Besonders bei männlichen Mitmenschen sorgt das Werk von Annika Posella für Verwunderung. Schmuck aus Muttermilch? Wie soll das funktionieren, wie soll das aussehen? Und wofür braucht man das überhaupt? Wer sich mit der 30-Jährigen aus Singen unterhält, findet ihre Leidenschaft schon weit weniger merkwürdig. Annika Posella macht aus der Muttermilch ihrer Kundinnen ganz persönliche Erinnerungsstücke wie Ringe, Armbänder, Ketten oder Ohrringe. Wer mag, kann auch ein Haar seines Kindes oder ein Stück Nabelschnur integrieren lassen. Und die Nachfrage ist enorm, wie die junge Unternehmerin berichtet.

Fremde erahnen nicht, woraus der Schmuck besteht

Ein Fach im Kühlschrank von Annika Posella ist dauerhaft für Muttermilch reserviert. Nicht für ihre eigene, um den einjährigen Sohn Mattia zu stillen, sondern um andere Mütter zu schmücken. "So eine enge Bindung zum Kind ist etwas ganz Besonderes und die Zeit kommt nie wieder, da ist das eine schöne Erinnerung", sagt die 30-Jährige. Auf den ersten Blick würden Fremde nicht erahnen, welche Bedeutung ein Muttermilch-Schmuckstück habe. Und nach der ersten Überraschung seien alle begeistert. Die meisten Kunden seien Frauen aus Deutschland sowie Österreich oder Italien. Den längsten Weg machte ein Päckchen von und nach Australien.

So sieht eine Muttermilch-Kette aus, in diesem Fall unterstreichen Haare die Herzform.
So sieht eine Muttermilch-Kette aus, in diesem Fall unterstreichen Haare die Herzform. | Bild: Arndt, Isabelle

Die Idee von Muttermilch-Schmuck habe ihr gleich gefallen. Zufällig entdeckte sie ähnliche Angebote in einer Online-Gruppe für Mütter. Aber: "Die anderen Firmen hatten einfach nicht, was ich mir vorgestellt habe", sagt die 30-Jährige. Also versuchte sie sich selbst an der Herstellung, bastelte wochenlang in ihrer Küche an dem idealen Rezept und richtete eine Webseite ein. "Es bedarf viel Übung und Erfahrung", sagt sie. Erste Perlen seien entweder zu weich oder zu fest geworden. Nachdem sie von Testkundinnen hilfreiche Rückmeldung und viel Lob erhalten habe, meldete sie zum 1. Juni 2018 ein Nebengewerbe an. Die Bürokratie, die damit einherging, habe sie anfangs "fast erschlagen", doch mit Hilfe ihres Mannes habe sie auch das gemeistert.

Das genaue Rezept ist geheim

Um aus Muttermilch ein Schmuckstück zu machen, braucht die 30-Jährige einige Arbeitsschritte. Die Muttermilch wird erst in beschriftete Gefäße umgefüllt, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen, und sterilisiert. Pro Bestellung braucht es 40 Milliliter. Anschließend wird sie gekühlt, so dass sich die Fettschicht absetzt – darin sei die meiste Farbe. Dann rühre sie ein Harzgemisch an, mische es mit der Fettschicht und gieße es in ein Förmchen. Nach einiger Zeit sei dann die Masse getrocknet. Zu genau will Posella das nicht beschreiben, nicht dass jemand die Geschäftsidee kopiert. Abschließend wird das Harzgemisch versiegelt, abgeschliffen und eingefasst. Die Preise für den Muttermilchschmuck reichen von 59 Euro für einen Anhänger bis 149 Euro für ein Armband mit Silber.

Annika Posella aus Singen macht aus Muttermilch ein Schmuckstück.
Annika Posella aus Singen macht aus Muttermilch ein Schmuckstück. | Bild: Arndt, Isabelle

Auch Haare und Nabelschnur sind nutzbar

Die Produktion dauere maximal sechs Wochen, doch die Auswahl teils deutlich länger. "Manchmal dauert es Wochen bis fest steht, was es wird", sagt Posella. Dabei bringt sie sich auch selbst ein und teste beispielsweise für die Bestellung aus Australien, ob Muttermilch den bis zu 14-tägigen Versand überlebt. "Trinkbar ist sie nach der Zeit nicht mehr, aber für den Schmuck noch nutzbar", sagt sie. Bisher habe sie fast jeden Wunsch erfüllen können. Fast? Die Haare eines älteren Menschen habe sie nicht in Sternform bringen können. "Haare machen am Ende, was sie wollen", erklärt sie. Mit solchen Materialien umzugehen, sei auch für sie ungewöhnlich gewesen: "Natürlich war es am Anfang komisch, die Nabelschnur eines anderen Babys in der Hand zu halten, aber man gewöhnt sich dran", sagt Annika Posella.

Das könnte Sie auch interessieren

Der persönliche Kontakt sei sehr wichtig, dabei erfährt die junge Mutter viel aus dem Leben ihrer Kundinnen. "Ich erfahre wunderschöne und todtraurige Geschichten", sagt die 30-Jährige. Eine Kundin habe eine schwere Zeit beim Stillen gehabt. "Daher war ihr die letzte Reserve Milch zu wertvoll zum Verschicken und sie kam persönlich vorbei", schildert Annika Posella. Sie begleitet Eltern auch in der Trauer, wenn ein Kind gestorben ist und das Schmuckstück daran erinnern soll. Annika Posella hat selbst zwei Kinder verloren und spendet daher nicht nur Trost an die Betroffenen, sondern auch 2,5 Prozent ihrer Einnahmen an eine Sternenkinder-Initiative.

Ehemann Dario und Sohn Mattia unterstützen die 30-Jährige bei ihrer Arbeit.
Ehemann Dario und Sohn Mattia unterstützen die 30-Jährige bei ihrer Arbeit. | Bild: Arndt, Isabelle

Rückmeldungen machen "enorm glücklich"

Wenn es um ihre Zukunft geht, wagt Annika Posella zu träumen. Jüngst hat sie die Elternzeit auf drei Jahre verlängert und nun zwei weitere Jahre Zeit, um sich ein Standbein aufzubauen. Für ihre Arbeit erhalte sie viel positive Rückmeldung – "das macht enorm glücklich". Teils seien auch enge Freundschaften entstanden. Geplant ist beispielsweise, mit einer Goldschmiedin vor Ort zusammen zu arbeiten, um das Sortiment zu erweitern. Außerdem möchte die 30-Jährige zur Stillberaterin werden – dann kann sie nicht nur aus der Muttermilch etwas zaubern, sondern auch das Stillen selbst begleiten.

Das könnte Sie auch interessieren