Es war eine Gelegenheit, die sich vielen Radolfzellern so bald wohl nicht mehr bieten wird: Am Tag des offenen Denkmals wurde der Umstand genutzt, dass die ehemaligen Räumlichkeiten des Heilig-Geist-Pflegeheims in der Innenstadt nach dem Umzug auf die Mettnau derzeit leer stehen, und Interessierte durften einen Blick in die Räumlichkeiten des historischen Baus werfen. Die Leitung übernahmen Historiker und CDU-Stadtrat Christof Stadler, der einen Einblick in die Geschichte und Besonderheiten der Einrichtung ermöglichte, sowie der Stadtarchivar Alexander Röhm, der mehr über das Thema Spital an sich berichtete.
Um die Tätigkeiten des Spitals zu beschreiben, reicht allein die Übersetzung des lateinischen Begriffes hospitalitas. Das bedeutet so viel wie Gastfreundschaft. Wie die geschichtsinteressierten Besucher erfahren konnten, war das Heilig-Geist-Spital seit dem frühen zwölften Jahrhundert in Radolfzell in Betrieb und eine Anlaufstelle für die Armen, Kranken und alten Menschen jeglicher Gesellschaftsschicht. Nachdem diese Einrichtung in den ersten paar Jahrhunderten mehr gekostet als eingebracht hatte, folgten in den 1870er-Jahren die Modernisierung und die direkte Zuordnung des Spitals zur Stadt Radolfzell. Das sorgte dafür, dass das Spital auf Spendengelder der Stadt zugreifen konnte und als zugehörige Institution angesehen wurde. Demnach konnte das Spital dann auch von allen verwaltungstechnischen Hilfestellungen der Stadt direkt profitieren. Weil auch die Aufnahme von Waisenkindern in den Zuständigkeitsbereich des Spitals fiel, war diese Hilfe mehr als nur notwendig.
Nie ein größerer Schaden
Die Geschichte des Gebäudes reicht bis in das Jahr 1347 zurück. Über die vergangenen fast 700 Jahre gab es um das Spital herum viele Veränderungen. Sogar drei Brände ereigneten sich in der unmittelbaren Nähe der Einrichtung, das Spital selbst hat aber nie einen großen Schaden davongetragen, wie bei der Führung zu erfahren war. Die Spitalkapelle, angedacht als zweite Pfarrkirche, zeigt einen großen Altar mit den Patronen, die für den Schutz dieses Ortes verantwortlich sind. Der Altar mit Marmorstatuen und einem Gemälde voller heiliger Symbole stamme schätzungsweise aus dem 16. Jahrhundert.

Der Innenhof des Gebäudekomplexes selbst hat ebenfalls eine reiche Geschichte zu verzeichnen: In vergangenen Zeiten sei hier die Handelsstraße vom Münster entlang verlaufen, berichtet Stadler, bis dann immer mehr Wohngebäude errichtet werden mussten, um dem schnellen Bevölkerungswachstum der Stadt gerecht werden zu können. Später sei hier eine kleine Landwirtschaft betrieben worden, mit Viehhaltung, einem Metzgerbetrieb und dem eigenen Gemüseanbau.
Natürlich wurden die Bewohner des Spitals für ihre hauseigenen Arbeiten auch entlohnt, betont Stadler, wobei die kranken und besonders gebrechlichen mit sechs Kreuzern noch am meisten für die damalige Zeit verdient hätten. Die sogenannten Pfründner, also Menschen, die gegen einen Tausch mit wertvollen Gegenständen oder Geld ein lebenslanges Anrecht auf Wohnraum im Spital erlangten, seien ebenfalls zur Mithilfe verpflichtet gewesen, auch wenn sie dann bei den Essensplänen doch etwas bevorzugt worden seien. Bei den Renovierungsarbeiten in den 1980er-Jahren sei ein jüdisches Tauchbad unter dem alten Gewölbekeller zum Vorschein gekommen. Ein weiteres Zeichen dafür, wie unterschiedlich die Menschengruppen waren, die einst in der Einrichtung zusammenfanden.
Doch die Versorgung im Spital änderte sich mit der Zeit. Während in den frühen Zeiten laut der Führung noch etwa 20 Menschen gemeinsam in einem großen Raum auf einer Etage schliefen, aßen und gemeinsam Zeit verbrachten, sei nach dem Umbau zum Altenheim dieses Konzept für die moderne Zeit doch etwas zu offen gewesen. Im Pflegeheim gab es zuletzt auf jeder Etage Doppelbett-Zimmer und Einzelzimmer mit eigenem kleinem Badezimmer, um der Privatsphäre der dort lebenden Menschen gerecht werden zu können. Christof Stadler konnte während der Führung durchweg mit seinem ausführlichen Wissen glänzen und heiterte die recht große Runde an Besuchern stets mit einer Geschichte oder lustigen Anekdote auf. Dokumente und Bilder, die er mitgebracht hatte, ermöglichten den Teilnehmern noch tiefere Einblicke.
Wie es nach der Schließung des Altenheims in der Innenstadt im vergangenen Jahr mit den Gebäuden weitergehen wird, muss sich erst zeigen. Pläne gibt es jedenfalls schon: Die Stadt will die Räumlichkeiten für neue Wohnkonzepte nutzen, die sich speziell an junge Menschen richten sollen. Auch der verlassene Innenhof sowie das Erdgeschoss des Spitals sollen dabei durch eine öffentliche Nutzung wiederbelebt werden. Die Stadt sucht dafür derzeit nach einem Investor.
Zum Tag des offenen Denkmals
Beim Tag des offenen Denkmals handelt es sich um Deutschlands größtes Kulturevent, das jährlich am zweiten Sonntag im September stattfindet.
- Zum Projekt: Ins Leben gerufen wurde der Tag des offenen Denkmals schon im Jahr 1993, koordiniert wird das Projekt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht. Wie auf der Internetseite zum Tag des offenen Denkmals zu lesen ist, ist die Stiftung für das Konzept des Aktionstags verantwortlich, außerdem legt sie das jährliche Motto fest und unterstützt die Veranstalter. Denn am Tag des offenen Denkmals ist deutschlandweit viel geboten: An zahlreichen Orten öffnen historische Stätten ihre Türen – und das, obwohl sie oftmals normalerweise der Öffentlichkeit gar nicht zugänglich sind. Möglich wird das etwa durch Gebäudeinhaber, Vereine oder Experten. In über 2000 Kommunen können so mehr als 5000 Denkmäler besichtigt werden. Ziel ist es, Aufmerksamkeit auf die Denkmalpflege im Land zu lenken.
- Angebote in der Region: Auch in der Region gab es in diesem Jahr im Rahmen des Tags des offenen Denkmals viel zu sehen. Neben dem historischen Spitalgebäude konnte so auch das Museum Haus Dix in Gaienhofen erkundet werden, das Stadtmuseum Radolfzell lud zu einer Exkursion durch die Straßen der Stadt ein, bei der es um das Thema Nationalsozialismus ging, im Radolfzeller Münster stellten Jugendliche und Erwachsene an etwa 20 Stationen verschiedene Objekte vor, und in der Stadtbibliothek im Österreichischen Schlösschen in Radolfzell gab es Architektur-Führungen. Aber auch anderswo in der Region war einiges geboten, unter anderem in Singen, in Bohlingen, in Engen, in Bodman, in Tengen oder in Konstanz. (lam)