Die Theresienkapelle feiert in diesem Jahr ihr 70-jähriges Bestehen. Höhen und Tiefen hat die Kapelle auf der Theresienwiese nahe des Georg-Fischer-Werks erlebt. Rudolf Thoma war an vorderster Front mit dabei, als sie 1947 gebaut wurde. Was er in diesen Nachkriegsjahren und auch davor erlebt hat, ist noch sehr lebendig. Der 91-jährige Mann erzählt es so, als sei es gerade erst geschehen.

Wenn man Rudolf Thoma zuhört, kann man sich gut vorstellen, dass er ein Buch schreiben könnte. Wenn er die Zeit hätte. Doch seit seine Frau Gertrud vor sieben Jahren einen schweren Schlaganfall erlitten hat, ist er mit der Pflege sehr ausgelastet. Zu den Feiern zum 40-jährigen, 50-jährigen und 60-jährigen Bestehen der Theresienkapelle habe er die Festreden geschrieben. Dieses Mal kommt er als Ehrengast, denn er ist quasi der letzte Überlebende des Gefangenenlagers, das damals auf der Theresienwiese war. Die Entlassungsurkunde aus der Kriegsgefangenschaft ist auf den 22. November 1948 datiert. Sorgfältig hat er sie abgeheftet, ebenso wie andere Dokumente und Fotos aus dieser Zeit.

"Als ich am 19. März 1946 in Singen ankam, läuteten die Glocken von St. Josef, denn der Josefstag war damals ein Feiertag", erzählt Rudolf Thoma. Auf den Kotflügeln saß er mit anderen Gefangenen. Davor hatte er Wochen im zentralen Entlassungslager in Tuttlingen und später in Villingen verbracht. Im Frühjahr 1946 hatte es den Befehl gegeben, dass alle Kriegsgefangenen, die unter anderem den Beruf Landwirt hatten, entlassen werden sollten. Für Rudolf Thoma ein Glücksfall, nach einer jahrelangen Odyssee im Krieg.
Er stammte aus einer Landwirtsfamilie aus dem Hotzenwald und kannte sich aus. Doch wenn er von den schrecklichen Erlebnissen im Krieg erzählt, kommen ihm auch schon mal fast die Tränen. Seit er in Singen lebe, sei das Leben jedoch immer besser geworden, blickt er auf über 90 Lebensjahre zurück.
Als Rudolf Thoma ein paar Wochen in Singen war, habe man erfahren, dass Capitaine Jean de Ligny auf der Theresienwiese eine Kapelle bauen wollte. Der Franzose wurde als Lagerkommandant nach Singen delegiert, wo er das Gefangenenlager "Bonaparte" führte. "Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Kriegsgefangener wandelte er das 'Hungerlager' in ein mit viel Humanismus geleitetes Lager um", schreibt Carmen Scheide, Vorsitzende des Fördervereins Theresienkapelle, in dem jüngst erschienenen Buch "70 Jahre Theresienkapelle – Zwangsarbeit, Gefangenschaft und Gottesdienst". "Ich habe nie herausbekommen, was Capitaine de Ligny bewegt hat, die Theresienkapelle zu bauen", sagt Rudolf Thoma. Er habe wohl gesehen, wie die Gefangenen in den Barracken beteten und die seelische Not der Menschen offenbar begriffen.

Rudolf Thoma selbst war der Leiter der Pferdestaffel. Wegen des Baus der Kapelle war ein Kommando aus rund 15 Gefangenen ausgerufen worden, die sich um die Ausrüstung für den Bau kümmern sollten. "Damals gab es ja keine Baumärkte, sondern nur Tauschgeschäfte", so Thoma. "Wir fuhren nach Donaueschingen und holten Wehrmachtspferde, zwei Haflinger und fünf Reitpferde nach Singen", erzählt er. "Die Leute auf dem Randen haben ganz schön geschaut, als wir mit den Gespannen vorbeikamen." Die Pferde bekamen auf dem Gelände des damaligen Bauhofs der Stadt einen Stall. De Ligny sei auch öfters mit Adjutanten und Damen zum Reiten gekommen. "Zwei Mal habe ich ihn sogar nach Iffezheim zu Reitturnieren begleitet."
Quasi über die Pferde habe er seine Frau kennengelernt, denn deren Vater, Josef Müller, hatte sich für die Pferde interessiert und so sei er mit der Familie aus dem Schnaidholz bekannt geworden. "Meine Frau hat immer gesagt, dass sie mich schon an dem Tag bemerkt hat, als ich damals am Josefstag von Villingen auf dem Kotflügel sitzend nach Singen gekommen bin." Im April haben Gertrud und Rudolf Thoma ihre Eiserne Hochzeit (65 Jahre) gefeiert.
Wie der Förderverein die Theresienkapelle feiert
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Zur PersonRudolf Thoma wurde 1925 in Altenschwand im Hotzenwald (Kreis Bad Säckingen) geboren. Nach der Schule war er zunächst beim Reichsnährstand angestellt. Nach dem Krieg machte er Karriere beim Zoll, zunächst im mittleren, später im gehobenen Dienst bei Zollämtern in der Region bis zum Eintritt in den Ruhestand 1989. Thoma war als Soldat im Krieg, unter anderem an der Ostfront. Auf einem der Wandbilder der Singener Theresienkapelle ist eine Verwundung Thomas quasi dokumentiert: ein Handdurchschuss, den er im August 1944 an der Ostfront erlitt. Als Heinz Ort eines der Altarbilder mit dem Heiligen Johannes malte, habe er, Thoma, mit seiner linken Hand für die Vorlage die Bulle gehalten – und seine durch die Verletzung bedingte Fingerhaltung sei auf dem Bild heute noch zu sehen, erzählt der Singener. Rudolf Thoma ist seit 1952 verheiratet und hat drei erwachsene Kinder und zwei Enkel.
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Die JubiläumsfeierAm Sonntag, 12. November, feiert der Förderverein Theresienkapelle das 70. Jubiläum. Um 16 Uhr findet mit dem Weihbischof ein Gottesdienst in der Kirche St. Josef statt. Für 18 Uhr planen die Veranstalter dann einen Festakt, und zwar im Gemeindesaal von St. Josef.
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Der Förderverein Theresienkapelle2006 wurde der Förderverein Theresienkapelle Singen gegründet. Er hat rund 75 Mitglieder. Vorsitzende ist Carmen Scheide, 2. Vorsitzender Emil Netzhammer. Rudolf Thoma ist Ehrenmitglied des Vereins.