Das Megaphon blieb in der Tasche. Nicht, dass sein Träger und die Menschen um ihn herum nichts zu sagen gehabt hätten. Aber sie wussten: Sie haben für diesen Tag am Kaiserbrunnen an der Marktstätte keine Demonstration angemeldet. Und weil es in der Gesellschaft Regeln gibt, haben sie sich zwar getroffen und sind gemeinsam ins Rathaus marschiert, aber keine Kundgebung veranstaltet. Die Bürger, die sich um den Büdingen-Park sorgen und ein in vielerlei Hinsicht maßloses Bauvorhaben befürchten, wissen, wie die Dinge geregelt sind. Die Stadträte, die zu dieser Zeit bereits hinter verschlossener Tür über die Zukunft des Theaterintendanten diskutierten, konnten die Szene nicht miterleben. Und deshalb auch nicht die volle Brisanz einer Frage erfassen, die Inge Schenk wenig später im Ratssaal stellte: "Gilt ein Bebauungsplan nur für die Bürger oder auch für die Verwaltung?"
Gesetze und Satzungen sollen Ausgleich und nicht Streit schaffen
In der großen Auseinandersetzung ist das natürlich nur eine kleine Szene. Und deshalb sollte man auch nicht überbewerten, dass Inge Schenk und ihre Mitstreiter aus dem Verein Bürgerpark Büdingen weder von Oberbürgermeister Uli Burchardt noch von Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn jene Ein-Wort-Antwort erhielten, die es als einzige auf Inge Schenks Frage geben kann. Sie lautet Ja. Gesetze, Verordnungen und Satzungen regeln das Miteinander im Gemeinwesen generell und ein Bebauungsplan die Rechte und Pflichten eines Grundstücksbesitzers wie auch seiner Nachbarn speziell. Eine solche Regel zu ändern, ist und bleibt alleiniger Auftrag und alleiniges Privileg der gewählten Volksvertreter, die dafür dann auch die politische Verantwortung übernehmen. Was der Verwaltung zugestanden ist (und das kann sehr viel sein), ist ein Ermessensspielraum.
Der Bauantrag des Investors sprengt die Dimensionen
Und genau zwischen diesen beiden Polen, politische Absicht und amtliches Ermessen, spielt sich die Auseinandersetzung um die Zukunft des Büdingen-Areals ab. Investor Hans Jürg Buff hat einen Bauantrag gestellt, der die Dimension des gültigen und einst vom Rat beschlossenen Bebauungsplans in mehrerer Hinsicht sprengt. Die Verwaltung kann von den Festsetzungen abweichen, das Baugesetzbuch lässt das ausdrücklich zu. Und sie scheint dazu auch gewillt. In welchem Umfang, das blieb am Donnerstagabend offen, das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Doch ein Signal sandte Baubürgermeister Langensteiner-Schönborn gleich mehrfach aus, und es hört sich sehr ähnlich an zu dem, was man in Sachen Tägermoos-Pappeln, Scala-Kino oder Turnschuhbaum auch schon gehört hat: "Das ist keine politische Frage, das ist eine Verwaltungsfrage."
Was Politik ist, bestimmt nicht das Rathaus, sondern die Büger
Im Grundsatz hat Langensteiner-Schönborn selbstverständlich recht. Eine Verwaltung muss handlungsfähig bleiben und kann nicht jeder Unzufriedenheit nachgeben, weil damit die Gewichte zugunsten der Lauten, der Gutorganisierten verschoben würden. In der Praxis allerdings – und das ist ein Kernelement einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft – definiert nicht allein die Verwaltung, wann ein Vorgang politisch wird. Mehrfach haben die Führungskräfte im Konstanzer Rathaus in den vergangenen Jahren die Wut von Bürgern, ihre Angst um die Zukunft der Stadt und ihr Ohnmachtsgefühl gegenüber Investoren unterschätzt. Dass auch Bürger durch ihr Handeln einen Vorgang zum Politikum machen können, sollte dabei kein Anlass sein, den Ängsten ausgerechnet mit Argwohn zu entgegnen. Nicht Geheimverhandlungen und Paragrafenreiterei halten ein Gemeinwesen zusammen, sondern Transparenz und Empathie.
Klar ist aber auch: Wer sich an Regeln hält, darf im Park bauen
Die Bürger werden sich damit abfinden müssen, dass auf dem Büdingen-Areal gebaut wird. Dem Eigentümer steht ein Recht zu, soweit es durch den Bebauungsplan gedeckt ist. Damit müssen die Anwohner Abschied nehmen von einem Zustand, den sie lange Zeit genießen konnten. Auch die Häuser, in denen sie wohnen, wurden einst auf einer Rechtsgrundlage gebaut. Den Wutbürger können sie in der weiteren Debatte also getrost zuhause und stattdessen den Staatsbürger sprechen lassen. Er gibt den direkt Betroffenen eine juristische Position und allen Interessierten eine ganze Palette an politischen Einwirkungsmöglichkeiten. Sie werden diese zu nutzen wissen. Und das ist auch gut so.