Ines Happle-Lung war Mitbegründerin der Reichenauer Freien Liste Natur und war 30 Jahre lang im Gemeinderat. Die 55-Jährige ist Krankenschwester im Klinikum Konstanz.

Warum treten Sie nicht mehr an, Frau Happle-Lung?

Ich denke, dass nach 30 Jahren Gemeindepolitik auch mal junge, politisch Interessierte die Chance haben sollen, gewählt zu werden und aktiv zu sein. Ich bin ein wahnsinnig politischer Mensch, aber der Bürgermeister hat mir die Entscheidung leichter gemacht mit seiner Art, die Gemeinde zu lenken ohne Vision, Masterplan und Prioritäten. Der Gemeinderat entscheidet dann ohne Ziel.

Welche Projekte und Entscheidungen waren für Sie besonders wichtig?

Die gute Kinderbetreuung, das Seniorenzentrum, der Gestaltungsbeirat, das Entwicklungskonzept, ÖPNV-Verbesserungen und die Kontrolle von Bürgermeister und Verwaltung, dass nicht gemauschelt werden kann. Da hat die Freie Liste maßgeblich Themen und Akzente gesetzt.

Was wäre Ihnen sonst noch wichtig gewesen, was aber nicht realisiert wurde?

Besonders wichtig waren mir immer eine nachhaltig-ökologische Politik, Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, ein entschleunigter Tourismus, Klasse statt Masse. Ich erkenne keinen Ansatz, es in diese Richtung zu lenken. Deswegen wünsche ich mir eine starke Freie Liste Natur, dass diese viele Stimmen bekommt. Ich glaube, dass die Insel derzeit absolut unter ihrem Potenzial bleibt als besondere Gemeinde. Das betrifft auch die Entwicklung des Gemüsebaus. Die geht für mich in die falsche Richtung. Es gibt Vorbilder anderswo wie Slow Life, Slow Food. Bei allen Entscheidungen müssen die Menschen, die hier leben, partizipieren und gewinnen.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Gemeinde in diesen 30 Jahren?

Ich sehe keine gute Entwicklung – nicht zum Vorteil der Insel und der Menschen. Mir fehlt mehr ein Wir-Gefühl. Die zentrale Stelle hierfür ist die Verwaltung. Da kommen alle Interessen zusammen. Wenn das nicht so ist, werden die Entscheidungen beliebig. Das ist immer das Schlechteste. Das Potenzial der Gemeinde und des Gemüsebaus im Speziellen sehe ich nicht darin, dass alles immer größer wird, sondern in kleineren Einheiten, die das Besondere, die Alleinstellungsmerkmale hervorheben. Der Gemüsebau spielt eine zentrale Rolle in der weiteren Entwicklung der Gemeinde und der Landschaft.

Als wie erfolgreich bewerten Sie Ihr Engagement im Gemeinderat?

Ich tu’ mich schwer, das zu bewerten. Aber ich wäre wohl nicht immer wieder gewählt worden, wenn nicht viele Menschen mit meiner Politik zufrieden gewesen wären. Man weiß ja nie, wie es wäre, wenn man nicht im Gremium wäre. Ich war oft auf der Suche nach ökologischen Alternativen, aber da wir keine Mehrheit haben, hat das wenig zum Erfolg geführt. Ich denke aber, ich konnte schon als Impulsgeberin die eine oder andere Idee langfristig einbringen. Doch allein kann ich nichts erreichen. Es braucht immer Verbündete, die den Weg mitgehen – wie etwa bei der Aktion gegen die Inntalbebauung.

Würden Sie aus heutiger Sicht bei manchen Themen anders entscheiden?

Ich stehe zu meinen Entscheidungen. Das hat sich bei manchem noch verstärkt in der weiteren Entwicklung.

Welche Tipps und Ratschläge geben Sie Ihren Nachfolgern mit auf den Weg?

Ich wünsche mir, dass sie sich klar positionieren, weil das Entscheidungen sehr vereinfacht und dadurch transparent und nachvollziehbar macht. Und die Bürgerinnen und Bürger wissen immer, woran sie sind. Das war mir wichtig.

Was werden Sie mit der vielen neuen Freizeit anfangen?

Ich will meine Zeit an erster Stelle mit Familie und Musik füllen. Und ich bin seit drei Jahren im Hospizvorstand. Da möchte ich mich mehr einbringen. Und ich bin seit gut einem Jahr im Betriebsrat des Klinikums. Das ist viel Arbeit. Langweilig wird’s mir nicht.

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