5700 Euro brutto: Verdient ein Paar mit zwei Kindern weniger, erhält es in Konstanz einen Wohnberechtigungsschein. Bei Alleinerziehenden liegt die Grenze bei 3000 Euro. Was bringt allerdings der Anspruch auf eine geförderte Wohnung, wenn das Angebot nicht stimmt? Das ist ein Grund, weshalb der Gemeinderat das Handlungsprogramm Wohnen reformiert hat. Ein anderer Grund ist, Familien in Konstanz zu halten. Bis zum Jahr 2035 sollen erheblich mehr Wohnungen für beide Gruppen entstehen als einst geplant war.
Ausweitung bis aufs Jahr 2035
Ablehnung bei den Linken, Bauchschmerzen bei den Grünen. Die Nachbesserungen fürs Handlungsprogramm Wohnen behagt nicht allen im Gemeinderat. Die große Mehrheit (34 Jastimmen, drei Neinstimmen, drei Enthaltungen) aber steht hinter dem Vorschlag, der Konstanz mehr Wohnungen für Normalverdiener bringen soll. Die Wegmarken dabei: Das Programm wird bis aufs Jahr 2035 ausgedehnt, im Zeitraum ab 2016 sollen nun 7900 Wohnungen entstehen (alt von 2011 bis 2030, 5300 Wohnungen). 25 Prozent sollen nach dem Beschluss im unteren Preissegment (5,50 bis 9,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter), 50 Prozent im mittleren Segment (9,50 bis 13 Euro), 25 Prozent im gehobenen Bereich (ab 13 Euro) errichtet werden. Bei 3700 Wohnungen (alt 1800) will und kann die Stadt gezielt eingreifen, um günstigen Wohnraum zur Miete und zum Kauf zu schaffen. Bisher hatte alle Bautätigkeit nicht dazu geführt, dass sich der Mietmarkt für die Gering- und Normalverdiener entspannt. Vor der Reform des Handlungsprogramms hatte das Ziel gelautet: ein Sechstel geförderter Wohnbau, drei Sechstel im Mittleren und zwei Sechstel im oberen Segment.
Rat schmettert Linke-Anträge ab
Die bürgerlichen Parteien mit CDU, Freien Wählern und FDP, die SPD und das Junge Forum betrachten die Neuerungen als Fortschritt. Der Linken Liste aber gehen die Änderungen nicht weit genug. Sie legte einen Forderungskatalog vor, den der Rat mit großer Mehrheit abschmetterte. Er sah unter anderem Obergrenzen für die Mieten im unteren Bereich bei 5,50 Euro vor und im mittleren Segment bei 8,50 Euro. Die Linke forderte zudem, die Quote für die geförderten Wohnungen auf 50 Prozent anzuheben und städtische Grundstücke nur mehr in Erbbau zu vergeben. Letzterer Vorschlag erhielt im Gemeinderat mit 15 Ja- und 24-Neinstimmen noch die meiste Zustimmung.
Sorge um Natur- und Landschaftsschutz
Schwierigkeiten mit dem Handlungsprogramm hat die Freie Grüne Liste, die auf der einen Seite die Notwendigkeit sieht, neu zu bauen, auf der anderen Seite aber auch den Natur- und Landschaftsschutz im Blick hat. Aus den Reihen der Grünen kamen drei Enthaltungen und eine Gegenstimme. Die FGL brachte drei Anträge ein, die mit großer Mehrheit abgelehnt wurden: Sie wollte eine weitere Bauentwicklung nur in den Grenzen des bestehenden Flächennutzungsplans zulassen. Dann wären aber auch schon angegangene Baugebiete wie Steinrennen in Dingelsdorf oder der Marienweg in Litzelstetten nicht mehr möglich, hielt Heinrich Fuchs (CDU) der FGL entgegen. Auch Vertreter der SPD sprachen sich gegen diese Beschneidung aus. Ebenfalls abgelehnt wurden die Schaffung einer Stelle für einen Wohnraum-Manager und die Bereitstellung von mehr Flächen für Baugruppen.
Leihräder und Car-Sharing
Wie sich die Flächenversiegelung mit den Nachhaltigkeitszielen der Stadt vereinbaren lassen, wollte in der Bürgerfragestunde im Gemeinderat die Vertreterin einer neuen Bürgergruppe wissen, die sich kritisch mit den Bautätigkeiten in der Stadt auseinandersetzt. Oberbürgermeister Uli Burchardt hielt ihr entgegen: Wer in der Stadt mit geringen Wegstrecken und tendenziell kleineren Wohnflächen als auf dem Land lebe, hinterlasse einen kleineren ökologischen Fußabdruck als der Pendler von den Außenbezirken. Der OB widersprach der Annahme, das Bauprogramm werde den motorisierten Individualverkehr anschwellen lassen. Er werde sich vor allem durch neue Angebote wie Leihräder oder gemeinschaftlich genutzte Autos (Car-Sharing) verändern.
