Der in Radolfzell ansässige Hospizverein bietet eine Begleitung für Schwerkranke und Sterbende sowie für Angehörige und Trauernde. Seine Arbeit versteht er als ein zugewandtes Begleiten von Menschen in der schwierigen Endphase ihres Lebens sowie als ein Angebot von Schutz, menschlicher Nähe und von Schutzräumen. Doch was ist, wenn ein Virus eine Gesellschaft zu Maßnahmen bewegt, die in diesen Schutzraum einbrechen und ihn zunichtemachen?

Corona erschüttert Hospiz-Arbeit

Bei der Versammlung des Hospizvereins in Horn wurde eines deutlich: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie standen im krassen Gegensatz zu den Grundsätzen des Vereins. Helene Haas habe es umgetrieben, dass die Menschen isoliert und in Distanz, mit Maske und mit Schutzkleidung sowie ohne Kontakt und Berührung gestorben seien, so die zweite Sprecherin des Hospizvereins, Annemarie Welte, in ihrer Laudatio zum Abschied der Vorsitzenden.

„So etwas darf nicht mehr passieren“, erläuterte der Internist und Geriater, Achim Gowin, das Motiv seiner Kandidatur: „Wir haben in der ganzen Pandemie die Niederungen eines unbegreiflichen Sterbens erlebt.“

Protest gegen Ausgrenzung

Die Forderung ist zu verstehen, wenn man sich die Ursprünge der Hospiz-Bewegung vergegenwärtigt: Die Bürgerbewegung entstand als ein Protest und als Widerstand gegen die Ausgrenzung von Sterbenden, die als unwürdig und unmenschlich empfunden wurde.

Die empathische Bewegung habe sich nicht damit abfinden wollen, dass Menschen, die als austherapiert galten, zum Sterben in Abstellräumen und Badezimmern der Krankenhäuser und Pflegeheime geschoben wurde, holte Annemarie Welte in Erinnerung. „Es gab in den 70er und 80er Jahren buchstäblich keinen Platz für sie.“ Während der Pandemie seien die Menschen wieder mit dem Sterben konfrontiert worden – häufig nur abstrakt, mathematisiert in Säulendiagrammen und Statistiken.

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„Wieder blieb die Not und die Tragik des einzelnen unthematisiert. Wieder wurde über das menschliche Sterben zu wenig gesprochen“, resümiert Welte. Die Koordinatorin und Einsatzleiterin des Hospizvereins, Andrea Jeskulke, beschreibt das letzte Geschäftsjahr als eines, das es so in dessen 25-jährigem Bestehen nicht gegeben hatte: Den Ehrenamtlichen, die Schwerkranke und sterbende Menschen sowie Angehörige begleiten, wurde der Zugang verwehrt oder nur eingeschränkt erlaubt.

Im vergangenen Jahr wurden 38 Menschen von den Ehrenamtlichen beim Sterben begleitet, im Vorjahr waren es 64. Die Trauergruppe wurde im März beendet und erst acht Monate später fortgeführt

Sterben ist Teil des Lebens

Helene Haas führte als Vorsitzende 16 Jahre die Geschäfte des Hospizvereins. Annemarie Welte würdigte in ihrer Abschiedsrede ihre Verdienste. Vor allem das Vermächtnis ihrer Haltung, die sie ohne wenn und aber auch während der Pandemie vertreten habe. Die scheidende Vorsitzende machte in ihrer letzten Rede deutlich, an welchen Grundsätzen sie sich orientierte: Sterben sei ein Teil des Lebens und damit ein Vorgang, der weder verkürzt noch künstlich verlängert werden solle. Diese Grundhaltung schließe eine aktive Sterbehilfe aus.

Ziel sei es, dass die Kranken möglichst ohne Beschwerden bis zuletzt schmerzfrei leben könnten. Die Worte: „So will ich nicht mehr leben“ mündeten bei ihr in den Aufbau eines Netzwerkes, das den Betroffenen mehr Lebensqualität zurückgeben sollte. Doch vor drei Wochen habe sie sich bei einer Veranstaltung erschrocken, als die Hälfte der Konfirmanden der Auffassung war, dass es deren Recht sei, ihr Leben selbst zu beenden. Damit sei ein neues Thema aufgeworfen worden: „Wie gehe ich dann mit den Patienten um? Und mit der Forderung selbständig das Leben zu beenden?“ Helene Haase ließ diese Frage in ihrer Abschiedsrede unbeantwortet.