Unzählige Studenten verfolgen das Fußballspiel an Bildschirmen und legen Strichlisten über Ballaktionen wie Pässe oder Torschüsse an. Was sie tun: Sie erfassen und analysieren die Daten des Spiels. Tiefergehende technisch-taktische Analysen werden zeitaufwendig von speziell ausgebildeten Videoanalysten mithilfe von Videoschnitt-Programmen erstellt. Und am Ende kann der Reporter etwas über die Zweikampfquote oder das Deckungsverhalten von Joshua Kimmich lernen.

Spieler und Ball werden in Echtzeit erfasst

Man kann es sich aber auch einfacher machen. Indem man den Computer so programmiert, dass er diese Analyse übernimmt. Manuel Stein und sein Mitgründer Philip Zimmermann haben unter anderem dafür im Februar 2021 das Start-up Subsequent gegründet. Live-Tracking, das Verfolgen bewegter Objekte, wie zum Beispiel Spieler oder den Spielball in Echtzeit, ist dabei eine Aufgabe.

„Bis man einem Computer beigebracht hat, einen Fußball das ganze Spiel über genau zu erfassen, dauert es lange“, so Manuel Stein. Was einfach aussieht, ist hochkomplex. Ein Ansatz bei der Suche nach einem Ball könnte sein, nach allem zu suchen, was rund und weiß ist und sich bewegt. Das müsste ja wohl reichen, denkt man. „In Holland wollten sie so eine automatische Kameraführung ausprobieren“, so Stein.

Ende des Liedes war, dass die Kamera stur auf die Glatze des Schiedsrichters gerichtet blieb.

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Bei Subsequent wird mithilfe neuer Deep-Learning Verfahren alles erfasst, was ein Ball sein könnte. Jedes Einzelbild wird danach abgesucht. Anschließend wird dieses Verfahren mit einem zweiten gekoppelt, das Erinnerungen darüber hat, wie sich ein Ball verhält. Damit hätte man die Glatze schon einmal ausschließen können. „Und wird der Ball durch einen Spieler verdeckt, kann das Verfahren durch die Erinnerung darauf schließen, wo dieser jetzt wohl gerade ist“, sagt Stein.

Daten stehen bereits zur Halbzeit bereit

Viele Jahre Entwicklungsarbeit stecken allein in der Lösung des Problems, einen Fußball genau zu tracken. Zudem können die Computer von Subsequent über 19 Skelettpunkte detailliert die Bewegungen jedes einzelnen Spielers in Echtzeit aufzeichnen. Etwa seine Position im Mannschaftsgefüge ermitteln, sein Verhalten gegenüber dem Gegner oder zum Beispiel die strategische Ausrichtung, ein Tor zu erzielen oder zu verhindern. Und noch mehr.

Jedes Bild wird dazu gescannt, 25 bis 30 Stück pro Sekunde. Die Datenmenge ist riesig, 1,5 Gigabyte für 90 Minuten Spiel. Ziel sei es, „eine umfassende technisch-taktische Analyse“ eines Spiels zu erstellen und somit die „Spielstrategie automatisch bewerten“ zu können. Und das möglichst in Echtzeit. Und wozu braucht man das? Man kann es beispielsweise an Vereine verkaufen. Mithilfe der Daten könnten schon in der Halbzeitpause mit den Ergebnissen neue taktische Anweisungen gegeben werden.

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„Da wollen wir hin.“ Manuel Stein zeigt sich selbstbewusst. Ihr System sei deutlich schneller und arbeite komplexer als das meiste, was sich auf dem „Tracking-Markt“ im Sportbereich gerade so tummelt. Und was es weltweit außer bei ihnen auch nicht gebe: Dass man die Bilder des Spiels, und die der Datenwelt „sofort“ übereinanderlegen könne. Bei der Videoanalyse des Spielabends im Sportstudio gelte nämlich: „Daran müssen Analysten noch eine halbe Stunde für jede Sequenz basteln. Wir nicht“, so Stein.

Am Lehrstuhl von Daniel A. Keim für Datenanalyse und Visualisierung an der Universität Konstanz hat Stein seinen Doktor gemacht. Auch heute noch ist dank einer Kooperation mit der Uni ein Arbeitsraum von Subsequent dort zu finden: In dem hochmodernen Gebäude des Exzellenzclusters, das sich der Erforschung von Gruppenverhalten widmet. Die Universität wirbt für Steins Start-up mit dem Slogan „Fußball durch die Augen des Computers“.

Verfahren auch im medizinischen Bereich einsetzbar

Aber es gibt auch ganz andere Einsatzgebiete für die von Subsequent entwickelten technischen Möglichkeiten. Im medizinischen Bereich gibt es eine Zusammenarbeit mit den Schmieder-Kliniken in Allensbach. Ein Forschungsprojekt zur Entwicklung neuartiger Therapieansätze für Schlaganfallpatienten ist geplant.

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Steins Team lässt Physiotherapeuten und Patienten vor einer Handykamera auf- und ablaufen, um dann das typische Gangbild eines gesunden Menschen mit dem gestörten Gangbild des Patienten zu vergleichen. In naher Zukunft sollen so Fehlhaltungen aufgedeckt und Therapievorschläge gemacht werden. Und dann müsse, so Stein, „der Patient nicht mehr zum System kommen“, sondern das System kommt zum Patienten.

Weitere Einsatzmöglichkeiten sind denkbar. Gerade befindet sich das Start-up in der Endauswahl des österreichischen Fußballverbandes, der für die erste Bundesliga einen neuen Datenlieferanten sucht. Wenn sie gewinnen, sind sie im Geschäft. In einem von vielen denkbaren, die das Unternehmen künftig aufmischen könnte.