Bürgerliches Lager steht hinter Reform
Das bürgerliche Lager, die SPD und das Junge Forum stellten sich hinter das überarbeitete Handlungsprogramm. Sabine Feist (CDU) betrachtet es als sozial ausgewogen, da es auch die breite Mitte bediene, die erhebliche Beiträge für die Stadt leiste. Genau das ist das Ziel der Stadtverwaltung: Sie will die 30- bis 45-Jährigen mit Familie in Konstanz halten, die mit mittleren Einkommen keinen Wohnraum finden und ins Umland abwandern. Die "verlorene Mitte" zurückgewinnen, sagte Bau-Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn in der Vergangenheit. Die Anzahl der Wohnungen, die bis zum Jahr 2035 zusätzlich mit einem Berechtigungsschein zur Verfügung stehen sollen, steigt mit der Überarbeitung des Handlungsprogramms von 1000 auf 2000.
Bis zu 80 Prozent Sozialbau
Jürgen Ruff (SPD) stellte sich ebenfalls hinter die Nachbesserungen. Die Forderung der Sozialdemokraten nach regelmäßiger Überprüfung des Programms seien erfüllt. Ruff regte an, die Wohnungsbaugesellschaft Konstanz (Wobak) als zentralen Akteur für den Bau der günstigen Sozialwohnungen mit mehr Mitteln auszustatten und die Stadtwerke verstärkt zum Angebot von Betriebswohnungen zu motivieren. Für die Freien Wähler sagte Jürgen Faden, man dürfe den privaten Mietmarkt nicht verteufeln. Vieles an ihm funktioniere. Zu den Vorschlägen der Linken Liste stellte er fest: Es komme ihm vor, als wolle diese die Einheitswohnung im Plattenbau, die aber nicht jeder wünsche. Den Erbbau sieht er kritisch für Menschen, die fürs Alter vorsorgen wollen. Faden forderte weiter den Abbau von Vorschriften, welche das Bauen unnötig verteuerten. Johannes Hartwich (FDP) sieht es kritisch, dass auf städtischen Grundstücken bis zu 80 Prozent der Bauten dem geförderten Segment angehören sollen, stimmte dem Programm aber grundsätzlich zu. Thomas Buck vom Jungen Forum sieht in den Neuerungen "signifikante Verbesserungen".
So greift die Stadt ein
- Handlungsprogramm: Bei 3700 Wohnungen will die Stadt eingreifen, damit Wohnraum (Miete und Kauf) im geförderten und mittleren Baubereich entsteht. Dazu setzt sie folgende Mittel ein: In jedem Neubaugebiet, das nicht der Stadt selbst gehört, müssen 30 Prozent der Wohnungen im geförderten Mietbereich entstehen. Bei eigenen Grundstücken sollen bis zu 80 Prozent der Wohnungen dieser Kategorie angehören. Die Preisbindung gilt dann für 25 Jahre. Dadurch, dass die Stadt auf den freien Immobilienmarkt im oberen Preisbereich nicht einwirken kann, soll sich eine Gesamtquote von 25 Prozent beim geförderten Wohnraum ergeben. Wie viele geförderte Wohnungen tatsächlich gebaut werden, hängt auch von überregionalen Fördermitteln ab. Ein schon lange bestehendes Instrument gegen die Spekulation mit Boden ist das Konstanzer Grunderwerbsmodell, also das zielgerichtete Erwerben von Flächen, die einmal Bauland werden sollen. Das Baurecht wird erst geschafft, wenn die Stadt 60 Prozent der künftigen Bauflächen selbst in der Hand hat.
- Bevölkerung: Gelingt es, die von der Verwaltung vorgeschlagenen 7900 neuen Wohneinheiten zwischen 2017 und 2035 komplett zu errichten, hätte Konstanz im Jahr 2035 eine Einwohnerzahl von 98 520. Das geht aus einer Studie des Statistikers Tilmann Häusser hervor. Wird das Ziel nur zu 85 Prozent erreicht und kommt es bei einigen Großprojekten zu Verzögerungen, wären es 93 284. Das wäre gegenüber heute auf jeden Fall ein bedeutsames Wachstum. Ende 2016 hatte Konstanz 85 478 Einwohner.