Auf den ersten Blick wirkt es nicht so, als sei man an einem Trauerort. Von der Hegaustraße sind Stöckelschuhe und Stimmengewirr zu hören, irgendwo scheppern Stahlstangen. Doch wenn man sich auf den etwa 100 Quadratmeter großen Garten einlässt, kehrt tatsächlich so etwas wie Besinnung ein: Im Brunnen aus Tengener Muschelkalk, in dem das Wasser leise plätschert, badet ein Spatz.
Mitten im Garten baumeln Edelstahlkugeln an Fiberglasstäben im Wind, die an die ersten 75 Corona-Toten aus Singen erinnern sollen. Und auf der vom Regen geröteten Cortenstahlwand stehen mit Kreide geschriebene Sätze wie „Wir vermissen dich“, „Ich denke an dich“ oder auch „Du fehlst mir“.
Aber vielleicht muss ein Trauergarten genau so sein: Umgeben vom Leben – und doch mit der Möglichkeit, Trauer soweit zuzulassen wie sie gerade möglich ist. Und genau hier gibt es sie nun: „Die andere Mittagspause“ des interkulturellen Trauerorts Horizont.
Thema ist nicht festgelegt
Elisabeth Paul, die den Garten mit aufgebaut hat, erläutert: „Am Mittwoch von 12 bis 13 Uhr sind zwei Ehrenamtliche vor Ort. Sie schenken ihre Zeit fürs Zuhören und Gespräche.“ Dabei müssten in den Gesprächen keine tiefen Inhalte der Seele besprochen und therapiert werden. Man könne auch über ganz andere Themen als die eigene Trauer sprechen – oft schwinge das Thema dennoch unterschwellig mit und die ein oder andere Saite der Seele würde die Trauer nebenbei zum Klingen bringen.

„Manchmal reden wir auch über das Wetter oder die schönen Blumen“, berichtet Ruth Schwarz, die als Ehrenamtliche im Trauerort präsent ist. Am Mittwoch während der Mittagspause stünde dann auch ein Tisch, zwei Stühle und etwas zum Trinken bereit. Wer nicht reden möchte, sondern jemanden zum gemeinsamen Schweigen braucht, könne auch dies tun.
Viele Arten von Trauer
Nur eines erfordert diese andere Mittagspause, betont Elisabeth Paul: „Man muss bereit sein, her zu kommen, aus dem Alltag heraus zu treten und sich seinen Gefühlen zu stellen.“ Trauernde seien dabei nicht nur Menschen, die einen Angehörigen verloren haben.
Die Trauer komme auch in anderen Lebensbereichen vor, zählen Elisabeth Paul und Ruth Schwarz gemeinsam auf: Von der Einsamkeit durch die Maßnahmen rund um die Corona-Pandemie bis zur verlorenen Liebe, von der Scheidung bis zum Verlust der Arbeitsstelle. Vom Unfall bis zu einer zerbrochenen Freundschaft.
Das Gefühl verändert sich
Der Trauergarten ist ein Angebot. Ein Angebot, das die Besucher weiter führen kann. Wer die Hand in den Brunnen hält, wird vielleicht an den Lebensfluss erinnert, der weiter fließt und nicht aufgehalten werden kann. Wer die Edelstahlkugeln im Gedenken an die Corona-Opfer betrachtet, kommt vielleicht zum Schluss: Auch viele Jahre nach einem Verlust bleibt noch ein Leuchten zurück.
Und wer die vom Regen verschwommene Kreideschrift sieht, kann hoffen: Das Gefühl der Trauer wird anders. Vielleicht wird immer noch ein Rest da bleiben – wie die übrigen Kreidestriche. Aber es wird sich verändern. Und nun ist dieses Angebot im Trauergarten noch reicher geworden: Um Menschen, die einfach da sind zum Reden oder zum gemeinsamen Schweigen.