisse dieser Gespräche an die Initiatoren zurückmelden?
Wir freuen uns, dass auch die Partner aus den beteiligten Ländern dabei sein werden, an die das Publikum ebenfalls seine Fragen stellen kann. Und ja, wir werden einen Abschlussbericht zusammenstellen, den wir an die Nationale Agentur senden, in den wir dann unsere Erfahrungen einfließen lassen.