Fast fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass die Geburtenstation im Radolfzeller Krankenhaus geschlossen wurde. Wer in der Stadt ein Kind erwartet, hat seither die Möglichkeit, zum Gebären in ein anderes Krankenhaus in der Region zu fahren oder sich gleich für eine Hausgeburt zu entscheiden.

Zwei Hebammen, die Radolfzellerinnen schon seit mehreren Jahren bei Geburten in den eigenen vier Wänden unterstützten, sind Heidrun Ullmann und Frederike Bohl, die miteinander kooperieren. Und ihr Team ist in der Corona-Pandemie noch weiter gewachsen: Seit Herbst 2020 kooperieren sie auch mit Rahel Stuhlmann, die sich mit Frederike Bohl eine Praxis in Allensbach teilt, seit Herbst 2021 ist auch Taryn Dominguez aus Singen mit von der Partie.

Zwei Kooperationsteams mit je zwei Hebammen

„Wir sind in zwei Kooperationsteams organisiert, die sich gegenseitig vertreten und unterstützen“, erklärt Heidrun Ullmann die Aufteilung. Laut Frederike Bohl sorgt das unter anderem für entspanntere Feiertagseinsätze. Früher hätten Heidrun Ullmann und sie je entweder an Weihnachten oder an Silvester durchgehend gearbeitet, im vergangenen Jahr seien jeweils zwei Frauen für einen der beiden Tage zuständig gewesen und hätten je nur einen halben Tag gearbeitet.

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Und die Frauen sind nicht nur in Radolfzell, sondern auch bis hinter Singen sowie auf der Höri und bis nach Konstanz als Hebammen aktiv. Frederike Bohl und Rahel Stuhlmann seien dabei eher für den Konstanzer Bereich zuständig und Heidrun Ullmann und Taryn Dominguez eher für die Singener Region, aber eine wirklich starre Aufteilung gebe es nicht.

Weil es aber durch die Vertretungsregelung möglich ist, dass eine Schwangere während der Geburt notfalls von einer Hebamme betreut wird, die zuvor nicht ihre Ansprechpartnerin war, stelle sich das Team jeder Schwangeren vor. Dabei helfe, dass es durch die Pandemie auch digitale Aufklärungen oder Informationen gebe, so können sich auch die anderen Hebammen zuschalten und vorstellen, sagt Heidrun Ullmann.

„Ein Geschenk des Himmels“

Dass sie nun zu viert arbeiten, bezeichnen sie als glückliche Fügung. „Es ist ein absolutes Geschenk des Himmels“, sagt Frederike Bohl. Schon in der Vergangenheit habe sie versucht, über ein Inserat eine Kollegin zu bekommen, doch das sei nicht gelungen: „Ich habe bis heute nichts gehört.“ Dabei ist der Bedarf an Hebammen für Hausgeburten da. 2021 wurden von Heidrun Ullmann, Frederike Bohl, Rahel Stuhlmann und Taryn Dominguez knapp 100 Geburten betreut.

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Die Frauen führen dies unter anderem auf die Corona-Pandemie zurück. Sie habe einige Schwangere betreut, die in dieser Situation verunsichert waren und nicht in einem Krankenhaus gebären wollten, berichtet Taryn Dominguez. „Aber alleine Corona ist es nicht“, sagt Heindrun Ullmann. Mittlerweile sei ihre Arbeit und das Thema Hausgeburt schlicht bekannter, Schwangere erfahren etwa über bekannte Mütter von dieser Möglichkeit. „Das spricht sich auch einfach rum“, ist Rahel Stuhlmann sich sicher.

Entspanntere Geburt daheim

Die vier Hebammen sind überzeugt von den Vorteilen der Hausgeburt und bieten ihre Betreuung gerne an. Eine Geburt in den eigenen vier Wänden laufe entspannter ab als im Krankenhaus, sagt Bohl. Sie sei stressfreier und natürlicher, weil sie nicht gestört werde. Und: „Wir können die Frauen sehr individuell betreuen.“ Zudem seien Hausgeburten sehr sicher. Zum Klientel der vier Hebammen gehören nur gesunde und risikofreie Frauen, noch dazu seien Hausgeburten nur in einem Zeitraum von drei Wochen vor dem Geburtstermin und zwei Wochen nach dem Geburtstermin möglich.

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Und Heidrun Ullmann weist darauf hin, dass alle Haus- und Geburtshausgeburten jährlich bei der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) eingereicht werden müssen, wo sie ausgewertet werden. So findet eine Qualitätssicherung statt. Nur sehr selten komme es vor, dass Frauen, die sich eigentlich für eine Hausgeburt entschieden haben, notfallmäßig in ein Krankenhaus verlegt werden müssen, so Frederike Bohl. Laut dem Qualitätsbericht der QUAG konnten 2020 fast 85 Prozent der Einlingsgeburten wie geplant außerhalb einer Klinik stattfinden.

In rund 93 Prozent traten bei der Mutter nach der Geburt keine Probleme auf, in fast 94 Prozent ging es dem Kind sehr gut oder gut. Laut dem Bericht der QUAG erfolgt eine Verlegung in eine Klinik häufig aufgrund eines Geburtsstillstands in der Eröffnungsperiode – das sei bei etwa 39 von 100 verlegten Frauen so. Laut dem Bericht können die meisten Frauen bei der Geburt „ohne Stress und ohne dringende Gründe in Ruhe“ verlegt werden. Eine von 100 Frauen werde dagegen in Eile verlegt. Und: „Wir haben eine gute Anbindung an das Krankenhaus“, betont Frederike Bohl. „Das ist eine gute Zusammenarbeit.“

Ideen für die Zukunft

Auch, wenn die vier Hebammen jetzt erst einmal in der aktuellen Konstellation in zwei Zweierteams weiterarbeiten möchten, gibt es zumindest ein paar Visionen für Änderungen in der Zukunft: Falls der Bedarf weiter zunehmen sollte, könnte das Team so womöglich weiter wachsen. Frederike Bohl kennt zwei Kolleginnen aus dem Kreis Konstanz, die bereits Interesse für die Zukunft angemeldet haben. Zudem haben Bohl und Rahel Stuhlmann die Vision eines „niederschwelligen Familienzentrums“, in dem sie unter anderem auch Beratungen zur Erziehung anbieten könnten. Die Ideen sind also da – was die Zukunft bringt, wird sich noch zeigen.