Rolf Hohl

Ist das Kunst oder ein Gebrauchsgegenstand? Bei den Künstlerinnen Natalie Obert und Jessica Twitchell ist diese Frage nicht eindeutig zu beantworten. Die beiden arbeiten aktuell im offenen Atelier des Vereins Global Forest in der Friedrichstraße 5a an ihrer neuesten Edition. So nennen sie ihre Druckreihen, in denen sie Ortsbezüge auf Kleidern festhalten. Am kommenden Samstag, 31. August, können Besucher dann ab 15 Uhr die Ergebnisse dieser Arbeit begutachten – und sie auch gleich selbst anprobieren.

Seit zwei Wochen sind sie in der Bergstadt und versuchen sich an einem neuen Verfahren. „Früher haben wir oft mit klassischen Siebdrucken gearbeitet. Jetzt drucken wir die Abdrücke direkt auf die Kleidungsstücke, womit auch das Ergebnis weniger vorhersehbar wird“, erklärt Natalie Obert. Dazu verwenden sie aber keine vorgefertigten Muster oder Schablonen, sondern Abdrücke von verschiedenen St. Georgener Häuserfassaden.

„Kunst nicht auf einen Sockel stellen“

Die Bürger, so sind die beiden Künstlerinnen überzeugt, könnten so gewissermaßen die Gesichter ihrer Stadt selbst anziehen und sie so bewusster wahrnehmen. „Bei der Ausstellung im offenen Atelier wird es genau darum gehen, dass die Kunst nicht auf einen Sockel gestellt wird und man nichts berühren darf, sondern dass die Besucher selbst Teil davon werden“, erklärt Viktoria Tiedeke, die Vorsitzende des Vereins Global Forest, der das Atelier betreibt.

Dass es bei dieser Arbeit um Häuser geht, ist aber kein Zufall. Schon bei früheren gemeinsamen Werken spielten Gebäude eine wichtige Rolle, wie Jessica Twitchell erklärt: „Wir haben da unterschiedliche Herangehensweisen. Natalie betrachtet eher die sozialen Aspekte von Architektur, während ich mich sehr auf das formale konzentriere.“ Das lässt die Betrachter dann etwa eine Holzschindelfassade nicht mehr nur als bloßen Witterungsschutz sehen, sondern eben auch als ein handwerkliches Kunstwerk, das seinen Teil zum Stadtbild beiträgt.

Drei Monate zur Vergangenheit

Als Langzeit-Residenzkünstlerin ist im offenen Atelier derzeit auch Irene Pérez Hernández in den Räumlichkeiten aktiv. Die ursprünglich aus Spanien stammende Frau beschäftigt sich schon seit drei Jahren mit der Zeit und der Vergangenheit – und hat in der Geschichte der Schwarzwälder Uhrenindustrie eine vitale Inspirationsquelle gefunden. Dazu hat sie mit ihren charakteristischen Uhren ein wiederkehrendes Bild gefunden. Deren gebogene Zeiger weisen immer in den Gegenuhrzeigersinn und damit in die Vergangenheit. „Ich wollte die Kultur- und Industriegeschichte dieser Region aufgreifen, indem ich für die Zeiger verschiedene Materialien verwendet habe, die für die jeweilige Zeitepoche stehen“, erklärt sie. So sind die Zeiger einmal aus Bronze, aus Holz oder auch aus Plastik.

Irene Pérez Hernández (links) und Viktoria Tiedeke vor der Skulptur einer bronzenen Uhr, deren Zeiger stets in die Vergangenheit weisen.
Irene Pérez Hernández (links) und Viktoria Tiedeke vor der Skulptur einer bronzenen Uhr, deren Zeiger stets in die Vergangenheit weisen. | Bild: Rolf Hohl

Nicht nur was die Geschichte angeht, hat sich die Künstlerin dabei auf den Schwarzwald eingelassen, sondern ebenso bei der Auswahl der Menschen, mit denen sie zusammengearbeitet hat. In verschiedenen lokalen Firmen goss Irene Pérez Hernández die Zeiger in Form, aber manchmal war es auch einfach der Nachbar des Ateliers, der etwa beim Zusammenschweißen von Ausstellungshalterungen geholfen hat. Insgesamt drei Monate arbeitet sie im offenen Atelier in St. Georgen und wird dabei von Global Forest auch finanziell unterstützt. Und schon bei ihrer Ankunft wurde schnell deutlich, dass sie sich den richtigen Ort für ihre Auseinandersetzung mit der Zeit ausgesucht hatte: Das Haus in der Friedrichstraße war nämlich früher eine Uhrenfabrik.